Das Bild vom Osten - epd medien

22.10.2024 08:04

Wie stark ist das Bild von Ostdeutschland von den Medien geprägt? In der Dokumentation "Es ist kompliziert ... - Der Osten in den Medien" gehen Tino Böttcher, Anett Friedrich und Christoph Peters der Frage nach, wie die medialen Zuschreibungen wirken.

Tino Böttcher führt durch die MDR-Dokumentation "Der Osten in den Medien"

epd Medien berichten selten über sich selbst und üben sich noch seltener in Selbstreflexion. Nun hat der MDR eine umfangreiche Analyse über das mediale Erscheinungsbild Ostdeutschlands präsentiert. Dafür wurden im Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis 12. August 2024 in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig mehr als 311 Millionen Presseerzeugnisse ausgewertet. Untersucht wurde, welche Begriffe in den vergangenen 35 Jahren besonders häufig medial verwendet wurden, wenn Artikel die Begriffe "Ostdeutschland", "ostdeutsch" oder "Ostdeutsche" beinhalteten.

Das Ergebnis: Negative Begriffe sind in den Texten stark überrepräsentiert. Zusätzlich gab es eine Auswertung von Artikeln, die jeweils rund um den 3. Oktober veröffentlicht wurden. Die so gesammelten Stimmungsbilder wurden für die einzelnen Jahrzehnte mithilfe Künstlicher Intelligenz illustriert: als Porträtfotos, auf denen die Ostdeutschen Dekade für Dekade vorwiegend wütend, resigniert oder skeptisch dreinblicken.

Medien schaffen Realität

Der sympathische Präsentator Tino Böttcher fragt bei den Akteuren, Betroffenen und Experten nach, was die journalistischen Berichte auslösen: "Medien berichten über Realität, aber mit dem, was sie berichten, schaffen sie auch eine Realität." Ein drastischstes Beispiel ist der Skandal von Sebnitz. 1997 ertrank in der sächsischen Kleinstadt ein Junge im Freibad. Drei Jahre später machte "Bild" mit dem Vorwurf der Mutter Schlagzeilen, 50 Neonazis hätten das Kind in aller Öffentlichkeit ertränkt. Daraufhin brach ein internationaler Mediensturm aus, die Sebnitzer wurden als Nazis gebrandmarkt und bedroht. Tage später gab die Mutter an, sie habe das erfunden. Doch die Sache war in der Welt.

Die Dokumentation zeigt eine Szene aus einer Talkrunde des MDR ein Jahr später. Die befragten Lokaljournalisten räumten ein, ahnungslos auf die "Bild"-Story aufgesprungen zu sein: "Wir hatten nichts", sagen sie - und deswegen schrieben sie ab.

Schreib über Stasi und Doping

Hajo Schumacher, ehemaliger Autor des "Spiegel" erzählt, wie die Redaktion über den Osten sprach: "Der Kampfauftrag lautete: Fahr rüber, schreib eine Story über Sportler und Stasi oder Doping oder am besten beides." Er habe über Eduard Geyer geschrieben, eine DDR-Fußballlegende und früher 21 Jahre lang Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi-IM. "Stand mir das zu, als junger, relativ ahnungsloser Journalist über ein Leben zu richten?", fragt Schumacher heute. "Das Ringen um Verständnis ist viel zu kurz gekommen."

33 Titel-Geschichten habe der "Spiegel" über den Osten gemacht, sagt Böttcher, mit Negativthemen wie Rassismus, Stasi, Geld. Im Februar 1995 gab es den Titel "Milliardengrab Ost" - illustriert mit einem Märchenmotiv: ein Mädchen, durch dessen löchriges Kleid die Sterntaler rieseln.

Ein wesentlicher Grund für den West-Bias der Berichte sind die Eigentumsverhältnisse. 120 lokale Zeitungen seien nach der Wende gegründet worden, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Mandy Tröger, als "Plattformen demokratischer Diskurse", doch übrig blieben fast nur die zehn ehemaligen SED-Bezirkszeitungen, die 1991 für 850 Millionen Mark an westliche Verlage verkauft wurden. "Zeit"-Journalist Christoph Diekmann, einer der wenigen Journalisten aus dem Osten, die im Westen arbeiten, sagt: "Die Ostmedien wurden abgeschaltet, so wie der DDR-Staat unterging." Ihn ärgert, dass seither alles "fremdbestimmt und fremdbebildert wird", dass Jahrestage und Zeitgeschichte nur mit West-Optik daherkommen.

Klischee-Bilder vom Osten

Auch der MDR selbst, die Drei-Länder-Anstalt für Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, die im Januar 1992 gegründet wurde, wird kritisiert. Damals seien westdeutsche Rundfunkstrukturen eins zu eins auf den Osten übertragen worden, der Bayerische Rundfunk und der von dort stammende Gründungs-Intendant Udo Reiter hätten alles dominiert. Jörg Howe, von 1993 bis 1996 Redaktionsleiter beim MDR und ebenfalls aus dem Westen, sagt: "Letztlich sollten wir Quote machen." Etwa mit dem neuen ARD-Boulevardformat "Brisant", das er damals mit entwickelte und verantwortete.

Erwähnt wird auch Springer-Vorstand Matthias Döpfner, dessen private Chats, in denen er geschrieben hatte, "die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten" und man solle das Land zur "Agrar- und Produktionszone mit Einheitslohn" umwandeln, im Jahr 2023 geleakt wurden. Die Rostockerin Marieke Reimann, derzeit noch Zweite Chefredakteurin des SWR, zeigte sich darüber "nicht überrascht". Ähnliches habe sie in westdeutschen Redaktionen öfter gehört.

Unterhaltsam ist die Dokumentation wegen ihrer Fülle an tragikomischem dokumentarischem Material. Das ikonografische Cover "Zonen-Gaby (17): Meine erste Banane", das die Satirezeitschrift "Titanic" im Dezember 1989 veröffentlichte, sei damals in einem Fotostudio im Taunus entstanden, verrät "Titanic"-Mitarbeiter Hans Zippert: "Wir haben fast geschrien vor Lachen - das trifft die Klischees." Die Doku illustriert das mit einer körnigen Filmsequenz aus den 90ern, in der ein Marktschreier Bananen in die Menge wirft.

Keine Normalisierung

Als Vertreter der jungen Journalisten-Generation im Osten lästert Josa Mania-Schlegel, Redakteur der "Leipziger Volkszeitung", über die Klischees bei Spiegel TV: "Krasse Neonazis, Antifa, herumpöbelnde AfD-Wähler in der Provinz." Es gebe keine Normalisierung, beklagt er. In Schwaben werde über kulinarische Spezialitäten berichtet, in Thüringen nur über den Koch der AfD.

Entsprechend hat sich auch im mithilfe von KI generierten medialen Erscheinungsbild der Ostdeutschen binnen dreier Dekaden wenig geändert. Der "KI-Ossi 2024" ist "ein mürrischer Typ in Protesthaltung, etwas ungepflegt", sagt Böttcher. Solche stark verallgemeinernden Aussagen und selbst erfüllende Prophezeiungen seien, warnt er, ein "Problem für die Gesellschaft".

infobox: "Es ist kompliziert ... - Der Osten in den Medien", Dokumentation mit Tino Böttcher, Regie und Buch: Anett Friedrich, Christoph Peters, Kamera: Falco Seliger, Fabian Welther, Nicolas Hecker, Produktion: Hoferichter & Jacobs Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft mbH (MDR, 10.10.24, 20.15-21.45 Uhr, in der ARD-Mediathek bis 3.10.25)



Zuerst veröffentlicht 22.10.2024 10:04

Dieter Dehler

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KMDR, Dokumentation, Böttcher, Friedrich, Peters, Dehler

zur Startseite von epd medien