Auf der Überholspur - epd medien

18.06.2024 07:52

Die SWR-Dokumentation "Jung, engagiert und attackiert" begleitet Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn. Die Langzeitbeobachtung punktet bei René Martens mit echtem Erkenntnisgewinn.

Martin Horn bei der Einweihung des ersten Solardach-Radwegs Deutschlands

epd Kommunalpolitik hat teilweise immer noch ein piefiges Image, die Beteiligung an Wahlen auf lokaler Ebene ist verglichen mit landes- oder bundesweiten Wahlen oft gering. Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) etwa kritisierte kürzlich, dass die Wahlbeteiligung bei den Oberbürgermeisterwahlen in zwei anderen baden-württembergischen Städten, Lörrach und Mannheim, 2023 nur bei 20 beziehungsweise 30 Prozent gelegen habe.

Horn, Jahrgang 1984, gehört zu jenen, die vehement für kommunalpolitische Arbeit werben, wie das 65-minütige Porträt "Jung, engagiert und attackiert" zeigt, das Sigrid Faltin über ihn gedreht hat. Als Horn, seit 2019 in Freiburg im Amt, über "Krieg, Krisen, soziale Ungerechtigkeiten" sinniert, führt er aus: "Das wird doch nicht besser, wenn wir abwarten, dass das Gute vom Himmel fällt, sondern es wird wirklich nur besser, wenn wir uns im kleinen Kosmos vor Ort bemühen, Dinge besser zu machen." Deswegen sei er "ganz runter auf die Kommunalpolitik gegangen", weil er "verstanden habe, dass diese großen Herausforderungen dieser Welt am Ende lokale kleine Antworten, konkrete Taten brauchen".

Gebrochenes Nasenbein und Morddrohung

Von solch leidenschaftlichen Plädoyers lässt sich Horn auch nicht dadurch abbringen, dass er, wie das Wort "attackiert" im Filmtitel verrät, zu den zahlreichen Kommunalpolitikern gehört, die in den vergangenen Jahren bedroht und angegriffen wurden. Bereits am Wahlabend bricht ihm ein ihm damals unbekannter Täter das Nasenbein, Jahre später steht an Horns Haustür ein Mann, der ihm mit dem Tod droht.

Ein Jahr lang hat Sigrid Faltin Horn begleitet. Sie filmte, wie er auf Veranstaltungen für Wohnungsbaugroßprojekte wirbt, wie er mit jungen Erwachsenen über das nächtliche Nutzungsverbot von Bluetooth-Lautspercherboxen in der Öffentlichkeit redet, und wie er in einem provisorischen Kabuff in einer Turnhalle zu Geflüchteten spricht, die dort ihre ersten Worte Deutsch lernen.

Der parteilose Horn wirkt, etwas oberflächlich betrachtet, wie ein Grünen-Politiker. Gegner aus dem liberalkonservativen Lager ist er zu grün, sie bezeichnen ihn als "Parkplatzvernichter" oder ziehen wegen erhöhter Anwohnerparkgebühren vor Gericht. Eher linke Kritiker finden seine Politik dagegen nicht sonderlich grün - wie die Teilnehmer eines Klima-Protest-Camps vor dem Freiburger Rathaus, mit denen Horn in einer Szene des Films diskutiert.

Mehr als Phrasen und Stanzen

Als einer der Aktivisten bemerkt, die geplante unterirdische Stadtautobahn sei "wie Lützerath, eine Sache, die politisch gemacht wird, obwohl sie eigentlich komplett sinnlos ist", sagt Horn: "Am liebsten würde ich mir eine Autoreduktion wünschen." Aber das Auto sei ja generell "so ein krass emotionales Thema". Dann erzählt er, er habe gerade Polizeischutz bekommen, nachdem ihm wegen Tempo 30 jemand gedroht hatte, ihn "abzustechen". Horn geht also irgendwie auf die Kritik ein, ohne konkret darauf zu reagieren - eine für Berufspolitiker nicht untypische Strategie. An vielen anderen Stellen des Films zeigt sich aber, dass Horn mehr drauf hat als Phrasen und Stanzen und sich nicht auf ein Sicherheitsnetz von Formulierungsbausteinen verlässt.

Relativ viel Raum nimmt in Faltins Porträt der Ukraine-Krieg ein. Sie begleitet Horn beim Besuch in der von Freiburg mit Spenden und städtischen Geldern unterstützten Partnerstadt Lwiw - und geht auch auf die Kritik ein, die das finanzielle Engagement daheim hervorruft. Unter anderem an dieser Stelle wird deutlich: In der Kommunalpolitik geht es mittlerweile gewissermaßen um alles - um die sogenannten kleinen Themen und auch um die ganz großen. Mit dem Unterschied, dass die Lokalpolitiker häufiger, als ihre Kollegen aus der Bundespolitik, direkt mit den Meinungen der Bürger zu globalen Themen konfrontiert werden.

Possierlicher Ton

Das Leben auf der "Überholspur" - wie Horn es selbst formuliert - fordert aber seinen Tribut. 2020 erkrankt der Politiker an Diabetes Typ 1. Er sei "am Hadern, ob das nicht eine Stressreaktion war", sagt er. Das bezieht sich auf die Anspannung zu Beginn der Corona-Pandemie - als Freiburg als erste deutsche Großstadt ein Betretungsverbot für öffentliche Plätze verhängte. 2023 erleidet Horn einen doppelten Bandscheibenvorfall.

Wie intensiv, wie dynamisch und auch aufgrund der ständigen thematischen Abwechslung fordernd Horn Job ist - das kommt in der Bildauswahl, der Dramaturgie und dank des Schnitts sehr gut zum Ausdruck. Die Musik ist teilweise etwas launig und verleiht dem Film an einigen Stellen einen etwas possierlichen Touch, der nicht zum Inhalt passt. Das ändert nichts daran, dass "Jung, engagiert und attackiert" einen Erkenntnisgewinn liefert. Das ist bei Langzeitbeobachtungen von Politikern sonst eher selten der Fall.

infobox: "Jung, engagiert und attackiert: Freiburgs Oberbürgermeister Martin Horn", Dokumentation, Regie und Buch: Sigrid Faltin, Kamera: Ingo Behring, Mark Klotz, Sigrid Faltin, Julian Springhart, Produktion: Behring Film & Klotz Media (SWR, 13.6.24, 21.00-21.45 Uhr, und seit dem 3.6.24 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 18.06.2024 09:52 Letzte Änderung: 18.06.2024 11:27

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KSWR, Dokumentation, Martens, Faltin, NEU

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