16.07.2024 13:57
epd Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Beispielsweise im Witzfach "Schadenfreude". Oder beim Aufziehen der Schublade "Enttäuschte Erwartungen". Vielleicht bleibt das Lachen auch im Hals stecken beim "Stereotypen-Auf-den-Kopf-stellen", der Untergattung, die vom Wortmaterial des Zitats lebt. Jener Spracheigentümlichkeit, die in verändertem Kontext nicht nur eigentümliche Lustigkeit findet, sondern überraschendes erkenntniskritisches Potenzial entfalten kann.
Humor kann aufklärend sein, zum Beispiel in der politischen Satire; kann mit Übertreibungen spielen, etwa in der Groteske. Manchmal kann er auch bloß unterhalten, mindestens nötig ist aber, dass dabei beobachtete Wirklichkeit durch einen perspektivischen Twist verdreht oder verrückt wird und nicht einfach verdoppelt. Humor, der nachwirkt, hat meistens eine besondere Beziehung zur Sprache, vielmehr zu den Sprechakten, und ihren Sprechern. Zum Sprechen gehört auch das Nicht-Sprechen, gehören die Pausen.
Was der Witz dagegen nicht abkann: Oberflächlichkeit und Detailschlampigkeit, Nicht-ernst-nehmen, bloß so tun als ob. Viel Alkohol, weil solcherart enthemmte Menschen nur noch für sich selbst witzig sind. Humor, der Geschlechtsorgane in den Mittelpunkt stellt, ist meist nur sekundenbruchteilswitzig, wenn überhaupt.
Nicht alle lachen über dasselbe, was wie ein Gemeinplatz klingt, aber vom geradezu philosophischen Freiheitsmoment des Humors kündet. Finde mich witzig oder lass es. Die freiheitlichste Form des Witzes ist die Selbstironie.
Geht es nach den guten Absichten, so ist die Netflix-Komödie "Spieleabend" ein Volltreffer. Schadenfreude - ja. Enttäuschte Erwartungen - und wie. "Stereotypen auf den Kopf stellen" - sieht so aus. (Gesellschafts-)Politisch unterwegs - joa. Übertreibung - schon. Grotesk - wieder ein Ja. Humor der Geschlechtsorgane - nicht zu knapp. Dass das Ergebnis trotzdem enttäuschend unlustig ist, liegt eher nicht an den Schauspielern. Sondern daran, dass die Klischees bloß reproduziert und die Ironie bloß behauptet wird.
Die Dialoge und das Aus-der-Rolle-fallen im Lauf eines langen Gesellschaftsspieleabends im Freundeskreis mit Neuzugang wirken allzu kalkuliert. Wer es allerdings lustig findet, wenn nackte Männer beim Tischtennis Pingpongbälle mit Karacho an die empfindlichsten Stellen geschossen bekommen oder gar zwischen den Pobacken fangen (und dann mit demselben Ball weiter gespielt wird); wer lachen kann, wenn es dabei kichernd heißt "Jetzt macht er den Sack zu", der kann "Spieleabend" auch für die gelungene Antwort von Netflix auf Publikumsrenner wie "Der Vorname" oder "Das perfekte Geheimnis" halten.
Regisseur Marco Petry, Drehbuchautor und Grimme-Preisträger Claudius Pläging und Kameramann Marc Achenbach kann man zutrauen, dass sie wissen, was sie tun. Die Ausgangssituation: Jan (Dennis Mojen) und Pia (Janina Uhse) sind beide Hundebesitzer, es funkt zwischen ihnen, als ihre Hunde im Park den tierischen Beischlaf üben. Klassismus bringt die Handlung ins Rollen. Jan ist mit Sandkastenkumpel Alex (Edin Hasanovic) Fahrradladenunternehmer in Kreuzberg. Ihre Erfindung, der Zweirad-Airbag als Nackenhörnchen, ist in der Erprobungsphase. Pia hat ein Fotostudio, ihr Bekanntenkreis ist karriere- und leistungsorientiert, jedenfalls auf den ersten Blick.
Nach einem Monat Beziehung bringt sie ihn zum rituellen Spieleabend in die Grunewaldvilla ihrer besten Freundin Karo (Anna Maria Mühe) mit. Karo, nach außen glamourös, nimmt in Wirklichkeit Psychopillen, ist eine verspannte, anstrengende Kapitalistenzicke, ihr Mann Oliver (Axel Stein) ist "bloß" Lehrer und flüchtet in Rollenspieluniversen, in denen er einen mächtigen Elfenkönig gibt. Zuwenig gehuldigt, lautet am Ende eines langen, anstrengenden Pärchenabends seine Diagnose. Zum Kreis gehören noch Sheila (Taneshia Abt), deren Beitrag im Nichtanerkennen des Beziehungsendes mit ihrer Freundin besteht, und der seltsame Kurt, der Jan gleich zum besten Freund erklärt. Heimlich eingeladen hat Oliver Pias Ex Matthias (Stephan Luca), Zahnarzt und Superangeber.
Einige Sottisen und Brettspiele später duellieren sich Matthias und Jan beim Nackig-Pingpong um Pia, während Alex den entflogenen Kakadu Helmut Kohl sucht und einem irren Nachbarn (Bernd Hölscher) in die Wildschweinfalle geht. Kindermädchen Gabrielas (Alfonsina Bencosme) Beitrag führt zu weiterem Chaos, der Zahnarzt erbricht Muttermilch im Zoo, wo er es mit dem Tiger aufnehmen will.
Zum Schluss sind die meisten wieder in der Spur, haben sich alle wieder furchtbar lieb und sind entschlossen, die gemeinsame Brettspieltradition auf ein neues Niveau zu heben. Sogar mit jemandem, der auf höhere Schulbildung pfeift (und laut einiger Mitspielerinnen-Rollenprosa ansonsten einen prächtigen Eindruck gemacht hat). Nicht zuletzt der harmonische Ausklang macht "Spieleabend" als Humorstück unglaubwürdig. War alles nicht so gemeint. Darüber kann man dann nicht mal trotzdem lachen.
infobox: "Spieleabend", Komödie, Regie: Marco Petry, Buch: Claudius Pläging, Kamera: Marc Achenbach, Produktion: W & B Television (Netflix, seit 12.7.24)
Zuerst veröffentlicht 16.07.2024 15:57
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Spielfilm KNetflix, Hupertz, Spieleabend
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