Berechtigte Interessen - epd medien

09.04.2024 08:08

Eigentlich gibt es Vergütungsregeln, die dafür sorgen sollen, dass freie Journalisten angemessene Honorare bekommen. Doch darum, was wirklich angemessen ist, gibt es immer wieder Streit - auch vor Gericht. Dennoch lohnt sich für viele dieser mühsame und oft lange Weg: Freie haben in einigen Fällen Nachzahlungen in fünfstelliger Höhe erstritten, wie unser Autor Herbert Hoven schildert.

Autoren müssen häufig lange für ihre Rechte kämpfen

epd Im Juli 2023 wurde in der Reihe "Die Story" im WDR-Fernsehen die Dokumentation "In der Gefahrenzone - der Wiederaufbau im Ahrtal" von Wolfgang Minder ausgestrahlt. Einige Wochen später erschien bei "Telepolis", dem Onlinemagazin aus dem Heise-Verlag, der Essay "Modellregion Ahr: Die Renaturierung stockt, Experten warnen, ein Masterplan fehlt. Ist die nächste Katastrophe vorprogrammiert?" Der Text des Autors basierte zu großen Teilen auf der Fernsehdokumentation Minders. Der Artikel glich der Dokumentation nicht nur im Aufbau, sondern auch in einzelnen Formulierungen und wörtlichen Zitaten der Interviewpartner, ohne auf die Dokumentation hinzuweisen und den eigentlichen Urheber zu nennen. Die zuständige WDR-Redakteurin intervenierte, und "Telepolis" depublizierte den Beitrag.

Aber um seine Autorenrechte einzufordern, musste Wolfgang Minder selbst tätig werden, sagt er. Eine Mail an das Onlinemagazin "mit der Bitte um einen Vorschlag zur Schadensregulierung" blieb ohne Antwort. Auf eine zweite Mail mit dem Hinweis, dass er einen Rechtsanwalt einschalten werde, reagierte "Telepolis" und bot als Wiedergutmachung 100 Euro an. Das habe er natürlich zurückgewiesen, sagt Minder. Sein Vorschlag, "zumindest" den DJV-Tarif von 240 Euro für einen Internetbeitrag zu zahlen, wurde schließlich akzeptiert. Die Beweisführung allerdings lag bei ihm. In einer Synopse stellte er seinen Filmkommentar dem Fließtext des "Telepolis"-Beitrags gegenüber, auf insgesamt sieben eng beschriebenen Seiten.

Es geht um Respekt

In der Synopse fallen wortgleiche Formulierungen auf. Für diese Arbeit habe er mindestens einen Tag gebraucht, sagt Minder. Beschäftigt habe ihn der Vorfall "mehrere Wochen". Es ging ihm um Respekt, und er wollte nicht hinnehmen, dass so mit seinem Urheberrecht "umgesprungen" wird. Gewünscht hätte er sich einen Tipp aus dem WDR-Justiziariat, wie er seine Autoreninteressen durchsetzen könnte und was eine "angemessene Gegenforderung" gewesen wäre.

In wochenlangen, manchmal monatelangen Kraftakten kämpfen freie Autorinnen und Autoren um eine angemessene Vergütung nach dem Tarifvertrag, mahnen ausstehende Honorare an und streiten um ihr Urheberrecht. Gelegentlich veröffentlichen die Berufsverbände Erfolgsmeldungen. Häufig geht es da um Klagen gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Verlagen.

Vor dem Oberlandesgericht Hamm erstritt nach Angaben des Deutschen Journalisten-Verbands Nordrhein-Westfalen 2018 ein freier Journalist für Texte und Fotos eine Nachzahlung von 80.000 Euro. Das Landgericht Bochum sprach einem anderen Kollegen eine Nachvergütung von 75.000 Euro zu, und vor dem Oberlandesgericht Nürnberg ertritt eine Journalistin 2021 nach Angaben des von ver.di 66.000 Euro.

infobox: 2010 hatten die Journalisten-Gewerkschaften ver.di und Deutscher Journalisten-Verband (DJV) mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (heute Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger, BDZV) gemeinsame Vergütungsregeln für freie hauptberufliche Journalisten an Tageszeitungen vereinbart. 2017 hatte der BDZV diese Regeln gekündigt. Laut einem Urteil des Landgerichts Hannover vom März ist diese Kündigung jedoch nicht rechtswirksam. Freie Journalisten können daher die Vergütungen weiter einklagen.

Solche Meldungen signalisieren: Es geht! Aber bis die freien Kolleginnen und Kollegen einen Mahnbescheid erwirken, ist es ein langes Ringen, auch mit sich selbst. Denn ihre Gegner sind ihre potenziellen Auftraggeber, auf die sie als Journalisten weiterhin angewiesen sind. Es kostet große Überwindung, einen solchen Schritt öffentlich zu machen. Und viele freie Journalisten sind nach wie vor Einzelkämpfer. Sie sind es gewohnt, dass sie ihre Probleme selbst lösen müssen.

Ende des Jahres 2020 erhielt der freie Journalist Ralf D. (der volle Name ist der Redaktion bekannt) von einem Radiosender die mündliche Nachricht, dass er in den kommenden Monaten nicht beschäftigt werde. Eine nachvollziehbare Begründung wurde ihm nicht mitgeteilt. 20 Jahre hatte er für einen öffentlich-rechtlichen Sender gearbeitet: Er moderierte, kommentierte, berichtete von Festivals, realisierte Kurzfeatures, plante Sendungen und setzte diese um. Er gilt als meinungsstark, auch gegenüber seinen Redakteurinnen und Redakteuren. Seine erste Reaktion: "Unverständnis, Wut, Hilflosigkeit, schlaflose Nächte."

Ralf D. suchte das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen, mit Gremien- und Gewerkschaftsvertretern im Haus, mit der "Interessenvertretung für Freie im öffentlich- rechtlichen Rundfunk" sowie der Honorar- und Lizenzabteilung. Da er ein "arbeitnehmerähnlicher Freier" ist, hätte ihm die deutliche Reduzierung seiner Beschäftigung laut Tarifvertrag länger im Voraus angezeigt werden müssen. Er überlegte, ob er ein "großes Fass aufmachen" oder die "Füße stillhalten" soll. Auf Anraten eines Kollegen aus dem Personalrat hielt er still. "Sonst musst Du damit rechnen, ganz rauszufliegen", sagte dieser.

Missstände im Umgang mit Freien

Nach der Sanktionspause steht Ralf D. wieder als Moderator im Dienstplan, aber in geringerem Umfang. Die Autorentätigkeit für eine regelmäßige Rubrik wurde ihm kommentarlos gestrichen. Zwei Monate später bekam er eine Mitteilung der Personalabteilung über das Ende des bisherigen Beschäftigungsumfangs von rund 50 festen Einsätzen pro Jahr. Dieses Mal mit dem tarifvertraglich vorgesehenen Vorlauf von sechs Monaten.

Der Journalist schrieb an Intendanz und Programmdirektion und machte auf die Strukturprobleme im Sender aufmerksam: "Es ging mir darum, generell auf die Missstände im Umgang mit freien Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Abteilung hinzuweisen." Den Personalrat informierte er über die seiner Meinung nach seit Jahren bestehenden Kommunikationsprobleme zwischen den fest angestellten Redakteurinnen und Redakteuren und den Freien. Das mangelhafte Konfliktmanagement seitens der Abteilungsleitung war ebenfalls Thema. In einer Mail fällt zum ersten Mal das Wort "Mobbing". "Aber wie will ich das beweisen?", fragt D.

Da der Sender sich weigerte, die seiner Meinung nach fällige Ausgleichszahlung zu leisten, kontaktierte er die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit der Bitte, eine Klage zu prüfen. Um den Prozess vorzubereiten, musste er seitenlange Schilderungen des Sachverhalts einreichen. Eine Akte, die schließlich rund 50 Seiten umfasste.

Das Arbeitsgericht sprach ihm im Prozess einen mittleren vierstelligen Betrag zu. Mit diesem Urteil ist der Journalist nur bedingt zufrieden. Das "erlebte Mobbing" und die "erfahrene Diffamierung" hätten in dem Verfahren keine Rolle gespielt. Die juristischen Hürden sind da sehr hoch. "Aber es geht ja nicht nur um mich, sondern auch um andere Kolleginnen und Kollegen, denen Ähnliches widerfährt", sagt er.

Kollegen bewunderten ihren Mut

Ralf D. überlegte, ob er auf eigene Kosten weiter klagen sollte. Doch er scheute den "emotionalen Aufwand", wie er sagt. Zugesetzt habe ihm auch, dass keiner seiner freien Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion sich gegenüber den Vorgesetzten solidarisch mit ihm gezeigt habe. "Einerseits verständlich, denn alle haben Angst, sie könnten von heute auf morgen ihre Jobs verlieren", sagt er. Doch dieses Verhalten habe ihn enttäuscht.

Martina G. (Name ebenfalls von der Redaktion geändert) arbeitete zwei Jahre lang als freie Redakteurin für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Ausgestattet mit Diensthandy, Dienst-Laptop und Visitenkarte. Wöchentlich stand ihr Name im Dienstplan. Alles Punkte, die bei einer Statusfeststellungsklage gegen den Sender für sie sprachen. Der Deutsche Journalisten-Verband leistete ihr Prozesskostenhilfe. In zweiter Instanz hat sie gewonnen und ist heute fest angestellt.

Das sind die nüchternen Fakten. Doch die eineinhalb Jahre dauernde Belastung "hätte ich ohne psychologische Hilfe wahrscheinlich nicht durchgestanden", sagt Martina G. Sie habe "verdeckte Unterstützung" erhalten, Kolleginnen und Kollegen hätten ihr "gut zugeredet" und "ihren Mut bewundert", denn viele befanden und befinden sich in einer ähnlichen Situation. Die Arbeitsabläufe der Freien entsprechen denen der Festangestellten. Sie müssen aber mit der Unsicherheit leben, von jetzt auf gleich mit weniger Aufträgen auskommen zu müssen und dann in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Zwölf Monate nach dem Prozess begegnen ihr Vorgesetzt immer noch mit "einem gewissen Misstrauen", sagt sie.

Wirtschaftliche und soziale Ansprüche

Vor 55 Jahren, 1969, hat der Schriftsteller Heinrich Böll in Köln seine Kolleginnen und Kollegen aufgefordert, "öffentlich Tacheles" zu reden gegenüber Verlegern, Chefredakteuren und Intendanten. "Wir lassen uns dirigieren, kujonieren, Prozente und Honorare diktieren", sagte Böll damals. "Der geistige und politische Kredit, den wir der Bundesrepublik einbringen, ist ohnehin honorarfrei: Wir verlangen nichts dafür. Es geht auch nicht um unsere gesellschaftliche Ehre, die verschaffen wir uns selbst. Es geht um unsere gesellschafts- und finanzpolitische Stellung."

Seither hat sich einiges verbessert. Doch wer Mitte Oktober 2023 auf dem "Kongress der ARD-Freien" in Köln mit Autorinnen und Autoren ins Gespräch kam, hörte oft Klagen über den geringen persönlichen Austausch untereinander. Resignation darüber, dass jede und jeder so vor sich hin werkele. Viele haben Angst, dass sie, wenn sie ihre wirtschaftlichen und sozialen Ansprüche gegenüber den Sendern zu offensiv formulieren, zuletzt mit leeren Händen dastehen. Doch vor allem die jüngeren Kolleginnen und Kollegen redeten im Sinne Heinrich Bölls "öffentlich Tacheles".

Der Klageweg

Der Drehbuchautor Stefan Cantz schreibt seit Jahrzehnten erfolgreich Bücher für populäre Krimireihen wie "Tatort" oder "Nord Nord Mord". Er schrieb auch das Buch für "Manta Manta", 1991einer der erfolgreichsten deutschen Kinofilme. Mehr als 30 Jahre später machte Cantz gegenüber der Produktionsgesellschaft Constantin Film einen "Nachvergütungsanspruch" geltend und klagte außerdem wegen "Verletzung des Bearbeitungsrechts" durch Weiterverfilmung auf Unterlassung und Schadensersatz gegen den Kinofilm "Manta Manta - Zwoter Teil", der im März 2023 Premiere hatte.

Eine Verletzung des Bearbeitungsrechts wies die Produktionsfirma zurück, weil aus ihrer Sicht die Rechte an dem Grundplot, einschließlich der mit Til Schweiger und Tina Ruland besetzten Hauptfiguren, nicht von Cantz geschaffen, sondern diesem vorgegeben worden seien. Folglich sei auch ein "Nachvergütungsanspruch" für die über viele Jahre erfolgreiche Auswertung von "Manta Manta" bei Streaming-Portalen oder in Form von Wiederholungen bei verschiedenen Sendern abzuweisen.

Sein Anwalt Stephan Bücker hält das für absurd, denn Cantz bekomme als Autor seit 30 Jahren Tantiemen von der VG Wort für "Manta Manta" und werde, im "Vor- und Abspann als einziger Autor genannt". In dem sich abzeichnenden Prozessmarathon geht es zunächst um eine Auskunftsklage, um zu beziffern, wie viel die Produktionsfirma im Laufe der Jahre mit der Verwertung von "Manta Manta" eingenommen hat. Daraus ergibt sich nach Angaben von Bücker gegebenenfalls in einem zweiten Schritt eine Leistungsklage, um festzulegen, wie hoch die Nachvergütung rückwirkend ausfallen sollte. Es sei ein Verfahren, das sich über "mehrere Jahre" hinziehen werde, so Bückers Erfahrung. Allein bis zum ersten Gerichtstermin im April werde schon fast ein Jahr vergangen sein. Mit einem Urteil rechnet der Anwalt frühestens Ende des Jahres. "Drei bis vier Jahre" könnte der Prozess insgesamt dauern.

Vertraulichkeitsvereinbarungen

Auch wenn es bei den Klagen, die von Drehbuchautorinnen und -autoren angestrengt werden, um deutlich höhere Summen geht als bei den meisten Journalisten, befinden sie sich in einer ähnlichen Lage. Auch sie müssen sich entscheiden, ob sie den Klageweg beschreiten wollen. Neben den Kosten, die ein langwieriger Prozess mit sich bringt, komme noch der "Druck in der Szene" hinzu, sagt Bücker. Wer sein Recht als Autor einklagt, gilt bei vielen Produzenten als schwieriger Typ. Dieses Stigma kennen auch freie Journalistinnen und Journalisten.

Seinen Mandanten rät Bücker bisweilen, das Vergleichsangebot der Gegenseite anzunehmen. Mit einer Bezahlung, die den Kläger "wirtschaftlich" weiterbringe, schließe dieser das Risiko aus, am Ende eines Prozessmarathons alles zu verlieren. Aber auch das gibt Bücker zu bedenken: Wer ein Vergleichsangebot akzeptiert, unterschreibt eine "Vertraulichkeitsvereinbarung". Über die Höhe der Summe schweigen dann beide Seiten.

"Finally", schrieb die Journalistin Birte Meier Ende August 2023 auf X (früher Twitter): "Das ZDF hat überwiesen. Bin sehr froh, dass das Klagen nun ein Ende hat." Unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte klagte sie sich sieben Jahre lang durch mehrere Instanzen, weil sie als feste freie Mitarbeiterin des Magazins "Frontal 21" deutlich weniger verdiente als ihre männlichen Kollegen in gleicher Position (epd 35/23). Über die Summe, die das ZDF ihr gezahlt hat, haben die Parteien Stillschweigen vereinbart. "Schade eigentlich", sagen viele freie Journalistinnen, wenn man sie auf diesen deutschlandweit bekannten Prozess anspricht. Zu gerne hätten sie erfahren, um wie viel Zehntausend Euro das ZDF die Kollegin "beschissen" hat.

Wiederholungshonorare gestrichen

Mitte Oktober 2023 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass bei der Berechnung des Urlaubsgeldes arbeitnehmerähnlicher Journalistinnen und Journalisten auch deren Wiederholungshonorare zu berücksichtigen sind. Geklagt hatten ver.di und DJV gegen Deutschlandradio. 2018 hatte der Sender seine Personal- und Honorarbuchhaltung umgestellt. Der WDR übernahm den Service und strich die Wiederholungshonorare. Nun prüfen die Gewerkschaften, inwieweit die Entscheidung des BAG auch Auswirkungen auf den Urlaubsgeldanspruch arbeitnehmerähnlicher Freier bei anderen öffentlich-rechtlichen Sendern haben könnte.

In einer weiteren Verbandsklage, die die Journalistengewerkschaften ver.di und DJV vorangetrieben hatten, entschied Ende September 2023 das Landesarbeitsgericht Köln zugunsten der Kläger und gegen den WDR. Wenn der Sender sich weigere, für Hörfunkbeiträge bis zu einer Minute den fälligen Eigenproduktionszuschlag zu zahlen, verstoße das gegen das Tarifvertragsgesetz. Der Zuschlag ist immer dann zu zahlen, wenn Autorinnen und Autoren einen sendefertigen Beitrag liefern.

Aber nicht alle berechtigten Interessen von Journalistinnen und Journalisten lassen sich rechtlich durch Verbandsklagen entscheiden. Jeder und jede Einzelne wird weiterhin gefordert sein, sich durch mehrere Instanzen zu klagen, um zu seinem oder ihrem Recht zu kommen. Mehr Solidarität unter den Einzelgängern und ein öffentlicher Diskurs könnten hier hilfreich sein.

Herbert Hoven Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Herbert Hoven ist freier Hörfunkjournalist in Köln.



Zuerst veröffentlicht 09.04.2024 10:08 Letzte Änderung: 09.04.2024 15:34

Herbert Hoven