Männliche Rollenbilder - epd medien

16.08.2024 07:25

Von "toxischer Männlichkeit" ist meist die Rede, wenn Männer deutlich aggressiv auftreten und von Frauen erwarten, dass sie sich ihnen unterordnen. Für das Format "Terra Xplore" im ZDF versucht der Psychologe Leon Windscheid zu ergründen, was das ist. Doch die dreiteilige Dokumentation nimmt keine Begriffsklärung vor und verhandelt zu viele Themen, findet Jannek Suhr.

Leon Windscheid spricht mit Schülerinnen und Schülern über Männlichkeitsbilder

epd Dominant, aggressiv, frauenfeindlich: das sind Attribute, die mit dem Begriff toxische Männlichkeit assoziiert werden. Eine klare Definition allerdings gibt es nicht und die Verwendung des Begriffs führt immer wieder zu Streit. Zwischen radikalen Feministinnen und reaktionären Männern kommt es regelmäßig zu Anfeindungen, in anderen Kontexten gibt es aber auch sachliche und konstruktive Diskussionen darüber, inwieweit die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit angepasst werden müssen. Nun nimmt sich die Wissenschaftssendung "Terra Xplore" im ZDF des Themas an. Hintergründe zur Entstehung des Begriffs toxische Männlichkeit, der für die drei Folgen als thematische Überschrift dient, liefert die Sendung allerdings nicht. Bedenkt man, wie umstritten und uneindeutig der Begriff ist, ist das ein deutliches Defizit.

Die vom Psychologen und Moderator Leon Windscheid präsentierte Sendung beginnt mit der Frage, warum Männer öfter Suizid begehen. Windscheid spricht darüber mit dem promovierten Informatiker Thomas Reinbacher, der eine tiefe Depression überwunden hat und sich fragt, ob seine Vorstellung von Männlichkeit ein Grund dafür ist, dass er sich seine Krankheit lange nicht eingestehen wollte.

Konservative Werte

Anschließend spricht Windscheid mit dem Psychologen Markus Theunert, der das Schweizer Institut für Männer- und Geschlechterfragen leitet. Er sagt, die Vorstellungen von Männlichkeit seien derzeit sehr fluide. Manche Männer versuchten, alte Männlichkeitsideale wie Stärke, Macht oder Härte aufzubrechen, andere Männer wollten zu den alten Idealen zurück und schließlich gebe es Männer, die die Veränderungen gut finden, aber unbewusst noch stark von den alten Vorstellungen beeinflusst sind.

Die Kulturwissenschaftlerin Marie Luise-Witwer, die frauenfeindliche Videos auf Tiktok untersucht hat, erklärt, die Videos zeigten, dass es Männer gibt, die sich konservative Werte und Rollenaufteilungen wünscht. Ihnen müsse man etwas entgegensetzen und klarmachen, dass Frauen sich ein emotionales Gegenüber wünschen. Doch es wird nicht erklärt, wer solche Videos macht und wie sie sich verbreiten.

Die Dokumentation zitiert zahlreiche Studien. Es wirkt ein wenig so, als sei es der Redaktion schwergefallen, das komplexe Thema einzugrenzen. Die wissenschaftliche Ausrichtung des Formats trifft auf Medienreflexion und auf die emotionale Präsentation einzelner Biografien. So relevant jeder Aspekt ist, am Ende fehlt Zeit für Erläuterungen und Tiefe.

Unterschiedliche Perspektiven

Folge zwei, die sich mit den Ursachen von häuslicher Gewalt durch Männer befasst, und Folge drei, in der es um Geschlechterstereotype geht, sind etwas besser strukturiert. Trotzdem fehlt es auch hier manchmal an Klarheit bezüglich Fragestellung und Gegenstand. In der zweiten Folge wird das Thema in Gesprächen mit Betroffenen, einer Therapeutin und einer Soziologin recht konsistent abgehandelt, eine Innenstadt-Umfrage dazu wirkt allerdings deplatziert. In Folge drei wiederum vermischt sich die Frage nach stereotypen Männlichkeitsbildern stark mit Vorurteilen aufgrund von ethnischer Erscheinung.

Am stärksten ist die Dokumentation dann, wenn sie es schafft, wertfrei unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen und Fragen zu stellen. Avi Jakobs, bekannt aus der Reality-Show "Queer Eye Germany", wurde als Junge großgezogen und definiert sich als non-binär. Sie äußert den Wunsch, dass die Menschen Stereotype komplett beiseiteschieben. Ein Mann, der sich im femininen Look am wohlsten fühlt, meint dagegen, dass Stereotype für ihn durchaus wichtig seien, um abzuschätzen, in welchen sozialen Gruppen er sich ungefährdet bewegen kann.

Aufschlussreiche Auseinandersetzungen

Sehr interessant sind auch die Antworten von Schülerinnen und Schülern auf Fragen zu Männlichkeitsbildern. Hier wird das Spannungsfeld deutlich: Wenn die Jugendlichen zunächst am Computer ihren "idealen Mann" entwerfen, setzen einige vor allem auf körperliche Stärke und Zielstrebigkeit, andere auf Freundlichkeit und einen liebevollen Familienmenschen. Anschließend sollen die Jugendlichen unterschiedlichen Aussagen zustimmen oder diese ablehnen. Einige Schülerinnen wünschen sich explizit, dass ein Mann für sie und die Familie sorgt.

Ein Schüler sagt, er würde gern als Pfleger arbeiten. Er stört sich nicht nur an der meist geringen Bezahlung, sondern auch daran, dass der Beruf als unmännlich wahrgenommen werde. Die Schülerinnen und Schüler diskutieren auch über die Frage, ob es unattraktiv ist, wenn Männer sich die Nägel lackieren. Es hätte nicht geschadet, diese unaufgeregten, aber kontroversen und aufschlussreichen Auseinandersetzungen noch stärker in den Fokus zu rücken und dem Dreiteiler eine andere Überschrift zu geben.

infobox: "Terra Xplore: Toxische Männlichkeit", dreiteilige Dokumentation mit Leon Windscheid, 1. "Männer unter Druck", 2. "Häusliche Gewalt: Warum schlagen Männer zu?", 3. "Wenn du nicht ins Rollenbild passt", Regie und Buch: Nadja Kölling, Swea Schilling, Kamera: Samir Annouri, Jan Tegethoff, Björn Lindenblatt, Luca Zanner u. a., Produktion: Doclights (ZDF-Mediathek, seit 5.8.24, ZDF, 8.9., 16.9. und 6.10.24, jeweils 18.30-19.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 16.08.2024 09:25

Jannek Suhr

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Suhr

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