16.04.2025 09:06
Die Serie "Crystal Wall" in der ZDF-Mediathek
epd Leicht macht es "Crystal Wall" den Zuschauerinnen und Zuschauern nicht. Der Vorstoß in die Young-Romance- und New-Adult-Zielgruppe, die das ZDF vollmundig als "Genre-Innovation im deutschen Markt" beworben hat, nimmt einen deutlich zu langen Anlauf, bis sie in Fahrt kommt. Nach den ersten sechs der insgesamt 24 Folgen wäre diese Rezension deshalb ein Verriss geworden, denn nach der für sich genommen interessanten Prämisse - Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Louna Loris rettet dem Millionenerben Nicolas Dardenne das Leben und wird dann seine Bodyguard - bietet "Crystal Wall" zunächst nicht eine spannende und originelle Idee.
Bis die Serie in Folge sieben die Kurve kriegt und Macher wie Schauspielerinnen mit ihrem Material warm geworden sind, muss das Publikum also einige Klischees über sich ergehen lassen, die sich in den Figuren, der Geschichte und auch der Inszenierung spiegeln.
Der reiche Erbe, Nico Dardenne (Gustav Schmidt), will als künstlerischer Schöngeist das Unternehmen der Familie nicht übernehmen. Außerdem ist sein Verhältnis zu Vater und Mutter stark belastet, aber die beiden ertragen sich gegenseitig auch nicht mehr. Louna (Anna Bardavelidze), die MMA-Kämpferin, steht auf der anderen Seite der titelgebenden Kristallwand, kommt also aus dem Arbeitermilieu, und kann die Familie Dardenne ebenfalls nicht leiden. Ein Unfall im Unternehmen der Dardennes kostete ihren Vater das Leben, die Chefs kümmerte das aber wenig: sie schoben die Schuld dem Vater zu. Nicos Bodyguard zu werden, könnte es Louna ermöglichen herauszufinden, was damals wirklich passiert ist.
Dann wären da noch die Nebenfiguren: Nicos Schwester Ylva (Philine Schmölzer) zum Beispiel, die zwar ambitioniert ist, aber durch ihr steifes Auftreten unbeholfen wirkt, sowie der Promi-Reporter Fabian (Max Schimmelpfennig), der immer etwas fehl am Platz wirkt, seinem Sujet, der Welt der Reichen und Schönen, aber mit entlarvender Direktheit begegnet.
Erst einmal halten die Serienmacher ihre Figuren aber in den Schablonen verhaftet, aus denen sie erdacht wurden - mit der Folge, dass die behauptete Chemie zwischen Nico und Louna sowie Ylva und Fabian sich nicht einstellen will.
Und auch die Kapitalismuskritik ist schnell vergessen: Zu Beginn darf Louna noch für einen Moment im Off kräftig gegen ungleiche Vermögens- und Machtverhältnisse austeilen, doch bald agiert ihre Figur so altbacken, dass man meinen könnte, sie musste aus ihrem Milieu nur "gerettet" werden, um aufzublühen. Abzuwarten bleibt, was im weiteren Verlauf der Serie aus der offensichtlich gewaltbereiten Aktivisten-Gruppe "Urban Riot" wird, die sich das Aufkaufen ganzer Wohnviertel, horrende Mieten und den Profittrieb der Superreichen nicht mehr gefallen lassen will.
Besonders schade ist, dass zumindest in den ersten zehn Folgen der Serie Ylva sträflich vernachlässigt wird und lediglich für eine (bitter nötige!) Prise Humor sorgen soll, während sich der Rest von "Crystal Wall" über die Maßen ernst nimmt. Sie kommt zwar aus denselben Verhältnissen wie Nico und steht "auf der richtigen Seite" der Kristallwand, doch auch sie stößt an eine gläserne Decke. Dass sie einmal das Unternehmen der Dardennes führen soll und nicht Nico, ist für den Vater und Familien-Patriarch keine Option.
Ylva kennt sich mit den Geschäften aus, hat kein echtes Privatleben und muss, so wie Nico, täglich eine Rolle spielen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder tut sie das aber mit Ernst und Ambition. Dass das Leben als Millionenerbin auch Schattenseiten hat, ist keine Neuigkeit, hätte hier aber für ein jüngeres Publikum interessanter ausgeleuchtet werden können, als das bei Nico der Fall ist.
Ab der siebten Folge wird "Crystal Wall" aber endlich interessanter. Die Schauspieler und Schauspielerinnen sind in ihren Figuren angekommen und lassen hinter der noch immer viel zu präzisen hochdeutschen Aussprache hölzerner Dialoge endlich eine Chemie untereinander und eigene Motivationen erkennen. Jetzt rücken offene Fragen in den Fokus: Was passierte in der Fabrik mit Lounas Vater wirklich? Welches Geheimnis schleppt Nico mit sich herum? Wie weit treibt es die gewaltbereite Aktivisten-Gruppe? Das motiviert zum Weiterschauen.
Ob "Crystal Wall" am Ende eine Serie ist, die man nur mit einem "nach den ersten paar Folgen wird es wirklich gut" empfehlen kann, werden die kommenden Wochen zeigen. Die Einstiegshürde hätte aber nicht so hoch sein müssen.
infobox: "Crystal Wall", 24-teilige Serie, Regie: Tarek Roehlinger, Greta Benkelmann, Buch: Birgit Maiwald, Florian Vey, Silva Raddatz, Aglef Püschel, Burkhardt Wunderlich, Katja Grübel, Kamera: Omri Aloni, Philip Jestädt, Max Berner, Produktion: Producers at Work Film (ZDF-Mediathek, seit 10.4.25, ZDFneo, 27.4.25, 20.15-21.50 Uhr und ab 28.4.25 jeweils montags, 23.20-0.05 Uhr)
Zuerst veröffentlicht 16.04.2025 11:06
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Streaming, Maiwald, Vey, Raddatz, Roehlinger, Benkelmann, Hechler KZDF, Serie
zur Startseite von epd medien