12.12.2024 08:59
Frankfurt a.M. (epd). Wenn deutsche Medien über Gewalt gegen Frauen berichten, thematisieren sie einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge selten alltägliche Gewalt. Die Kommunikationswissenschaftlerin Christine Meltzer schreibt in einer Studie, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, dass Medien sich vor allem auf Gewalttaten mit Todesfolge fokussieren. Die Untersuchung mit dem Titel "Tragische Einzelfälle? - Trendreport zur Berichterstattung über Gewalt gegen Frauen" wurde von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung in Auftrag gegeben.
Meltzer kritisiert in der Studie, dass beim Thema Gewalt gegen Frauen häufig nur spektakuläre Einzelfälle behandelt würden. Positiv merkt sie an, dass der Begriff "Femizid" für die gezielte Tötung von Frauen langsam Eingang in die deutsche Medienberichterstattung finde. Zugleich hätten aber auch "verharmlosende Formulierungen" wie "Eifersuchtsdrama" und "Familientragödie" zugenommen.
Für die Studie untersuchte Meltzer im Auftrag der Stiftung 3.172 Beiträge aus deutschen Medienhäusern, darunter das Online-Angebot des "Spiegels" und Meldungen der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Artikel stammen aus den Jahren 2020 bis 2022.
Gewalttaten gegen Frauen mit Todesfolge würden überproportional dargestellt, heißt es im Vorwort der Studie. Gewaltformen wie Körperverletzung und Bedrohung seien dagegen in der Berichterstattung unterrepräsentiert. So werde das tatsächliche Ausmaß dieses gesellschaftlichen Problems verschleiert.
Über Partnerschaftsgewalt wird nach Darstellung der Studie nur berichtet, wenn eine Frau beispielsweise zu Tode geprügelt werde. Die Berichterstattung über Körperverletzungen habe jedoch im Vergleich zu einer Vorgängerstudie zugenommen. Häufig blieben allerdings frühere Gewaltformen, wie die psychische und finanzielle Kontrolle der Partnerin, unbeachtet. Medial werde so der Eindruck vermittelt, dass diese Taten "aus heiterem Himmel geschehen" und nicht am Ende einer Eskalationsspirale stehen.
Nach den Erkenntnissen von Meltzer wird die Perspektive der Opfer häuslicher Gewalt nur in zehn Prozent der Artikel thematisiert. Meist stehe die Motivlage der Täter im Vordergrund. Bei vielen Veröffentlichungen fehlten auch Hinweise zu Hilfsangeboten.
Die Studie stellt fest, dass es einen deutlichen Unterschied in der medialen Darstellung von deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen gebe. Gewalttaten nichtdeutscher Täter würden oft als strukturelles und wiederkehrendes Problem behandelt, Delikte mit deutschen Tatverdächtigen würden eher als Einzelfälle dargestellt. Meltzer bemängelt, dass diese Art der Berichterstattung stereotype Vorstellungen über Gewaltursachen und Tätergruppen verstärken könne.
Die mediale Darstellung ist der Studie zufolge entscheidend, um politische Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor Gewalt anzustoßen. "Medien prägen entscheidend mit, wie gesellschaftlich mit Gewalt gegen Frauen umgegangen wird. Dieser Verantwortung müssen sie besser gerecht werden", schreibt Meltzer. Eine Berichterstattung, welche die gesellschaftliche und politische Dimension von Gewalt gegen Frauen klar benenne und einordne, könne entscheidend zur Prävention beitragen.
Gewalt gegen Frauen ist Meltzer zufolge ein gravierendes gesellschaftliches Problem, das weit über Einzelschicksale hinausgehe. Obwohl die Istanbul-Konvention Gewalt gegen Frauen ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung anerkenne, seien mehr als 140 Frauen am Tag in Deutschland von sexualisierter Gewalt betroffen. Die Istanbul-Konvention wurde von Deutschland im Jahr 2017 ratifiziert.
sjr
Zuerst veröffentlicht 12.12.2024 09:59 Letzte Änderung: 12.12.2024 14:24
Schlagworte: Medien, Frauen, Wissenschaft, Otto Brenner, Studien, sjr, Meltzer, NEU
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