29.08.2024 09:09
epd Der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Autor Matthias Schmidt vermittelt in seiner Dokumentation unangenehme Botschaften mit empathischer Nähe. Schmidt hat sich die Aufarbeitung ostdeutscher Geschichte(n) zur Aufgabe gemacht. 2004 erhielt er einen Grimme-Preis für "Die Bühnenrepublik" über 40 Jahre DDR-Theater.
"Immer wieder begegnen mir die langen Schatten der DDR", sie sei immer noch die Bezugsgröße im Leben der Menschen, stellt Schmidt fest. Dass gerade jetzt, vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, die Stimmung kippt, scheint offenbar nur Westdeutsche zu überraschen.
zitat: Jetzt knallt's halt.
Schmidt zitiert aus einem "Tagesthemen"-Kommentar von Marieke Reimann, der aus Rostock stammenden Zweiten SWR-Chefredakteurin: "Hätte sich die Politik früher mit den Menschen im Osten auseinandergesetzt, wäre klar gewesen, hier gibt es so viele strukturelle Ungleichheiten, da knallt es irgendwann. Und jetzt knallt’s halt." Später erinnert sie sich im Interview an ihre Erfahrungen mit TV-Figuren wie "Captain Chemnitz", "sächsisch, Bratwurst, arbeitslos. Das zog sich durch die Comedyshows der 90er." Während die einen ihre Identität von Grund auf neu finden mussten, waren die anderen saturiert und süffisant.
Matthias Schmidt reist zu den Unzufriedenen. Allein in Leipzig habe es 2022 rund 1.700 Kundgebungen gegeben. In Sömmerda findet er eine riesige Plakatwand, auf der mit der Bundesregierung abgerechnet wird: Kriegstreiber, Profiteure und ein Kotz-Emoji. Kritik an der Unterstützung der Ukraine zieht sich immer wieder durch die Proteste, auch im brandenburgischen Dahme/Mark. Es müsse doch möglich sein, im Land eine klare Meinung zu haben, Probleme aufzuzeigen und zu besprechen, sagt Bürgermeister Thomas Willweber (Bündnis FWG/CDU), der auch die Montagsdemonstrationen im Ort mitgestaltet.
Amtsperson und Protestler? Das sei kein Widerspruch mehr, sagt der Soziologe Steffen Mau. Im Osten würden immer mehr Bürgermeister und Landräte gewählt, weil sie nicht in einer der Volksparteien seien. Und auch die Medien haben einen schlechten Ruf. "Presse und Altparteien" hätten keine Ahnung, seien "dumm wie Stulle", motzt ein Demonstrant vor Schmidts Kamerateam. Und "dann fallen Sätze, die wir nicht senden, weil sie mehr sind, als Wut", ergänzt er diplomatisch.
"Deklassierungs- und Entfremdungserfahrungen" riefen diese Wut hervor, sagt Mau. Während die Westdeutschen nach 1949 ihr Wirtschaftswunder hätten genießen können, "ökonomisch in die Demokratie geholt wurden", habe in der DDR nach 1989 eine Deindustrialisierung eingesetzt. Demokratie werde im Osten nicht als Verfahren des Interessenausgleichs verstanden, analysiert Mau, sondern als "unmittelbarer Volkswille, die Ostdeutschen gucken nach der Leistung".
Im Kontrast dazu sucht Schmidt auch nach versöhnlichen Bildern, findet sie als Passagier der Thüringer Waldbahn, die ihn weiter in die Provinz führt. Dort, wo sie klagen, man dürfe nicht mehr sagen, dass man sein Land liebe, dass Flüchtlinge sich nicht integrierten oder das Geld besser für Not und Elend in Deutschland investiert werden solle.
Auffällig ist, dass es bei den Protesten stets um emotionale und symbolträchtige Themen wie Frieden, Gendern oder Meinungsfreiheit geht, selten aber um strukturelle Probleme vor Ort. Auch Schmidt deutet das beiläufig an: "Auf den ersten Blick gibt es sehr viele blühende Landschaften", auf den zweiten zeige sich, wie sehr sie sich immer noch leeren. Sein Reisebericht schildert auch die wehmütige Erfahrung der Ostdeutschen, nicht angekommen zu sein.
Autor Schmidt zeigt Mitgefühl für seine dissidenten Protagonisten und deren ethischen Zwiespalt. Der Kabarettist Jan Grasnick aus dem Vogtland bilanziert: "Reden ist anstrengend, lohnt sich aber". Der Frust steckt jedoch tiefer, ist rational auch in noch so sensiblen Begegnungen nicht erfassbar. Viele, das räumt Schmidt ein, hätten mit ihm gar nicht reden wollen: "Sie äußern ihre Meinung - oder ist es Wut? - in den Wahlkabinen."
infobox: "Wut. Eine Reise durch den zornigen Osten", Dokumentation, Regie und Buch: Matthias Schmidt, Kamera: Henning Malz, Paul Kraneis; Produktion: Savidas-Film (MDR, 21.8.24, 21.00-21.45 Uhr und bis 15.8.26 in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 29.08.2024 11:09
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KMDR, Dokumentation, Schmidt, Dehler
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