28.06.2024 09:02
Resonanz und Dissonanz beim 14. Hamburger Mediensymposium
epd Selten war das traditionsreiche Hamburger Mediensymposium so sehr von aktuellen politischen Ereignissen geprägt wie in diesem Jahr. Die Vorträge und Diskussionen der bereits zum 14. Mal stattfindenden Tagung standen stark im Zeichen der Europawahlergebnisse. Mehrere Referenten kritisierten zumindest indirekt einige vereinfachende Einschätzungen dieser Ergebnisse. "Wir haben kein Problem mit Rechtsextremismus wegen Tiktok", sagte Jan Rau vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt in einem Impulsvortrag über die "Polarisierungsdynamiken und Kommunikationsstrategien rechter Akteure in sozialen Medien". Die Überschrift einer Folie, die Rau präsentierte, lautete: "Das Internet als (falscher) Sündenbock".
Martin Fuchs, Politikberater und Mitherausgeber des Buchs "Digitale Wahlkämpfe. Politische Kommunikation im Bundestagswahlkampf 2021", äußerte sich auf einem Panel des Symposiums ähnlich: Social Media habe einen "marginalen bis nicht wahrnehmbaren Anteil am Wahlergebnis" gehabt, sagte er.
In seinem einleitendem Vortrag kritisierte Rau auch die "Hypothese", dass die "Radikalisierung" von Menschen in "Echokammern" stattfinde, in denen sie nur noch mit ihrer eigenen Meinung konfrontiert würden. Radikalisierung, so Rau, sei eher das Resultat des "Aufeinanderprallens von Konfliktgruppen" in den sozialen Medien. Die AfD versuche, dieses "Konfliktkarussell" anzuheizen. Der Medienforscher wies darauf hin, dass die Debatte über die Strategie der AfD in sozialen Medien historische Vorläufer hat. In seiner Präsentation blendete er die Schlagzeile "Der unheimliche Erfolg der NPD auf Facebook" ein. Sie erschien im Juni 2014 in der "Welt".
Rau sagte, die AfD profitiere von dem "gruppen- und identitäts-zentrierten Politikstil", der auf den Plattformen dominiere. Dass die im Vortragstitel genannten "Polarisierungsdynamiken und Kommunikationsstrategien rechter Akteure in sozialen Medien" für die gesellschaftliche Debatte nicht zuletzt deshalb problematisch sind, weil andere Parteien sie adaptiert haben und ebenfalls auf einen argumentfreien "Wir-gegen-die"-Stil setzen, erwähnte er nicht.
infobox: Das 14. Hamburger Mediensymposium, das am 18. Juni in der Handelskammer in Hamburg stattfand, wurde veranstaltet von der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, dem Leibniz-Institut für Medienfoschung (Hans-Bredow-Institut, HBI), dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) und der Handelskammer Hamburg.
Der Frage "Vor welchen Aufgaben und Herausforderungen steht der Journalismus?" widmete sich in einem weiteren Impulsvortrag die frühere Chefredakteurin von "Spiegel Online", Barbara Hans, die seit 2023 Professorin am Institut für Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg ist. Hans lieferte in ihrer Präsentation einen Parforceritt zu zahlreichen inhaltlichen und wirtschaftlichen Problemen der Medienbranche.
Dazu zählt sie die "Fragmentierung" der Mediennutzung. Eine Folge davon: "Mit aufwendigen Recherchen gesellschaftspolitische Debatten anzustoßen", werde immer schwieriger. Hier ließe sich als Gegenbeispiel zwar die außergewöhnliche Wirkung der Berichterstattung von Correctiv über das Potsdamer Geheimtreffen nennen, das tat Hans jedoch nicht. Doch lässt sich beobachten, dass internationale Großrechercheprojekte, wie sie das International Consortium of Investigative Journalists oder Organisationen wie Forbidden Stories koordinieren, längst nicht mehr so viel mediale Wirkung erzielen wie in den Jahren 2015 bis 2017.
Hans erwähnte auch, dass es im Journalismus mittlerweile einen "Fachkräftemangel" gebe, auch wenn der nicht so genannt werde. Verlage telefonierten mittlerweile die Kolleginnen und Kollegen ab, die vor einiger Zeit mangels Perspektiven im Journalismus in Pressestellen gewechselt seien und böten ihnen "Rückholprämien".
Zu der Frage, was Medienhäuser besser machen müssten, sagte Hans, sie müssten auf "psychische Belastungen" von Journalisten "proaktiv" reagieren. Das Problem könne man "gar nicht ernst genug nehmen", betonte die frühere Chefredakteurin. Als Gründe für solche Belastungen nannte Hans sowohl den Arbeitsdruck im Echtzeitjournalismus - weil in einer Nachrichtenlage eine immer größere Menge an Informationen verarbeitet und auf ihre Validität geprüft werden müsse - als auch Angriffe von außen. Nicht nur Reporter, die von Demonstrationen oder Parteiveranstaltungen berichten, seien davon betroffen, sondern auch Kolleginnen und Kollegen, "die am Desk sitzen". Diese Angriffe, so Hans, könnten einen Einfluss darauf haben, "welche Geschichten noch recherchiert werden und welche nicht mehr".
Welche Lösungsansätze hat die frühere "Spiegel"-Führungskraft? "Hinterzimmer hinterfragen", sagte sie: "Sommerfesten" der Parteien werde in der politischen Berichterstattung zu viel Raum gegeben. Das größte Problem sei, dass es wenig Wissen über die Arbeitsweisen des Journalismus gebe. Manche Menschen hätten die Vorstellung, dass Medien über "alles" berichten müssten. Sie hielten es für verwerflich, dass Redaktionen aus dem täglichen Nachrichtenangebot eine Auswahl träfen. Ihnen sei schlicht nicht klar, dass Medien aus Platz- und Zeitgründen diese Auswahl treffen müssen.
Das Thema Medienkompetenz spielte auch eine Rolle bei dem Panel mit dem Titel "Wie reagieren gesellschaftliche Akteure in unterschiedlichen Öffentlichkeiten auf die Herausforderungen?". Moderatorin Anna von Garmissen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Medienforschung (HBI), fragte, warum es an Schulen "keine Medienkunde" gebe. "Alle" wollten es und hielten es für notwendig, sagte dazu Hendrik Lünenborg, seit einem Jahr Direktor des NDR-Landesfunkhauses Hamburg, aber der Schulalltag sehe anders aus. Dabei fehle es keineswegs an Lehrmaterial, zum Beispiel aus öffentlich-rechtlichen Häusern.
Beim Thema Medienkompetenz "interessieren uns immer zu sehr die 14- bis 24-Jährigen", warf Martin Fuchs ein. Sein "Eindruck aus der Praxis": Die entscheidende Zielgruppe für solche Angebote seien eigentlich die 40- bis 65-Jährigen. Personen also, "die wichtige Posten erlangt" und, anders als die lernfähigen Jüngeren, "ihre Bildungsaktivitäten eingestellt haben, weil sie schon alles wissen". Diese Arroganz erlebe er "gerade auch auf der Entscheiderebene von Politik und Medien". Fuchs spitzte seine Position zu einer Forderung zu, die auf großen Applaus aus dem Auditorium stieß: "Wir brauchen mehr Medienkompetenzangebote für 40- bis 65-jährige Männer."
Als gutes Beispiel für Erwachsenenbildung in diesem Sinne nannte Fuchs das Projekt Business Council for Democracy. Die Hertie-Stiftung, das Institute for Strategic Dialogue und der Robert Bosch Stiftung veranstalten in diesem Rahmen Workshops für Beschäftigte in Unternehmen, um diese gegen Verschwörungserzählungen und Desinformation zu wappnen. Das dominierende Thema in dieser Runde war die Frage, welche Rolle die Plattform Tiktok in der derzeitigen Informationslandschaft spielt.
Tim Klaws, "Head of Government Relations and Public Policy" für Deutschland, Österreich und die Schweiz sowie Südeuropa und Israel von Tiktok und zuständig für Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft, sagte, er freue sich immer, "wenn mit uns geredet wird und nicht nur über uns". Er beschrieb, wie sein Unternehmen unmittelbar vor der Europawahl agiert habe: Die eigenen Moderationsteams seien geschult worden, um sowohl auf "wahlbezogene Desinformation" als auch auf "unauthentische Verhaltensweisen", also "künstlich generierte Meinungen", besser reagieren zu können. Die Arbeit dieser Moderationsteams sei erfolgreich gewesen: "Es gab keinen großen Fall, wo etwas schief gegangen ist."
Klaws sagte, er habe 2021 noch mit zahlreichen Politikern, auch Mitgliedern der Bundesregierung, gesprochen, die "mit Ausrufezeichen vor sich hergetragen" hätten, dass sie sich bewusst dagegen entschieden haben, bei Tiktok aktiv zu sein. Dass die Art, wie Politiker nun versuchen, Versäumtes nachzuholen, die gesellschaftliche Debatte positiv beeinflussen wird, bezweifelte Politikberater Fuchs. Er sagte, es sei mittlerweile zu beobachten, dass "auch demokratische Akteure" ihre Reden "für Youtube und Tiktok" schrieben. Er halte das für eine "gefährliche" Entwicklung.
Das entspricht den Erkenntnissen des Politikwissenschaftlers Johannes Hillje. Dieser hat im Februar eine Studie zu den Social-Media-Strategien der Parteien vorgestellt. "Die AfD gestaltet die Reden so, dass sich kurze Passagen mit radikalen Aussagen auskoppeln lassen", sagte er damals.
NDR-Mann Lünenborg sagte, "spätestens seit dem 7. Oktober" sei klar gewesen, dass Sender und Politiker bei Tiktok aktiv sein müssen. Er bezog sich damit auf antiisraelische Desinformationen, die Tiktok-Nutzer seit dem Massaker der Hamas verbreiteten. Er kündigte einen Tiktok-Kanal des NDR mit regionalen Inhalten aus Hamburg an. Dieser soll im Spätsommer starten und zur Bundestagswahl 2025 bereits "eine signifikante Reichweite" haben. Der Vorwurf, dass man sich mit einem solchen Projekt "lange Zeit gelassen" habe, sei nicht völlig von der Hand zu weisen, sagte der Landesfunkhausdirektor.
Lünenborg griff noch ein weiteres Thema auf, das die Entscheiderinnen und Entscheidern in vielen Medienhäusern beschäftigt: Wie erreichen wir jene, die wir nicht erreichen? Barbara Hans hatte gesagt, aus der Forschung sei bekannt, dass auch "Aversionen gegen die Medien bestehen, ohne dass es jedweden Kontakt gibt". Mit anderen Worten: Es gibt Menschen, die gegen "die Medien" sind, ohne überhaupt zu wissen, wie diese berichten. Lünenborg sagte, Menschen, die mit dem NDR keine Berührung hätten, könne man "nur mit echter Begegnung" erreichen.
Die Journalistinnen und Journalisten müssten "wieder mehr aus der Redaktion rausgehen", um "unsere Kunden" anzusprechen, sagte Lünenborg. Ihm gehe es um den "Dialog im Analogen". Das müsste dann über die in verschiedenen öffentlich-rechtlichen Programmen ausgestrahlten "Dialogformate" im weiteren Sinne hinausgehen. Mit diesen Formaten erreicht man schließlich ein Publikum, das zwar auch Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat, mit diesem aber immerhin noch "Berührung" hat.
Dieser "Dialog im Analogen" bringe jedoch Arbeit mit sich, die mit dem Recherchieren und Produzieren von Beiträgen nichts zu tun hat, sondern zusätzlich geleistet werden müsse, sagte Lünenborg. Der Aufwand dafür sei erheblich. Er räumte ein: "Ich weiß noch nicht, wie man diesen Aufwand steuert."
bild: 3298 Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: René Martens ist freier Journalist und Autor von epd medien. Titel: René Martens
Zuerst veröffentlicht 28.06.2024 11:02 Letzte Änderung: 28.06.2024 11:04
Schlagworte: Medien, Tagungen, Internet, Hamburger Mediensymposium, Martens, NEU
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