Mutti ist schuld - epd medien

20.12.2024 12:02

Eigentlich hatte Agnetha seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter, doch als diese stirbt, vererbt sie der Tochter ein staatliches Sümmchen. Um ihr Erbe anzutreten, muss Agnetha in "Reisen mit Muddi" allerdings den Sarg mit der Verstorbenen einmal quer durch Deutschland fahren.

Bei der Notarin erfährt Agnetha Pfeiffer (Alwara Höfels), dass ihre Mutter ihr Geld vermacht hat

epd Die Serie "Reisen mit Muddi" präsentiert uns Agnetha Pfeiffer, eine nicht mehr ganz junge Frau von heute, die zu viel Zeug im Internet bestellt und deshalb keinen Platz mehr zum Wohnen hat. Sie kann das Zeug auch nicht mehr bezahlen, deshalb kommt der Gerichtsvollzieher und sie klettert aus dem Fenster. Die erste Station ihrer Reise ist das Büro einer Schweriner Notarin, mit der sie eine Erbschaftsangelegenheit regeln muss. Ihre Mutter ist nämlich kürzlich verstorben. Die hatte das Töchterchen einst weggegeben, man sah einander 20 Jahre nicht, Agnethas Trauer hält sich daher in Grenzen.

Aber "Muddi" Naina Pfeiffer hat Agnetha die stolze Summe von 324.000 Euro vermacht. Das Geld kriegt sie aber nur, wenn sie selbst den Sarg in einem Leichenwagen von der Ost- zur Nordsee befördert, zu einer Insel mit Kirchlein, wo sich vor langer Zeit Mutter und Tochter das letzte Mal sahen und die Mutter bestattet sein möchte. Agnetha seufzt, so hat sie sich das Erben nicht vorgestellt. Aber es ist zu viel Geld, um darauf zu verzichten. Der Sarg wird in den Wagen geladen und Agnetha fährt los. Eingeblendet wird wiederholt eine Karte, auf der man die Route von Schwerin bis zur Hallig verfolgen kann.

Ex-Lover mit Pistole

Alwara Höfels spielt Agnetha, diese Schauspielerin ist schön und frech und hat die Ruhe weg. Außerdem ist sie sehr populär und durch ihr Talent für Timing genau richtig in einer Serie, die komödiantisch sein will und sich einiges traut an schwarzem Humor. Das Fahrzeug dieses Roadmovies ist ein Leichenwagen, das wichtigste Requisit ein Sarg, und die Hauptperson hat immerhin ihre Mutter verloren.

Tod, Teufel und düstere Erinnerungen an Mutter Naina (Andrea Sawatzki), die in Flashbacks zurückkehrt und mit der Tochter streitet, sind die Leitmotive, da kann der Humor nur dunkel eingefärbt sein. Zumal noch ein Ex-Lover der Mutter namens Bernd auftaucht (Bernhard Schütz), der sich mit Pistole als Profi-Killer geriert, womöglich Naina auf dem Gewissen hat und ganz sicher Agnetha im Visier.

Begegnung auf Leben und Tod

Diese erhielt von der Notarin nicht nur den Wagen mit dem Sarg, sondern auch noch vier Blätter mit Koordinaten, die weitere Stationen auf der Fahrt zur Nordsee markieren: Eine Landkommune, eine Bäckermeisterei, eine Großgärtnerei und schließlich ein Hospiz für Sterbenskranke. Agnetha fährt alle Orte ab und begreift nach der Erfahrung mit der Landkommune, wo sie dringend erwartet wird, dass sie als Drogenkurierin unterwegs ist. Denn im Sarg befindet sich keine Leiche, sondern bloß eine Urne, daneben ist Platz für sehr viele Tüten mit Gras und Pilzen bester Qualität. Sie liefert ihre Ladungen ab und kassiert. Aber Bernd ist auch hinter den Drogen und dem Zaster her. Und Agnetha zwar vor ihm auf der Hut, aber einer Begegnung auf Leben und Tod nicht abgeneigt.

Da Naina ein Abba-Fan war, erschallen nacheinander alle Riesenhits dieser Band von "Money, Money, Money" bis "Waterloo". So viel zur äußeren Handlung, die, weil die Mutter schließlich auf magische Weise ins Leben zurückkehrt und mitmischt, mit dem normalen Serienrealismus nichts zu tun hat. Das ist vergnüglich, es kommt zu vielen Überraschungen und verrückten Situationen. So wenn der todessehnsüchtige Mike im Hospiz seine Lebensfreude durch Agnethas Zuwendung wiederfindet, sein Leben aber durch einen Schuss aus Bernds Pistole dann doch endet.

Spaß an der Absurdität

Das Drehbuchautoren-Duo Barbara te Kock und Valentin Holch hat sich was einfallen lassen und die Frage nach der Plausibilität auf eine Weise suspendiert, die den Mangel an Wahrscheinlichkeit mit Spaß an der Bizzarerie und Absurdität entschädigt. Die Regie von Ingo Rasper arbeitet gekonnt auf eine Komposition aus langen, satten Landschaftsbildern, wilden Rückblenden und skurrilen Genreszenen hin.

Es gibt aber leider noch eine innere Handlung. Die besteht in der Tragödie von Agnethas schwerer Kindheit und Nainas amoralischer Verantwortungslosigkeit. Diese alte Geschichte wirft ihren Schatten über die gesamte Serie und man muss immer wieder hören und sehen, wie die irre Hippie-Muddi ihre Tochter nicht nur allein gelassen, sondern auch abgewertet hat. Das macht die Serie tragischerweise wieder zu einem eher typischen Werk der konventionellen Fernseh-Unterhaltung.

Schwergewicht an Leid

Das Hippie-Mütter-Bashing erscheint als Motivbaustein unter den Gründen für eine schwere Kindheit offenbar unersetzlich, obschon man beim Nachrechnen feststellen könnte, dass Naina, die als promiske Jüngerin der Bhagwan-Kommune einst dort ihre Agnetha empfing, heute eine hochbetagte Oma sein müsste, die nicht mehr von Andrea Sawatzki gespielt werden könnte, und das Kind Agnetha unbedingt im Rentenalter.

Durch dieses Schwergewicht an Leid, das die kleine Agnetha erfuhr und das sich wie Mehltau auf die Serie legt und für die Kaufsucht und das Strubbelhaar der erwachsenen Agnetha, auch für ihren absonderlichen, unangepassten Lebensstil als Begründung herhalten muss, verliert das Raodmovie seine in ihm angelegte Leichtigkeit und Heiterkeit und vor allem seinen Anschluss an das Absurde.

Fiese Egoistinnen

So muss man leider sagen, dass es sich hier um einen zerbrochenen Plot handelt. Die äußere Handlung verspricht viel und hält manches. Agnethas Erlebnisse auf den vier Stationen ihrer Reise sind ungewöhnlich und sehenswert. Dass aber ihrer Unbehaustheit, die sie wie jede Hauptfigur in einem Roadmovie zu tragen hat, tiefere Ursachen angedichtet werden, ausgerechnet aus einem klassischen "Put-the-blame-on-mame"-Kontext, lässt die schwarze Komödie in eine Abart jener schwer erträglichen Familien-Zank-Filme kippen, in der fiese Egoistinnen auf der Suche nach sich selbst das Leben ihrer Kinder zerstören.

Die Böse-Mutter-Story arbeitet sich in den letzten Folgen in den Vordergrund und ruiniert dadurch die äußere Handlung, die so schön unbekümmert um die Wahrscheinlichkeit im Büro der Notarin begann. Wir müssen leider befürchten, dass Agnetha bis ans Ende ihrer Tage mit ihrer Muddi hadern wird, ob die ihr nun als Gespenst, Alptraum oder Wiederauferstandene begegnet.

infobox: "Reisen mit Muddi", sechsteilige Serie, Regie: Ingo Rasper, Buch: Barbara te Kock, Valentin Holch, Kamera: Andreas Hofer, Produktion: Polyphon, Winwin (ARD-Mediathek/NDR ab 20.12.24, NDR, 23.12.24, 22.00-23.15 und 30.12.24, 22.00-23.15 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 20.12.2024 13:02

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KNDR, Serie, Rasper, te Kock, Holch, Sichtermann

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