Präzise reproduzierbar - epd medien

04.09.2024 09:47

Die 3sat-Doku "Künstliche Musik - Die KI-Revolution im Pop" zeigt, dass Künstliche Intelligenz in der Gebrauchsmusik längst eingesetzt wird. Alles scheint möglich.

Musikproduzent Thomas Foster

epd Ein Studioraum. Eine Sängerin singt ein melodisches Motiv aus vier Tönen: S-W-R-3. Vor ihr sitzt ein Mann vor Computerbildschirmen, kehrt ihr den Rücken zu, überwacht das Ergebnis ihres Gesangs. Leicht bewegt sie sich im Rhythmus und singt wieder. Und wieder. "Monika Ballwein singt auf großen Bühnen", erfahren wir von einer Stimme aus dem Off, "ist Gesangscoach und Station-Voice von zwölf Radiosendern in Deutschland und Österreich". Auf einem Computerbildschirm sieht man die bunte Oberflächengrafik eines Musiksequencerprogramms, man sieht, wie die Zahl der belegten Spuren anwächst, eine Spur nach der nächsten, rhythmisch nahezu identisch, exakt übereinandergesetzt. Ein Jingle, Routinearbeit einer Studiomusikerin.

Der Produzent Thomas Foster, der Mann vor dem Bildschirm, genießt die eingespielte, reibungslose Zusammenarbeit, nennt sie "sensationell". Er lobt die Sängerin und schiebt nach, dass er täglich mit einem Tool arbeitet, das ihm ermöglicht, mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) die Gesangsstimme am Rechner zu erzeugen: "Zum Komponieren möchte ich nie wieder anders arbeiten als mit so einem KI-Tool, mit dem man Gesang machen kann, weil man alles ausprobieren kann und sofort das Endresultat hört. Das ist für mich unbezahlbar großartig."

Produkt eines Algorithmus

Nun tritt Foster frontal vor die Kamera. Das Bild des freundlichen, mitteljungen Mannes verändert sich, alle Oberflächen nehmen eine metallische Tönung an, der Mann morpht zum Avatar, morpht zurück zum Menschen, zum Cyborg. Damit sind wir beim Thema von "Künstliche Musik - Die KI-Revolution im Pop".

Ein Popsong aus dem Computer, als Produkt eines Algorithmus? Das klingt nicht sehr romantisch, ist aber längst Alltag. Ein wiederentdeckter Beatles-Song, auf dem die Stimme des echten John Lennon in einem perfekt gegenwärtigen Soundumfeld zu hören ist? Eine Kooperation von David Guetta mit der Stimme von Eminem? Alles möglich. Eine Handvoll Regeln und Formeln genügen, um Rhythmen, Harmonien und Melodien in einen erprobt angenehmen Zusammenhang zu bringen und mit einer Prise Reibung abzuschmecken. Wo die Musikindustrie im Spiel ist, ist die Musik oft industriell gefertigt: präzise, reproduzierbar, verlässlich.

Relativ neu ist, dass die Rechnerkapazität, die zur Musikproduktion nötig ist, in jedem PC, in jedem Smartphone steckt. Für Musiker und Musikerinnen wird es eng, für Instrumentalisten sowieso, aber auch für Vokalistinnen, auf die das Publikum den menschlichen Faktor in der Musik projiziert. Monika Ballwein ahnt es schon: "Diese neue Entwicklung mit KI-Stimmen ist natürlich für uns Sänger*innen sehr spannend", sagt sie diplomatisch. "Ein bisschen mit Angst behaftet, klarerweise, weil wir ja nicht wissen, inwiefern werden wir schon auch ersetzt." Auch die Sängerin wird zu ihrem eigenen Avatar.

Umstandslose Easyness

Die Dokumentation von Hanna Langreder und Karsten Gravert zeigt: KI wird im Sektor der Gebrauchsmusik, also vor allem zwischen Elektro und analoger Popmusik, längst eingesetzt. Alles scheint möglich. Alles, womit die Maschinen trainiert wurden, die solche Musik wiederum leidenschaftslos ausspucken, perfekt, von einem Moment auf den anderen. Der Prozess des Komponierens verwandelt sich in einen Prozess des Auswählens zwischen den Varianten, die der Algorithmus vorschlägt.

Man kann diese neue, umstandslose Easyness vorbehaltlos begrüßen und mit den entgrenzten Möglichkeiten herumspielen. Wenn man fantasievoll und einfallsreich ist, kann man der Software befehlen, außergewöhnliche Musik zu komponieren und man kann das Ende des Geschäftsmodells "Musiker" damit ein bisschen hinauszögern, dass man im Netz seine eigene Stimme gegen Gebühr zur Verfügung stellt. Das allerdings funktioniert nur, wenn man bereits berühmt ist.

infobox: "Künstliche Musik - Die KI-Revolution im Pop", Dokumentation, Regie und Buch: Hanna Langreder, Karsten Gravert, Produktion: Kobalt Productions (3sat/ZDF, 31.8.24, 19.20-20.00 Uhr und in der 3sat-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 04.09.2024 11:47

Stefan Hentz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, KZDF, Dokumentation, Langreder, Gravert, Hentz

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