Schwer auszuhalten - epd medien

16.01.2025 08:20

Die Verfilmung des Fitzek-Thrillers "Der Heimweg" bei Prime Video krankt zwar an einem nicht immer schlüssigen Drehbuch, bietet aber dennoch durchgehend Hochspannung, urteilt Tilmann Gangloff.

Klara (Luise Heyer) wird von einem berüchtigten Frauenmörder bedroht

epd Als Sebastian Fitzek seinen 2020 erschienenen Roman "Der Heimweg" schrieb, konnte er nicht ahnen, was sich zur gleichen Zeit in Südfrankreich abspielte: Kaum war das Buch auf dem Markt, wurde bekannt, dass ein Franzose seine Ehefrau Dutzenden Männern zur Vergewaltigung angeboten hatte. Im Dezember wurde Dominique Pélicot zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Während des Prozesses gab er an, er habe seine "unbeugsame Frau unterwerfen" wollen.

In der Verfilmung des Fitzek-Thrillers für Amazon ist die eheliche Konstellation ganz ähnlich. Die Unterwerfung gipfelt in einer Szene, die in ihrer Umsetzung an Stanley Kubricks verstörende Adaption von Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" erinnert: Ein Paar besucht eine in blutrotes Licht getauchte Party, auf der sich maskierte Männer an Frauen vergehen. Was nun folgt, ist nur schwer auszuhalten: Die betäubte Frau wird gefesselt und gefoltert. Wie auch immer der Jugendschutz bei Prime aussieht: Sex im Zusammenhang mit Gewalt ist grundsätzlich äußerst heikel. Eine Kino- oder Fernsehfreigabe durch die jeweiligen Selbstkontrollen würde mindestens bei 16, wenn nicht gar bei 18 Jahren liegen, zumal auch das Thema Suizid später noch eine erhebliche Rolle spielt. Die Umschreibung "häusliche Gewalt" in der vorgeschalteten Triggerwarnung ist eine geradezu verniedlichende Umschreibung einiger der nun folgenden Ereignisse.

Kein großer Literat

Davon abgesehen ist dieser Film von Adolfo J. Kolmerer, der sich mit diversen Folgen von Christian Alvarts sehenswerten Serien "Sløborn" (ZDF, 2020/22) und "Oderbruch" (2023) empfohlen hat, ein durchgehend fesselnder Hochspannungs-Thriller, der dank Bildgestaltung, Musik und Sounddesign sämtliche Register des Genres zieht.

Zu Beginn erwacht Klara (Luise Heyer) neben einem Menetekel: "6.12. Er oder du, einer wird sterben". Ein Foto zeigt sie und ihren Mann Martin (Friedrich Mücke). Dann folgt das Motto, mit dem bereits für den Roman geworben wurde: "Wer das Datum seines Todes kennt, hat mit dem Sterben schon begonnen." Klaras Todestag ist heute, sie will sich selbst das Leben nehmen, bevor es der von den Medien sogenannte "Kalenderkiller" tut; und Jules Tannbach (Sabin Tambrea), ehrenamtlicher Mitarbeiter des Berliner Begleittelefons, will das unbedingt verhindern.

Den Handlungsrahmen gab es schon anderswo, etwa in "The Call - Leg nicht auf!" (USA 2013) mit Halle Berry als Telefonistin in der Notrufzentrale oder in dem dänischen Thriller "The Guilty" (2018). "Der Heimweg" ist allerdings ungleich drastischer. Die rasant geschnittenen ersten 90 Sekunden mit mutmaßlich früheren Taten des Mörders sind auch dank entsprechender Soundeffekte ziemlich heftig, von der "Gewaltparty" ganz zu schweigen. Später kommt es zu einer weiteren brutalen Szene, als sich Martin wieder mal von Klara provoziert fühlt.

Selbst treue Fitzek-Fans kritisierten, dass er das Thema häusliche Gewalt als Vorwand für sadistische Schilderungen missbrauche. Andererseits ist der Autor, bei allem Respekt vor seinen oftmals clever konzipierten Geschichten, ohnehin kein großer Literat, weshalb "Amokspiel" (Sat.1) oder "Das Joshua-Profil" (RTL) tatsächlich besser waren als die Vorlagen, während "Passagier 23 - Verschwunden auf hoher See" (RTL, alle 2018) unter ähnlichen Logiklöchern litt wie das Buch.

Nicht immer schlüssig

Das Drehbuch von Susanne Schneider ist ebenfalls nicht immer schlüssig. So geistert zum Beispiel Rainer Bock als Verdächtiger durch die Handlung, ohne dass seine Beweggründe näher erläutert werden. Kolmerer kann diese und andere Unebenheiten kaschieren, weil seine Inszenierung hochgradig spannend ist und Sabin Tambrea sowie Luise Heyer ihre Rollen vorzüglich spielen. Beängstigend glaubwürdig ist auch Friedrich Mücke als Politiker, der ganz offenkundig keine erfolgreiche Frau an seiner Seite will, sondern eine Trophäe, mit der er sich schmücken kann.

Ein wichtiger Nebenaspekt ist die durch Jules aufgeworfene Frage, warum Frauen wie Klara ihre Männer nicht verlassen. Ein Grund ist die Tochter, ein zweiter ihr früherer Aufenthalt in der Psychiatrie. Martin droht ihr ständig damit, sie jederzeit wieder einweisen lassen zu können. Eine gleichermaßen widerliche wie schlüssige Szene verdeutlicht das Verhältnis: Er bestellt im Restaurant Meeresfrüchte für sie, obwohl er genau weiß, dass sie derlei verabscheut. Prompt verwandelt sich das Essen vor ihren Augen in krabbelndes Kroppzeug. Heyer wirkt sehr überzeugend angewidert, als Klara die Vorspeise mit Todesverachtung vertilgt, nicht ahnend, dass ihr an diesem Abend noch viel schlimmere Dinge widerfahren werden.

Sehr nachvollziehbar ist auch Tannbachs Motiv, warum er alles tut, um Klara zu retten: Seine Frau war schwer depressiv, sie hat sich das Leben genommen, und das ist nicht mal die Hälfte der furchtbaren Tragödie, die er erlebt hat. Die entsprechende Rückblende ist fast noch aufwühlender als die Gewaltparty.

infobox: "Der Heimweg", Thriller, Regie: Adolfo J. Kolmerer, Buch: Susanne Schneider, Kamera: Christian Huck, Produktion: Ziegler Film (Amazon Prime Video, seit 16.1.25)



Zuerst veröffentlicht 16.01.2025 09:20

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KPrime, Gangloff

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