11.08.2024 23:22
Frankfurt a.M. (epd). Der Medienrechtler Jan Christopher Kalbhenn plädiert dafür, ARD, ZDF und Deutschlandradio mehr Angebote im Internet zu ermöglichen: "Um die Innovationskraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entfesseln, sollten sämtliche Restriktionen im Onlinebereich abgeschafft werden", schreibt er in einem Arbeitspapier mit dem Titel "ARD, ZDF und DLR im Wandel - Reformideen und Zukunftsperspektiven". Es wurde am Montag von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main veröffentlicht.
Wie der Auftrag bei einem Wegfall der Online-Restriktionen erfüllt wird, sollte "weitestgehend Aufgabe der Rundfunkanstalten" sein, erklärte Kalbhenn. Die Sender würden dann selbst entscheiden, wie die Inhalte am besten die Nutzerinnen und Nutzer erreichen. Kalbhenn ist Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Münster. Zuvor war er Geschäftsführer am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster (ITM).
Abgeschafft werden sollte nach Kalbhenns Empfehlung unter anderem die Regelung, dass die Online-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen nicht presseähnlich sein dürfen. Dieses Verbot sei "im Zeitalter nahezu vollständig konvergenter Medienangebote nicht mehr zeit- und sachgemäß und widerspricht dem Ziel der Barrierefreiheit", schreibt der Medienrechtler. Der Fokus sollte "gesetzgeberisch auf Kooperationen zwischen Presse und Rundfunk gelegt werden". Die Zeitungsverlage werfen seit Jahren den Rundfunkanstalten vor, presseähnliche Webangebote zu betreiben. Im Mai reichten sie dazu eine Beschwerde bei der EuropäischenKommission ein.
Zu den Restriktionen, die Kalbhenn für hinderlich hält, gehört auch der Drei-Stufen-Test, in dem die Aufsichtsgremien der Sender prüfen, ob diese neue oder wesentlich veränderte Online-Angebote "den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft" entsprechen.
Außerdem müssen unabhängige Gutachter die marktlichen Auswirkungen untersuchen. Eine übermäßige Beeinträchtigung des Wettbewerbs soll verhindert werden. Dieser "völlig überfrachtete und ausufernde Drei-Stufen-Test" sollte nach Auffassung Kalbhenns abgeschafft werden: "Gerade im digitalen Bereich sind Flexibilität und Beweglichkeit wichtig, die durch langwierige und bürokratische (Genehmigungs-)Verfahren gehemmt werden."
So dürfen ARD und ZDF zum Beispiel seit Juli 2023 in ihren Mediatheken auch angekaufte außereuropäische Filme und Serien anbieten, zuvor waren nur europäische Werke zulässig. Nicht europäische Lizenzware in den Mediatheken muss jedoch laut Medienstaatsvertrag einen Beitrag zu Bildung oder Kultur leisten und zusätzlich "in besonderem Maße zum öffentlich-rechtlichen Profil beitragen". Außerdem gelten hier zeitliche Befristungen zur Dauer des Online-Abrufs. Auch solche Beschränkungen seien aufzuheben, fordert Kalbhenn: "In einer globalisierten Welt gehört es zum Kulturauftrag, auch nicht-europäische Werke restriktionslos (in den Mediatheken) zu zeigen. Auch entspricht es dem Auftrag, die internationale Verständigung zu fördern."
Kalbhenn hält es darüber hinaus für notwendig, "Vorkehrungen zu treffen, um in zukünftig medial unterversorgten Regionen auch die Grundversorgung mit lokaler Berichterstattung sicherstellen zu können". Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könne "eigenproduzierte Inhalte in gewissem Umfang zuvor akkreditierten lokalen Medien zur Verfügung stellen, um deren Angebote aufzuwerten und zu stabilisieren", so der Medienrechtler. Den Sendeanstalten ist gemäß Medienstaatsvertrag eine flächendeckende lokale Berichterstattung im Internet untersagt.
Seit Juli 2023 können ARD und ZDF bei ihren TV-Spartenkanälen in Abstimmung mit ihren Aufsichtsgremien entscheiden, ob diese in nonlineare Online-Angebote umgewandelt werden. Bislang haben die Anstalten davon nicht Gebrauch gemacht. Die ARD hat bereits Anfang 2023 die Abschaffung eines TV-Spartenkanals angekündigt, bisher aber noch nicht konkretisiert, um welches Programm es gehen soll. Hier sieht Kalbhenn ARD und ZDF am Zug: "Wenn die Rundfunkanstalten nicht die Kraft aufbringen, lineare Spartenkanäle zu streichen oder zusammenzulegen, sollte die Medienpolitik den Anstalten diese Entscheidung durch Gesetzgebung abnehmen."
Der Medienrechtler regt in dem Arbeitspapier ferner an, die Bündelung aller öffentlich-rechtlichen Angebote auf einer gemeinsamen Online-Plattform zu prüfen. Es gehe dabei um "ein echtes Gemeinschaftsangebot unter Einbeziehung aller Rundfunkanstalten". Der Medienrechtler verweist hier auf die Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einem wirksamen Gegengewicht zu den profitorientierten privaten Online-Plattformen. Um dem gerecht zu werden, "bräuchte es eine entsprechend 'schwere‘ gemeinsame öffentlich-rechtliche Plattform". Dies werde zukunftsentscheidend sein.
Die Sendeanstalten kündigten im Mai an, dass sie eine gemeinsame Tochterfirma für den Betrieb ihrer Streaming-Angebote gründen wollen. Inhalte der ARD sind inzwischen auch über die ZDF-Mediathek zu finden und solche des ZDF über die ARD-Mediathek.
Dass die Bundesländer den Auftrag der Anstalten so ergänzen wollen, dass sie "die kulturell-föderale Vielfalt in Deutschland publizistisch abbilden", unterstützt Kalbhenn. Dies sei im Medienstaatsvertrag zu verankern, "um die kulturell-föderale Vielfalt auch im Digitalen zu sichern und sichtbar zu halten". Außerdem schlägt Kalbhenn vor, "den regionalen Auftrag der ARD konkreter zu definieren". So könne beispielsweise als "regionale Ebene der Landkreis (und kreisfreie Städte)" festgeschrieben werden. Für diese Gebiete seien "dann alle wesentlichen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen abzubilden".
In dem Papier werden die Reformpläne der Rundfunkkommission der Bundesländer zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Reformvorschläge des von den Ländern eingesetzten Zukunftsrats analysiert. Der Autor macht darüber hinaus eigene Vorschläge, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stärken.
Kalbhenn fordert, die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müsse diesen für die Zukunft so aufstellen, dass er seinen Informations- und Bildungsauftrag erfülle. Der Medienrechtler und die Otto-Brenner-Stiftung kritisieren, dass bei diesem Reformprozess die Beschäftigten der Rundfunkanstalten bisher wenig Gehör finden: Sie hätten ihre Perspektiven kaum einbringen können. Aber auch die Bürger und damit die Beitragszahler seien einzubeziehen, heißt es in dem Arbeitspapier. Denkbar wäre, "einen Beitragszahlerrat" zu schaffen. Dieser Rat, dessen Mitglieder nach dem Losprinzip festgelegt werden sollten, könne "als ständiges Gremium Impulse zu Programm und Technik" liefern.
vnn
Zuerst veröffentlicht 12.08.2024 01:22 Letzte Änderung: 12.08.2024 09:37
Schlagworte: Medien, Medienpolitik, ARD, Reformen, Kalbhenn, OBS, vnn, NEU
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