Besondere Härten - epd medien

14.05.2025 07:50

Für die Arte-Dokumentation "Tagebücher der Befreiung - Wie Frauen das Kriegsende 1945 erlebten" haben Matteo Parisini und Chiara Arcone Tagebücher von drei Frauen in Deutschland, Frankreich und Italien ausgewertet.

Dokumentation "Tagebücher der Befreiung" über Schicksale von Frauen

Die Mailänderin Magda lebt unter deutscher Besatzung

epd Anlässlich des 80. Jahrestags der Kapitulation Deutschlands und des Kriegsendes am 8. Mai 1945 strahlte Arte in der Primetime zwei Dokumentionen aus, die sich perspektivisch ergänzten: Zuerst wurde gezeigt, wie die "großen Drei", die Oberhäupter der Alliierten und Sieger im Weltkrieg - US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und Sowjetführer Josef - Stalin - in Teheran und in Jalta zusammenfinden, um auf historischen Konferenzen zu klären, wie es nach dem Krieg mit Europa und vor allem mit Deutschland weitergehen soll.

Anschließend kamen in einer kürzeren Dokumentation die Frauen dran: Drei ganz normale Bürgerinnen, eine Berlinerin, ein Mädchen aus Bordeaux, das nach Paris geht und eine Mailänderin, wurden anhand von Tagebuchauszügen vorgestellt. Hier schrieben sie auf, was sie bedrückte und was sie unter der Naziherrschaft nicht laut sagen durften.

Tagebücher und Fotos

Die Idee, Weltpolitik und ihre Exekutoren auf der einen Seite und das Leben und Darben von Frauen aus der Zivilgesellschaft, verstreut auf drei Länder, auf der anderen Seite miteinander zu kontrastieren, ist charmant. Aber die Karten, die man für so ein Spiel braucht, sind vorab so verteilt, dass die kleine Frau von der Straße hier nicht zu ihrem Recht kommt. Roosevelt, Churchill und Stalin sind weltbekannt, es gibt von ihnen Unmengen Filmmaterial. Die Berlinerin Käte, die Französin Madeleine und die Mailänderin Magda existierten wirklich, sind aber unbekannt, und sie bleiben es auch, nachdem diese Doku aus ihren Tagebüchern zitiert hat.

Eingangs verkündet die Erzählstimme, dass es keine Filmaufnahmen von den drei Frauen gibt. Es gibt lediglich die Tagebücher und ein paar Fotos. Was macht man als Dokumentarfilmer in einem solchen Fall? Matteo Parisini, der Autor dieses Films, hat auf schwarz-weiße Animationsstrecken gesetzt. Diese Technik hat einen eigenen Reiz, die zitternden, schwingenden Moves der gezeichneten Bewegtbilder bieten eine perfekte Illusion des Lebendigen und zugleich eine starke Verfremdung.

Das ist der Krieg

Wir sehen also die drei Frauen, während die ihnen zugeordneten Stimmen aus den Tagebüchern vorlesen, als wie mit Tusche gezeichnete Figuren an Tischen sitzen, über Straßen eilen, vor Trümmern stehen und hören sie die Lage erörtern. Magda vermisst ihren Sohn, der zu den Partisanen gegangen ist, Käte ihre Lebensgefährtin, die mit Kindern aus dem umkämpften Berlin geflüchtet ist, und Madeleine liebt ihre Freiheit, "auch wenn es die Freiheit zu hungern ist".

Mit reichhaltigem filmischen Originalmaterial werden die Szenen angefüttert, wir sehen die Bomber in der Luft, die Panzer am Boden, Soldaten mit Gewehren, Flüchtende mit Leiterwagen und immer wieder Ruinen, einstürzende Gebäude, ausgebrannte Autos, humpelnde Versehrte. Das ist der Krieg. Die Frauen warten auf sein Ende, ersehnen die Landung der Alliierten. Bis eine von ihnen schreiben kann: "Sie sind gelandet."

Partisaninnen wurden verdächtigt

Die Dokumentation geht auch auf die besonderen Härten ein, denen Frauen nach dem Krieg ausgesetzt waren: Französinnen, die sich mit den Deutschen eingelassen hatten, wurden die Köpfe geschoren, damit alle sehen konnten, dass sie sich der Kollaboration schuldig gemacht hatten. Deutsche Frauen wurden vergewaltigt, die Besatzer rächten sich auf diese Weise - ein übles Kapitel, das nie richtig aufgearbeitet wurde.

Und in Italien hat man den Frauen, die zu den Partisanen gingen, ihren Mut kaum gedankt. Sie wurden eher verdächtigt. Was hatten sie da zu suchen, in diesen Männerhaufen? Die Dokumentation gab sich alle Mühe, in 52 Minuten vom Leid der Frauen im Krieg und während seines Endes weit ausholend und eng zusammenziehend zu erzählen. Aber man kann nicht sagen, dass dieser Versuch, das "Schicksal" von drei Frauen aus drei Ländern "zu rekonstruieren", wie der Einleitungstext versprach, wirklich gelungen ist.

Anmutung von Entrücktheit

Die Tagebucheintragungen sind, wie bei dieser Textsorte üblich, sehr privat. Magda, Madeleine und Käte aber, die wir nur als gezeichnete Avatare kennenlernen, rücken uns nicht so nahe, dass wir ihre Sorgen um den Sohn oder die Lebensgefährtin zuschauend teilen könnten. Sie kommen uns nicht näher als das geschorene französische Mädchen oder die fliehende Partisanin, die wir kurz in den Archivaufnahmen sehen können.

Historische Dokus meinen immer, sie müssten Einzelschicksale in den Mittelpunkt stellen, wenn sie über größere Zusammenhänge aufklären wollen. Das mag in vielen Fällen eine gute Entscheidung sein. Aber wenn man, wie bei Käte, Madeleine und Magda kaum visuelles Material hat, bloß ein paar Tagebuchnotizen, dann wird der persönliche Bezug doch zu dünn für eine spontane Zuschaueridentifikation. Dann tut man besser daran, allgemein zu bleiben - so wie bei den Sequenzen über die Vergewaltigungen durch die Besatzer oder das Los der Partisaninnen.

Die Schicksale der drei Frauen wurden nicht "rekonstruiert", sondern nur konstruiert. Die Authentizität der Tagebücher und die Zeichentrickstrecken konnten den leibhaftigen filmischen Auftritt nicht ersetzen. Die Animation verleiht ihren Geschöpfen eine Anmutung von Entrücktheit und versetzt sie damit eher ins Reich der Fiktion.

infobox: "Tagebücher der Befreiung - Wie Frauen das Kriegsende 1945 erlebten", Dokumentation, Regie: Matteo Parisini, Buch: Chiara Arcone, Matteo Parisini, Kamera: Luca Nervegna, Marcello Bezzi, Produktion: Docdays Productions (Arte/ZDF, 6.5.25, 22.05-22.55 Uhr und Arte-Mediathek bis 30.7.25)



Zuerst veröffentlicht 14.05.2025 09:50

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Dokumentation, Parisini, Arcone, Sichtermann

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