Kunst kommt von Können - epd medien

20.07.2024 08:09

Die fünfteilige 3sat-Dokureihe "Das Geheimins der Meister" bietet einen lockeren Zugang zu bedeutenden Werken unterschiedlicher Epochen, im Vergleich zur ersten Staffel haben sich jedoch vermeidbare Manierismen eingeschlichen, befindet Manfred Riepe.

Titel: Tim Ernst (l.) vergleicht die Reproduktion, die ihm als Vorlage dient, mit dem Originalwerk "die Rasenbleiche" von Max Liebermann

epd Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Wie viel Arbeit sie tatsächlich bereitet, zeigt die neue Staffel der 3sat-Dokureihe "Das Geheimnis der Meister". Von der Farbmischung über die Leinwand, den Pinselstrich bis hin zum zeitgenössischen Kontext machen Vanessa Auktor und Nicole Zepter komplexe ästhetische Prozesse hinter ikonischen Gemälden der Kunsthistorie transparent.

Die Idee ist von entwaffnender Einfachheit: Berühmte Kunstwerke werden aus dem Museum herausgeholt. Nein, sie werden nicht im konkreten Sinn von der Wand abgehängt. Ein Gegenwartskünstler fertigt jeweils eine Kopie an, die am Ende jeder der fünf Folgen zum Vergleich direkt neben das Original gehängt wird. Um die Qualität dieser Reproduktion zu gewährleisten, wird der Maler unterstützt von Experten unterschiedlicher Ausrichtung.

Virtuoses Hintupfen

So lässt ein Restaurator das heute nicht mehr verfügbare Blau, das die Wirkung von Caspar David Friedrichs "Kreidefelsen auf Rügen" ausmacht, eigens für die Kopie herstellen. Thematisiert wird unter anderem die Maltechnik des sogenannten "Baumschlags". Dank eines virtuosen Hintupfens der Farbe gestaltete Friedrich Blätter nahezu fotorealistisch. Damit nicht genug, wird bei der erstmaligen Durchleuchtung des im Schweizer Museum Winterthur hängenden Gemäldes mittels Infrarot sichtbar, dass die endgültige Ausgestaltung der Personen auf dem Bild von den zuvor auf der nackten Leinwand angebrachten Bleistiftskizzen teils erheblich abweicht. Das, so ein Restaurator, sei "ein Indiana Jones Move".

Nicht minder spannend ist die Geschichte von Max Liebermanns Meisterwerk "Die Rasenbleiche" aus den Jahren 1882/83. Dieses Bild wurde bei seiner ersten Präsentation so massiv kritisiert, dass der Maler den Entwurf radikal umgestaltete. Um diesen Prozess nachvollziehbar zu machen, muss auch der Künstler Tim Ernst - der in den fünf Folgen jeweils die Kopien herstellt - seinen ersten Entwurf schweren Herzens wieder übermalen. Da die Kamera ihm bei der Arbeit über die Schulter sieht, wird deutlich, inwiefern Kunst tatsächlich von Können kommt.

Keine heruntergeleierten Fakten

Die Auseinandersetzung mit berühmten Gemälden zählt ja eigentlich zu den Kernbereichen der Kulturberichterstattung des Fernsehens. Der fünfteiligen Dokumentation gelingt jedoch eine erfrischend andere Annäherung an dieses Sujet. Kunsthistorische Fakten werden nicht wie so oft einfach heruntergeleiert. Stattdessen wird der ästhetische Prozess ganz pragmatisch durch Nachahmung aufgeschlüsselt. Dabei zeugt auch die Auswahl der analysierten Gemälde von Umsicht. Zwei der fünf vorgestellten Werke stammen von Frauen - die aber nicht aus Quotengründen angeführt werden, sondern weil es sich um herausragende Künstler ihrer jeweiligen Epoche handelt.

Paula Modersohn-Beckers "Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag" ist ein Werk, dessen faszinierende Vielschichtigkeit die Dokumentation auf packende Weise nahe bringt. Hinter dem auf den ersten Blick maskenhaft wirkenden Selbstbildnis der Künstlerin scheint etwas Universales durch. Beim Betrachten dieses Bildes entsteht die schwer fassbare Assoziation, das Weibliche schlechthin zu erblicken. Dieser schillernde Eindruck hängt damit zusammen, dass die Malerin mit ihrem 1906 entstandenen Selbstporträt seinerzeit den Expressionismus vorwegnahm.

Auf eine ähnliche Weise war auch Angelika Kauffmann, um die es in der letzten Episode geht, ihrer Zeit voraus. Mit jenem "Porträt der Dichterin Teresa Bandettini" (1794) bahnte die Schweizerin dem sogenannten Attitüden-Porträt den Weg, eine Kombination aus konventionellem Abbild und einer Figur, die bei der Ausführung einer Bewegung dargestellt wird. In einer Zeit vor der Erfindung der Fotografie galt eine solche Darstellung bewegter Figuren als Sensation.

Süchtig nach mehr

Der dokumentarischen Reihe gelingt ein durchaus origineller und zugleich angenehm lockerer Zugang zu bedeutenden Werken unterschiedlicher Epochen. Eigentlich macht "Das Geheimnis der Meister" süchtig nach mehr. Der Blick in die erste Staffel, die 2017 vom holländischen Fernsehen produziert - und anschließend mit Voiceover ausgestrahlt wurde -, zeigt jedoch, dass sich bei der Adaption des Formats vermeidbare Manierismen eingeschlichen haben.

Suboptimal ist nicht nur die Musikuntermalung. Im Vergleich zum Expertenteam des holländischen Originals fragt man sich, welche Funktion Alexander Höller als zweiter Künstler erfüllt. Der junge Maler gilt zwar als Shootingstar der Kunstszene. In der Dokuserie malt er aber nicht, er fällt eher durch seine Ganzkörper-Tattoos auf. Kunsthistorisch eingeordnet werden die Werke von Bianca Berding, bekannt durch die ZDF-Reihe "Bares für Rares". Die Moderatorin konterkariert ihre kunsthistorischen Expertisen jeweils dadurch, dass sie in jeder einzelnen Szene ein anderes - bemüht künstlerisch anmutendes - Outfit präsentiert. Von diesen Einschränkungen abgesehen, gelingt der Dokureihe eine sehenswerte Annäherung an große Kunst.

infobox: "Das Geheimnis der Meister", fünfteilige Doku-Reihe, Regie: Vanessa Auktor, Buch: Nicole Zepter, Produktion: South & Browse (3sat, 15.7. bis 19.7.24, jeweils 19.20-20.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 20.07.2024 10:09 Letzte Änderung: 22.07.2024 14:59

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), K3sat, Dokumentation, Riepe, Auktor, NEU

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