29.07.2024 09:16
epd Im Jahr 1972 erschien im niedersächsischen Merlin-Verlag ein nicht nur für die deutschsprachige Schwulenbewegung bedeutsames Buch: "Die Männer mit dem rosa Winkel" publizierte 15 lange Gesprächssitzungen, die der österreichische Journalist Hanns Neumann mit dem schwulen Wiener Josef Kohut (damals beide unter Pseudonym) führte. Darin ging es um Kohuts mehr als fünf Jahre in Gestapohaft und deutschen Konzentrationslagern und seinen vergeblichen Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung nach Kriegsende.
Der Band war damals das erste von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommene Zeugnis zum Thema NS-Verfolgung und Homosexualität. Ein halbes Jahrhundert später wurden Kohuts Berichte vom ORF in Zusammenarbeit mit dem ZDF und Arte für das Histotainment-Format "Universum History" als Dokufiction verfilmt.
Auf Grundlage eines Buchs mit aufgezeichneten Gesprächen entstand auch der zweite Teil von "Verbotenes Begehren", der zurück in die Zeit vor der NS-Diktatur geht und aus dem Leben von Margarethe Trautenegg, geborene Csonka, erzählt. Diese war wegen ihrer Beziehung zu der deutschen Baronin Leonie von Puttkamer 1918 von ihren Eltern aus der Wiener Oberschicht zu Sigmund Freud (Karl Markovics) in Behandlung geschickt worden, um sie von der schimpflichen Neigung zu heilen und den Ruf der Familie zu wahren - auch rechtlich, denn im Unterschied zu Deutschland war in Österreich damals auch weibliche Homosexualität strafbar.
Doch der Professor brach die Behandlung ab, als die Patientin selbst kein Interesse an der Analyse zeigte und ihn mit fingierten Träumen täuschte. Zumal Freud, so suggeriert es jedenfalls der Film, zur gleichen Zeit auch die Homosexualität seiner Tochter Anna erkannte. Später publizierte er den Fall anonymisiert unter dem Titel "Über die Psychogenese eines Falls weiblicher Homosexualität". Mit Trauteneggs Nachlass landeten im Wiener Sigmund Freud Museum auch Aufzeichnungen von Gesprächen der Autorinnen Ines Rieder und Diana Voigt mit der erst 1999 Verstorbenen über ihr spannendes weiteres Leben. 2000 entstand daraus der Biografie-Band "Heimliches Begehren".
Gestaltet sind beide Filme von Regisseur Fritz Kalteis dem ORF-Format gemäß mit aufwendig inszenierten, opulent ausgestatteten und prominent besetzten Spielszenen, unter anderem mit Christina Cervenka als immer wieder beiseite in die Kamera plaudernder Gretl. Hinzu kommen Archivmaterial, ein von Dörte Lyssewski gesprochener Kommentar und erläuternde Statements von ausgesucht platzierten Forschern und Historikern wie Andreas Brunner und Hannes Sulzenbacher vom Zentrum für queere Geschichte Wien.
Referiert wird in beiden Teilen neben den persönlichen Schicksalen die medizinische Pathologisierung männlicher Homosexualität, die deutsche Reform- und Aufklärungsbewegung um Magnus Hirschfeld und deren jähes Ende durch das NS-Regime. In "Margarethe und Leonie" kommt die lange Unsichtbarkeit speziell lesbischer Geschichte hinzu, in "Der Mann mit dem rosa Winkel" die Ausformung des Unterdrückungs-Regimes in der Verfolgung im KZ.
Dabei scheint die Welt der Filme etwas sehr auf die Perspektive des auftraggebenden Senders verrückt zu sein, wenn neben dem Berlin der 1920er-Jahre auch Wien als "Geburtsort der ersten Lesben- und Schwulenbewegung der Welt" markiert wird. Im Falle Berlins wird dann mit der Benennung des Gebiets um die Schöneberger Motzstraße als "sogenanntem Regenbogenkiez" ein Marketingbegriff der vergangenen Jahre auf das letzte Jahrhundert zurückprojiziert.
Inhaltlich gewichtiger aber ist die arg entpolitisierte und in beiden Episoden teilweise wortgleiche Darstellung der "Nacht der langen Messer" gegen Ernst Röhm und andere anfängliche NS-Mitstreiter Ende Juni 1934 als bloße Reaktion Hitlers auf die zahlenmäßige Stärke der SA. Auch sonst gibt es bei der gemeinsamen Versendung der beiden eigentlich getrennt konzipierten Teile im Programm von Arte an einem Abend einige Dopplungen.
Schon oft geäußerte grundsätzliche Kritik am "Histotainment" Knoppscher Schule muss hier nicht wiederholt werden. Schade aber, dass lesbische Geschichte trotz der formalen "Gleichstellung" mit einer eigenen Episode durch die Platzierung in der familiären Konstellation doch wieder klein gemacht wird.
infobox: "Verbotenes Begehren", zweiteiliges Dokudrama, Teil 1: "Margarethe und Leonie", Teil 2: "Der Mann mit dem rosa Winkel", Regie und Buch: Fritz Kalteis, Kamera: Benjamin Paya, Stefan Vucsina (Arte/ORF/ZDF, 18.7.24, 20.15-21.40 Uhr und bis 16.10.24 in der Arte-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 29.07.2024 11:16
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Kalteis, Hallensleben, Dokumentation
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