Nicht alle Bundesländer nennen die Nationalität von Tatverdächtigen - epd medien

02.08.2024 08:42

Seit einigen Jahren wird in den Bundesländern diskutiert, ob die Polizei in ihrer Pressearbeit die Nationalität von Tatverdächtigen nennen soll. In Nordrhein-Westfalen soll die Polizei künftig in der Regel die Staatsangehörigkeit nennen. Eine epd-Umfrage ergab, dass dies in einigen Bundesländern schon seit Jahren so gehandhabt wird. Andere wollen die Nationalität nur in "begründeten Ausnahmefällen" nennen.

Die Staatsangehörigkeit eines Tatverdächtigen darf von der Polizei nicht genannt werden, wenn dieser dadurch identifiziert werden kann.

Frankfurt a.M. (epd). Ob die Polizei in Pressemitteilungen die Nationalität von Tatverdächtigen nennt, ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen will die Polizei anweisen, künftig in der Regel die Staatsangehörigkeit zu nennen. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wird das schon seit einigen Jahren so gehandhabt. Die Mehrzahl der Bundesländer ist jedoch weiterhin zurückhaltend bei der Nennung der Nationalität und orientiert sich am Pressekodex, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei den Innenministerien und Polizeibehörden ergab.

Mit der Veröffentlichung der Nationalität will die Polizei in NRW Transparenz schaffen, wie das Innenministerium Anfang der Woche mitgeteilt hatte. Die Nennung sei "immer häufiger Teil von journalistischen Nachfragen", erklärte ein Ministeriumssprecher. Die Polizei wolle so "Spekulationen vorgreifen" sowie dem Vorwurf entgegentreten, "etwas verschweigen zu wollen".

Ausnahmen in Einzelfällen

Die drei ostdeutschen Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nennen bereits grundsätzlich die Nationalität eines Tatverdächtigen. In Sachsen etwa gilt eine Kommunikationsrichtlinie, nach der die Staatsangehörigkeit eines Tatverdächtigen zu nennen ist, wenn diese bekannt ist. Von der Regelung sei abzuweichen, wenn dadurch der Betroffene identifiziert werden könne, erklärte das Sächsische Staatsministerium des Innern.

Die Polizei des Landes Brandenburg veröffentlicht grundsätzlich die Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen und Geschädigten, wenn diese zweifelsfrei feststeht, von Relevanz für die Bedeutung der Straftat ist und keine formalen Gründe einer Veröffentlichung entgegenstehen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde die Landespolizei Anfang 2020 mit einer den Medienerlass ergänzenden Verfügung angewiesen, grundsätzlich die Nationalität der Beteiligten zu nennen. Dem Gleichheitsgrundsatz folgend solle dies in jedem Fall, auch bei der deutschen Staatsangehörigkeit, erfolgen. Ausnahmen können im Einzelfall aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes gemacht werden.

Einer Verbreitung von Fake News frühzeitig entgegentreten.

Auch im Saarland erteilt das Landespolizeipräsidium in seinen Pressemeldungen in der Regel Auskunft über die Nationalität der Beteiligten, insbesondere dann, wenn es aus Sicht der Polizei zum Verständnis des Sachverhaltes erforderlich ist - beispielsweise bei fremdenfeindlich motivierten Straftaten. Grundsätzlich gehe die Polizei mit der Nationalität von Tatverdächtigen oder anderen Personen offensiv um, wenn es keine Hindernisgründe gebe. Das Landespolizeipräsidium teilte dem epd mit: "Damit beugen wir aus unserer Sicht dem Vorwurf vor, die Polizei wolle etwas verheimlichen. Außerdem versuchen wir damit, einer Verbreitung von Fake News frühzeitig entgegenzutreten."

Alle anderen Bundesländer berufen sich auf den Pressekodex. Der gibt vor, dass im Einzelfall erwogen werden soll, ob die Nennung der Nationalität geboten ist. Damit soll Diskriminierung verhindert werden. In den Ländern gibt es dazu jeweils eigene Leitlinien, Erlasse, Landespressegesetze oder einen Medienkodex für die Polizei. Das Innenministerium von Baden-Württemberg teilte mit, "ein möglicher Migrationshintergrund eines Tatverdächtigen ist für die Berichterstattung nur im begründeten Ausnahmefall von Belang".

Sonderfall Bundespolizei

In mehreren Bundesländern, dazu gehören Bremen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, wird die bestehende Praxis derzeit neu bewertet oder die Regelungen überarbeitet. Das kann möglicherweise zu Änderungen führen. Keine Änderungen bei der Nennung der Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen sind derzeit in Bayern, Berlin, Hessen und Niedersachen vorgesehen. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums gibt es keine schriftlichen Regelungen für die Nennung der Nationalität in Pressemitteilungen der bayerischen Polizei.

Ein Sonderfall ist die Bundespolizei. "Sofern die Identität beschuldigter oder betroffener Personen zweifelsfrei feststeht, steht die Nennung der Staatsangehörigkeit im Interesse der Öffentlichkeit", erklärt eine Sprecherin. Dies sei bei der Bundespolizei grundsätzlich der Fall, "weil die Nationalität der Personen regelmäßig unmittelbare Auswirkungen in rechtlicher Hinsicht entfaltet". Die Staatsangehörigkeit gehöre zum Sachverhalt. Aufgrund der Internationalität der Personen, die durch den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei - Grenzen, Bahnhöfe und Flughäfen - reisen oder sich dort aufhalten, betreffe dies sowohl die Beschuldigten als auch die Geschädigten.

Nachdem es in der Silvesternacht 2015/2015 in Köln zu zahlreichen sexuellen Übergriffen von jungen Männern aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum auf Frauen gekommen war, wurde in Deutschland darüber diskutiert, ob die Nationalität von mutmaßlichen Straftätern grundsätzlich genannt werden sollte. Der Presserat änderte 2017 die entsprechende Richtlinie des Pressekodex'. Hieß es vorher, dass es einen "begründeten Sachbezug" zu der Tat geben müsse, um die Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen, so reicht seither ein "begründetes öffentliches Interesse". In der Folge änderten einige Länder ihre Richtlinien für die Pressemitteilungen der Polizei.

infobox: Der Pressekodex ist eine Sammlung journalistisch-ethischer Grundregeln, die den Charakter einer freiwilligen Selbstverpflichtung hat. Laut Pressekodex ist in der Berichterstattung über Straftaten darauf zu achten, dass "die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse." Besonders sei zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

koe/dir



Zuerst veröffentlicht 02.08.2024 10:42 Letzte Änderung: 02.08.2024 14:36

Schlagworte: Medien, Polizei, Kriminalität, Ausländer, koe, Roether, NEU

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