Andere Ansprüche - epd medien

04.05.2024 08:00

Beim Fernsehen oder beim Film zu arbeiten, galt früher als Traum. Derzeit hat die Produktionsbranche zwar noch keine Nachwuchssorgen, aber die Arbeitsbedingungen an langen Drehtagen wirken auf viele abschreckend. Tilmann Gangloff hat nachgefragt, was die Branche tut, um für Arbeitskräfte interessanter zu werden.

Die Produktionsbranche will für Fachkräfte attraktiver werden

Filmkamera beim Settermin zu einer "Tatort"-Folge in Köln

epd "Man muss auch mal Scheiße fressen": ein Satz wie aus einer Bundeswehr-Anekdote. Tatsächlich handelt es sich um die Arbeitsdevise des Set-Aufnahmeleiters einer öffentlich-rechtlichen Vorabendserie. Diese Leute haben bei Dreharbeiten den undankbaren Job, rigoros auf die Einhaltung des Zeitplans zu achten, weshalb sie die Mitglieder der verschiedenen Gewerke ständig zur Eile ermahnen. Nette Menschen mit Engelsgeduld scheinen für die Aufgabe daher eher ungeeignet, zumal sie auch für die Sicherheit verantwortlich sind und ständig Sonderwünsche der Regie erfüllen müssen. Entsprechend groß ist der Druck, unter dem sie stehen, und den geben sie nach unten weiter.

Nun ist ein Filmset aber keine Kaserne. Wer jedoch während eines Praktikums als Set-Runner das Pech hat, an einen Set-Aufnahmeleiter zu geraten, dem es Freude bereitet, andere zu triezen, muss ein sonniges Gemüt haben, um sich den Enthusiasmus nicht trüben zu lassen. Viele werden danach mit der Produktionsbranche nichts mehr zu tun haben wollen. Und das ist ein Problem.

Unattraktive Arbeitsbedingungen

Viel zu lange konnten sich die Unternehmen auf die Bereitschaft zur Selbstausbeutung verlassen, da sich die Beteiligten gern als Teil von etwas Größerem betrachteten und im besten Fall Kunst produziert wurde. "Irgendwas mit Film", wie ein kürzlich im Schüren-Verlag erschienenes Interviewbuch über die Perspektiven junger Filmschaffender heißt, ist längst nicht mehr der Traumberuf früherer Jahre, denn es hat sich herumgesprochen, wie unattraktiv die Arbeitsbedingungen sind.

Das bedrückendste der 45 Gespräche hat Herausgeber Bent Evers mit einer mittlerweile ausgestiegenen Garderobiere geführt. Sie berichtet von Kolleginnen, die bei der Produktion einer täglichen Serie am Arbeitsplatz übernachtet haben, um überhaupt Schlaf zu finden, und von einer Produktion, die nach einem Zwölf-Stunden-Tag wegen Meuterei kurz vor dem Abbruch stand. Am Ende hätten aber doch "alle den Schwanz eingezogen": Wer als schwierig gilt, muss fürchten, keinen Anschlussjob zu bekommen. Das gilt nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera. Hinzu kommen die Familien- und Beziehungsunfreundlichkeit, miserable Bezahlung sowie fehlende Altersvorsorge.

Die Arbeitsbedingungen, sagt ein Erster Regieassistent in Evers' Buch, seien "ins Perverse abgedriftet". 95 Prozent der Produktionen seien es nicht wert, dass man dafür sein Privatleben aufgebe.

Die Produktionsunternehmen wollen das Nachwuchsproblem mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen und nicht nur junge Leute, sondern auch Ältere ansprechen. Auch Mitglieder der Altersgruppe 50plus werden zum Quereinstieg animiert. Mit ihren an die 500 verschiedenen Tätigkeiten hat die Branche eine enorme Vielfalt zu bieten. Für viele davon gibt es jedoch weder konkrete Ausbildungsmöglichkeiten noch ein klares Berufsbild, das die notwendigen Fertigkeiten und Voraussetzungen umreißt. Außenstehende können daher gar nicht wissen, was sie erwartet.

Befristetes UFA-Projekt

Evers' Buch vermittelt viele nützliche Einblicke, aber noch besser sind natürlich Erfahrungen aus erster Hand. Die Produzentenallianz hat daher 2015 die Initiative für Qualifikation (PAIQ) gegründet. PAIQ engagiert sich für die Nachwuchsförderung sowie für die Aus- und Weiterbildung in der audiovisuellen Produktion und hat 2022 einen "Career Guide Film" mit einer Übersicht über Ausbildungsmöglichkeiten für Kino, Streaming und TV veröffentlicht. Die Initiative kooperiert mit führenden Produktionsunternehmen wie UFA, Constantin, Studio Hamburg und Bavaria und vermittelt pro Jahr 65 Volontariate.

Die UFA wiederum hat 2022 die UFA Academy gegründet. Im Fokus standen unter anderem Aufnahmeleitung, Regieassistenz und Filmgeschäftsführung. Mit dem Angebot ist es dem Unternehmen gelungen, neben Menschen aus der Altersgruppe 50plus auch Angehörige soziografischer Schichten anzusprechen, die "irgendwas mit Film" bislang eher nicht im Sinn hatten. Das Projekt ist auf zwei Jahre befristet und endet im Juli, aber es wird einen nahtlosen Übergang geben, denn bereits im Mai startet die Media Academy, ein vom Medienboard Berlin-Brandenburg sowie den beiden Bundesländern gefördertes zehnmonatiges Trainee-Programm, an dem gemeinsam mit der UFA ein Dutzend Produktionsfirmen aus der Region beteiligt sind.

Für die acht Plätze an der UFA Academy gab es 200 Bewerbungen, das klingt erst mal nicht nach einem Nachwuchsproblem. Derzeit habe sich die Lage "im völlig überhitzten Produktionsmarkt" entspannt, sagt Degeto-Film-Geschäftsführer Thomas Schreiber.

Geschrumpftes Auftragsvolumen

Als Streamingdienste wie Netflix, Prime Video oder Disney+ vor einigen Jahren damit begonnen haben, auch deutsche Filme und Serien in Auftrag zu geben, lösten sie einen regelrechten Produktionsboom aus. Das hat sich jedoch laut Uli Aselmann, Geschäftsführer der Film GmbH, wieder geändert: "Das Auftragsvolumen sowohl von ARD und ZDF wie auch der Streamingdienste ist deutlich geschrumpft. Außerdem hat Sky alle für 2024 geplanten fiktionalen Produktionen abgesagt. Der Bedarf an Fachkräften ist entsprechend zurückgegangen, wir können bei den für dieses Jahr geplanten Dreharbeiten aus dem Vollen schöpfen."

Der Produzent geht allerdings davon aus, dass sich das demnächst wieder ändern wird: "Mit der Umsetzung des bei der Berlinale vorgestellten neuen Filmförderungsgesetzes, das im besten Fall am 1. Januar 2025 in Kraft tritt, wird der Standort Deutschland dank steuerbasierter Fördermodelle auch für Produktionen aus dem Ausland wieder deutlich attraktiver." Hier habe es in den letzten zwei bis drei Jahren einen massiven Rückgang gegeben. Also werde es vermutlich auch wieder zum Fachkräftemangel kommen.

Demografischer Wandel

Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, warnt seine Mitglieder denn auch davor, angesichts zurückgehender Aufträge, sinkender Budgets und steigender Kosten bei den Qualifizierungsmaßnahmen zu sparen: "Investitionen in qualifizierten Nachwuchs sind und bleiben unerlässlich. Die Gewinnung neuer Arbeitskräfte wird das entscheidende Thema für die Zukunftsfähigkeit der Branche sein."

Auch PAIQ-Geschäftsführerin Jennifer Stahl hält es für einen Trugschluss zu glauben, die Nachwuchsproblematik habe sich erledigt: "Auch unsere Branche wird den demografischen Wandel mit voller Wucht zu spüren bekommen. Unsere Aufgabe für die nächsten Jahre lautet daher: Welche Ausbildungsmodelle kommen auch für Unternehmen infrage, die zum Beispiel nur einen Film pro Jahr herstellen? Solche Firmen haben weder das Personal noch die nötigen Ressourcen, um jemanden zwei Jahre lang zu beschäftigen. Hier wären Ausbildungsverbünde eine mögliche Lösung."

Die Frage ist, wie sich Menschen in die Branche locken lassen, die bislang nicht auf die Idee gekommen sind, "irgendwas mit Film" zu machen. Deshalb ist 2023 der Arbeitskreis Fachkräftestrategie gegründet worden, ein branchenübergreifendes Netzwerk, an dem neben Produktionsfirmen, Streaming-Portalen und Fernsehsendern auch Bildungsträger und Sozialpartner beteiligt sind.

Im vergangenen Herbst ist zudem das Kooperationsprojekt Newmotion gestartet, ein Einstiegsprogramm, das sich laut Stahl "gezielt an marginalisierte Personen ohne filmberufliche Erfahrungen richtet. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, drei Tage ein Set zu besuchen und die verschiedenen Berufsmöglichkeiten kennenzulernen." Dieses niedrigschwellige Angebot solle den Zugang zur Branche erleichtern und Jobs, für die es keine herkömmlichen Ausbildungswege gibt, sowie die Abläufe von Film- und Setarbeit sichtbar machen. In den kommenden drei Jahren soll zudem eine digitale Vermittlungsplattform entwickelt werden, die die gesamte Branche, ihre Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie auf lange Sicht die vakanten Einstiegsangebote abbildet.

Neue Wege der Ansprache

Zu den Partnern des Bundesweiten Arbeitskreises Fachkräfte-Strategie Film & TV gehört unter anderem das ZDF. Donald Jenichen, Leiter Produktionsmanagement der ZDF-Programmdirektion, sagt, der umfassende Transformationsprozess in der Herstellung von audiovisuellen Inhalten sei für die gesamte Medienbranche eine große Herausforderung. 2025 werde das ZDF deshalb in acht IHK-zertifizierten Berufen ausbilden, hinzu kämen vier duale Studiengänge und sechs Volontariats- und Traineeprogramme.

Die Sender sind vom Fachkräftemangel nicht nur als Auftraggeber betroffen, wie die Aufzählung einer NDR-Sprecherin zeigt. Betroffen seien Aufnahme- und Produktionsleitungsstellen, IT-Fachkräfte, Produktions- und Betriebsingenieure, qualifiziertes Fachpersonal für EB-Technik/Kamera und Schnitt, die Grafik, die Veranstaltungstechnik sowie Handwerksberufe in den NDR-Werkstätten. Für die Aufnahmeleitung hat der NDR eine eigene Ausbildung aufgesetzt, für die Ausbildung in der Fachinformatik werde ein dualer Studiengang angeboten. Im "Recruiting" würden zudem "neue Wege der Ansprache genutzt, etwa über Social-Media-Portale wie Linkedin oder andere Jobbörsen".

Mathematische Fähigkeiten gefragt

Mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung werden auch in der Produktion vermehrt Menschen mit Hintergrund in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern benötigt. Das gilt aber für fast alle Branchen. Dominique Hoffmann, WDR-Direktorin für Produktion und Technik, sagt daher, der Sender bemühe sich frühzeitig um junge Nachwuchskräfte und mache schon in den Schulen auf den WDR als Arbeitgeber aufmerksam. Gleichzeitig sei jedoch "ein Umdenken in den Prozessen der Herstellung erforderlich, um Verschiebungen und Ausfälle bei Produktionen zu vermeiden".

Auch Karolin Wratil, zuständig für Personalmarketing im SWR, unterstreicht, dass die Rekrutierung und Bindung von Talenten zu einer immer dringlicheren Angelegenheit werde: "Aufgrund der starken Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sind bestimmte Berufsbilder wie Cutter, Mediengestalter und Ingenieure mit speziellem Know-how im Bereich Medientechnik nur schwierig zu besetzen." Der SWR kooperiere daher mit Schulen und Hochschulen und biete technische und kreative Praktikums- und Ausbildungsplätze. Darüber hinaus sei es wichtig, das Image des SWR als Arbeitgeber zu stärken und attraktiver zu gestalten, um junge Menschen für diese Berufsfelder zu begeistern.

Die Sender geben in der Regel die Projekte in Auftrag und haben daher ein Problem, wenn sie wegen Fachkräftemangels nicht realisiert werden können. Bei der Degeto mussten aber laut Schreiber bislang noch keine Produktionen verschoben werden. Er dementiert auch Behauptungen, die ARD-Tochter vergebe deutlich weniger Aufträge als vor der Corona-Pandemie: "Sowohl im Jahr 2022 als auch im Jahr 2023 haben wir circa 95 Filme für unsere Sendeplätze um 20.15 Uhr beschafft. Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren auf unseren anderen Sendeplätzen Mengen reduziert, um Serien für die ARD-Mediathek zuliefern zu können und um die allgemeinen Kostensteigerungen aufzufangen." Das "Mengengerüst für Erstsendungen auch am Hauptabend im Vergleich der Jahre 2020 und 2024" sei nicht zuletzt aufgrund verschiedener allgemeiner Kostensteigerungen allerdings in der Tat etwas geringer geworden.

Generationenkonflikt

Es ist aber nicht damit getan, Menschen für die Branche zu begeistern, wenn sich am Set umgehend Ernüchterung einstellt. In den Gesprächen mit älteren Produzenten kristallisiert sich recht bald heraus, dass die Nachwuchsproblematik auch ein Generationenkonflikt ist. Aselmann ist für die Produzentenallianz an den Tarifverhandlungen beteiligt und stellt immer wieder fest, "dass die heutige junge Generation ganz andere Ansprüche hat, als wir Älteren sie in unserer Jugend hatten. Als ich damals in der Branche angefangen habe, war es völlig klar, dass man auch mal 14 Stunden am Tag arbeitet, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Das hat uns stolz gemacht. Die heutige Jugend will einen Acht-Stunden-Tag und eine Vier-Tage-Woche, das ist bei einer Filmproduktion aber völlig unrealistisch."

Heike Wiehle-Timm von Relevant Film sieht das ähnlich: "Wir haben als Branche Ausnahmeregeln für die Arbeitszeit, in der Regel 50-Stunden-Verträge, die im Verhältnis etwa zu Pflegeberufen sehr hoch vergütet werden." Trotzdem bezeichnet die Produzentin "die Sehnsucht bei der jungen Generation nach einer gleichmäßigen und abgesicherten 25- bis 30-Stunden-Woche, und zwar möglichst ohne finanzielle Einbußen", als "irre Forderung", "für uns Boomer undenkbar" und "im Rahmen der normalen Senderbudgets nicht zu leisten".

Kein branchenspezifisches Problem

Regisseurin Sibylle Tafel findet die Vorstellung einer Vier-Tage-Woche allerdings "gar nicht so dumm, weil die Gewerke meist sowieso einen zusätzlichen Tag brauchen, um nachzuarbeiten. Andererseits ist das vermutlich unbezahlbar und liegt auch nicht zwingend im Interesse der Teams, denn das würde bedeuten, dass man länger gebunden ist und nicht das gleiche Einkommen generiert."

Joachim Kosack, bis vor kurzem Geschäftsführer der UFA, stellt klar, dass die Sehnsucht nach einer vernünftigen Work-Life-Balance kein branchenspezifisches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen sei, das keineswegs nur die Jungen betreffe: "Die Individualisierung von Lebensplanungen und Bedürfnissen nimmt stark zu. Das ist die eigentliche Herausforderung für unsere Branche, denn mit den Produktionsbedingungen eines Films ist das nur schwer zu vereinbaren. Aus internen Befragungen bei der UFA wissen wir zudem: Es gibt die verschiedensten Vorstellungen von Work-Life-Balance. Manche wollen in einer Woche 60 Stunden arbeiten und hätten die nächste dann gerne frei; andere wollen nur zwei Arbeitstage pro Woche." Das lasse sich jedoch an einem Filmset nicht umsetzen, auch Homeoffice sei nicht möglich. Während der Kernarbeitszeit müssten 95 Prozent der Beschäftigten vor Ort sein.

Alternative Arbeitsweisen

Kosack ist der Meinung, man mache es sich zu einfach, wenn man den Fachkräftemangel nur mit den Erwartungen der jungen Leute erkläre: "Die bei den Tarifverhandlungen geäußerte Forderung nach einer Vier-Tage-Woche kommt nicht von den Berufsneulingen."

Tägliche Serien, sagt Kosack, seien "planbar und gut für Menschen, die festgelegte Strukturen brauchen. Außerdem entstehen sie im Studio, somit entfällt häufig auch die Reiserei." Bei Filmen probiere die UFA ebenfalls alternative Arbeitsweisen aus. Bei der Netflix-Romanze "Die Liebeskümmerer" habe die Vier-Tage-Woche reibungslos funktioniert. Auch Jobsharing biete sich an. "Wer hier entgegnet, so kann man keine Filme drehen, dem antworte ich: Wenn wir uns nicht anpassen, drehen wir irgendwann gar nicht mehr oder nur noch im Ausland."

Aselmann geht zwar davon aus, dass die Branche durch die Rückkehr großer US-Produktionen wieder mehr "sexy" werde, aber der erfahrene Produzent räumt ein, "dass die Arbeitsbedingungen attraktiver und familienfreundlicher werden sollten".

Empathische Rundmail

Wie empathisch sich die Branche mittlerweile gibt, zeigt eine Rundmail, die die Degeto regelmäßig zu Produktionsbeginn an alle Beteiligten verschickt: "Uns ist klar, dass nun eine herausfordernde Zeit der Dreharbeiten vor Euch liegt. Das Pensum ist hoch, das Stresslevel mitunter auch und die Belastungen sind nicht immer einfach zu bewältigen. Es ist ein großartiges Team zusammengekommen, aber jede(r) von Euch geht anders mit Stress-Situationen um und manch eine(r) von Euch ist womöglich auch recht neu am Set und sammelt erste Erfahrungen. Was wir aber Euch allen, neu wie erfahren, zurufen möchten: Wir als Partner und Sender, der dieses Projekt in Auftrag gegeben hat, sind zwar selten am Set, aber auch wir sind da! Wir sind immer ansprechbar, wenn in Euren Augen etwas im Miteinander schiefläuft und ihr nicht wisst, an wen Ihr Euch wenden sollt. Wir hören Euch zu, wenn vielleicht der Druck, auf welche Art auch immer, zu groß wird oder Ihr Euch ungerecht oder nicht professionell behandelt fühlt."

Auch bei Relevant Film, sagt Wiehle-Timm, "schützen wir unsere Teams noch deutlicher und bemühen uns sehr um ein zugewandtes und respektvolles, wertschätzendes Miteinander am Set. Ich verfasse vor jedem Dreh regelmäßig individuell abgestimmte Rundmails zu Themen wie Diversität, respektvoller Umgang oder nachhaltiges Produzieren." Die Produzentin räumt allerdings ein, dass solche Appelle nicht immer fruchten, weil "seitens der Regie die künstlerischen Ansprüche mitunter auch ohne Teamgedanken eingefordert werden. Hier existiert eine Diskrepanz zwischen dem Selbstverwirklichungsbedürfnis und den 'normalen' Arbeitskräften am Filmset."

Starke Hierarchien

Das hänge auch mit den über viele Jahrzehnte gewachsenen Strukturen zusammen: An Filmsets gebe es stärkere Hierarchien als in anderen künstlerischen oder technischen Berufen. "So ein komplett durchgeplanter Drehtag mit Dispo lässt wenig individuellen Spielraum, wann man seine Arbeit antritt und wann der Arbeitstag endet. Hier sehe ich einen enormen Verbesserungsbedarf." Skandinavische Produktionen zeigten mit ihren geregelten Arbeitszeiten, dass eine Vereinbarung von Familie und Beruf auch für Beschäftigte am Set möglich sei.

Dass die Arbeit an einem Film Außenstehenden nicht mehr so glamourös erscheint wie früher, führt Wiehle-Timm auch darauf zurück, "dass in der medialen Welt die Aufmerksamkeit für Erfolge stets der Regie zugeschrieben wird". Das sei zwar schon immer so gewesen, werde aber in den digitalen Medien sowie bei Festivals und Preisverleihungen zunehmend sichtbar.

Aselmann plädiert daher dafür, "dass wir noch viel stärker damit werben müssen, wie toll es ist, in dieser Branche zu arbeiten, wie vielfältig und abwechslungsreich die Tätigkeiten sind."

An bestimmten Rahmenbedingungen werde das allerdings nichts ändern, gibt Schreiber zu bedenken: "Machen wir uns nichts vor: Alle Gewerke, die an einem Filmset arbeiten, leben große Teile des Jahres aus dem Koffer und sind häufig auf der Suche nach der nächsten Beschäftigung."

Man braucht einen klaren Masterplan und echte Coolness, um sich den Stress nicht anmerken zu lassen.

Sibylle Tafel sieht in der Diskussion über die Arbeitsbedingungen auch die Sender und die Produzenten in der Pflicht. Die Produzenten "wollen und müssen Filme machen, egal zu welchen Bedingungen, die wir dann am Set auszubaden haben". Welche Folgen die ungute Kombination aus Sparzwang, Zeitdruck und Fachkräftemangel haben kann, verdeutlicht die Regisseurin mit der Beschreibung ganz normaler Drehbedingungen: "Die Zwölf-Stunden-Regelung führt dazu, dass wir kaum mehr als sieben Stunden Arbeitszeit am Set haben; und das bei durchschnittlich 21 Drehtagen."

Bei rund 25 Einstellungen am Tag komme man auf 16 Minuten pro Einstellung, inklusive Proben, Licht, Kamera, Maske, Kostüm, Motivwechsel, Drehen, sagt Tafel: "Diskussionen über nicht funktionierende Drehbuchszenen kann man sich am Set nicht leisten; geschweige denn mal was auszuprobieren. Da wird durchgeschrubbt. Man braucht einen sehr klaren Masterplan und echte Coolness, um sich den Stress nicht anmerken zu lassen, der sich besonders auf die Schauspieler negativ auswirken würde. Die wollen der Regie vertrauen und fordern ein, dass man auf sie aufpasst. Das ist eine echte Zerreißprobe. Hätte ich nicht die Erfahrung aus fast 30 Berufsjahren, wüsste ich nicht, wie ich mein Ding mache."

Tilmann Gangloff Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Tilmann Gangloff ist freier Journalist. Er schreibt regelmäßig Kritiken und Debattenbeiträge für epd medien.



Zuerst veröffentlicht 04.05.2024 10:00 Letzte Änderung: 10.05.2024 13:08

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Produktion, Sender, Ausbildung, Arbeitsbedingungen, Gangloff, NEU

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