Öl und Honig - epd medien

09.06.2024 08:41

Das WDR-Hörspiel "Was zündet, was brennt - Wie weit darf Klimaprotest gehen?" von Magdalena Schrefel erzählt von Menschen, die selbst etwas für den Klimaschutz tun wollen - und enthält sich dabei jeder aktivistischen Naivität.

epd Als nach den ersten Sekunden von "Was zündet, was brennt" der Schauspieler Holger Bülow seine warme, brüchige Erzählerstimme erhebt, ist das der Anfang einer virtuosen kleinen Einübung ins Fallenlassen: Man fällt aus allen Wolken narrativer Sicherheit. Bülows Stimme schenkt man sofort Vertrauen. Aber nur kurz.

Der Erzähler beschreibt zunächst, wie zwei junge Menschen sich illegal Zugang zu einem Raffineriegelände verschaffen. In seine nüchterne Beschreibung der Vorgänge mischt sich dann aber plötzlich eine irre Begeisterung über das "wirklich unwirkliche Licht" der Scheinwerfer. Er lässt sich schließlich mitreißen vom "Gefühl, dass sie es geschafft haben, und da rufe ich plötzlich: Halt, stehenbleiben! Mitkommen!" Diese jähe Distanzierung, das Aus-der-Rolle-Fallen, indem er in seine eigentliche Rolle fällt, nämlich in die des Mannes vom Sicherheitsdienst: Ist das schon Gewalt oder noch Professionalität?

Mit Abstand

Ausgerechnet ein Security-Mitarbeiter, der Mann am Rand schlechthin, wird zur interessantesten Figur in dem von Teresa Fritzi Hoerl leichtfüßig und virtuos inszenierten Hörspiel "Was zündet, was brennt". Die österreichische Dramatikerin Magdalena Schrefel scheint solche Perspektivwechsel einfach aus dem Ärmel zu schütteln. In "Die vielen Stimmen meines Bruders" (Deutschlandfunk Kultur/ORF 2023) ging es um einen jungen behinderten Mann, der seine Stimme verlieren wird und deshalb Stellvertreterstimmen castet. Ohne dem Publikum Mitleid aufzudrängen, gelang Schrefel der Nachweis, dass man sich einfühlen kann und zugleich reflektieren. Sie vermittelte ein Gefühl und Verständnis dafür, wie es ist, wenn der Körper hinfällig wird. Nebenbei verhandelte das Stück, dass niemand sein muss, was er spielt.

Auch in den ersten Minuten von "Was zündet, was brennt" (nach dem gleichnamigen Theaterstück) passiert genau das auf engstem Raum: Man wird involviert, überrascht und behält zugleich den Abstand, den es braucht, um die Dinge zu begreifen.

Der Security-Mann greift ein

Eigentlich geht es um die beiden jungen Podcaster Dina und Miami (Aleyna Kus und Eren Güvercin). Locker und cool hören wir sie zunächst eine neue Folge ihres Podcasts "Was zündet, was brennt" ankündigen, mit den "neuesten Facts, von hot bis sehr hot". Sie informieren darin leicht verständlich darüber, wie lange die Menschheit schon über die Folgen des erdölfixierten Kapitalismus Bescheid weiß, schneiden O-Töne von Margaret Thatcher hinein und sind selbst baff, wie viele hochrangige Politikerinnen und Entscheidungsträger sich bereits zu Zeiten alarmiert gezeigt hatten, als sie, Dina und Miami, noch gar nicht geboren waren.

Doch Labern, Lesen und Likes Generieren allein hilft offensichtlich nicht. Dina und Miami werden sich also bald dafür entscheiden, den reflektierenden Abstand aufzugeben und in die Aktion zu treten. Und so schlüpfen sie, ausgestattet mit Rucksäcken und mit Hilfe von Vaseline, durch den Metallzaun der Raffinerie. Irgendwo muss er ja sein, der Hebel, den man gerade noch rechtzeitig umlegen kann, um das Weltklima zu retten. Der Security-Mann schaut zu. Und greift ein.

Jede Zeit hat ihre Angst

Bei Magdalena Schrefel ist dieser Mann mehr als nur ein Typ. Er hat seine eigene Klima- und Sozialgeschichte. Im Verhör, zu dem er die beiden Jugendlichen nötigt unter Ausmalung übelster polizeilicher Übergriffe, die ihnen sonst drohten, erleben wir ihn zwischen all seinen strengen Nachfragen auch als autobiografischen Erzähler, in dessen Kindheit man höchstens Angst vor dem Aussterben der Wale und Robben hatte. Nichts davon sei eingetreten, meint er: "Jede Zeit hat ihre Angst, und jede Angst hat ihre Politik."

Wenn Miami und Dina ihm von ihrem Projekt erzählen, halb gestehend, halb selbstbewusst verkündend, hört man ihn als amüsierten Zuhörer. Am Ende wird er sogar zum interessierten, fast kooperativen Guide: Er zeigt seinen beiden Quasi-Gefangenen die Bienenvölker, die sich ausgerechnet auf dem Raffineriegelände heimisch fühlen. Würde man ihnen sämtlichen Honig wegnehmen, sagt er, würden sie sofort mit der Produktion von neuem Honig beginnen. Warum sollten es die Menschen, denen man das Öl raubt, anders machen? Der Mann von der Security sieht keinen Sinn im Umweltaktivismus. Und doch: "Ich dachte mir, das läuft nur so geschmiert, weil wir alle, alle mitmachen." Dina fragt ihn nach seinem Namen: Achill.

Verletzlichkeit und Wehrhaftigkeit, die Utopie gelingender Verständigung und Dystopie bilden in diesem Hörspiel eine funkelnde Allianz. Man mag der Autorin ihren abschließenden Optimismus zwar nicht ganz abnehmen. Dennoch lassen Schrefel und Regisseurin Hoerl jene aktivistische Naivität weit hinter sich, die manch anderem Hörspiel über klimaschützende junge Menschen zu eigen ist.

infobox: "Was zündet, was brennt - Wie weit darf Klimaprotest gehen?", Hörspiel, Regie: Teresa Fritzi Hoerl, Buch: Magdalena Schrefel (WDR5, 26.5.24, 17.04-18.00 Uhr und im WDR-Hörspielspeicher)



Zuerst veröffentlicht 09.06.2024 10:41

Cosima Lutz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KWDR, Hörspiel, Hoerl, Schrefel, Lutz

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