30.07.2024 08:48
epd "Dem Fernsehpublikum wird sicher einiges an Betrug zugemutet", prophezeit der Historiker Jörg Krieger im dritten Film der Doku-Reihe über die "Hintergründe" der Olympischen Sommerspiele in Paris. Krieger meint damit, dass der schöne Schein mal wieder trügen und die Einnahme von Dopingmitteln durch einige Medaillengewinner erst Jahre später auffliegen wird, wenn überhaupt. Das Publikum weiß das - nicht zuletzt dank der Recherchen der ARD-Dopingredaktion - und schaut dennoch gerne zu, es handelt sich also auch um eine Form von Selbstbetrug.
Die ARD, die das Pariser Spektakel gemeinsam mit dem ZDF und mit Eurosport in üppigen Live-Strecken im linearen Fernsehen und noch üppigeren Live-Streams im Netz serviert, stimmte ihr Publikum wenige Tage vor der Eröffnungsfeier aus drei Perspektiven auf das globale Sport-Fest ein: Korrespondentin Sabine Rau schildert mit Co-Autor Nils Casjens, wie sich Paris vorbereitet und verändert ("Die Stadt und die Spiele"). Robert Kempe und Tom Klees reisen in die internationalen Krisengebiete und legen die Verbindung von Politik und Sport offen ("Krieg und Spiele").
Hajo Seppelt und sein Team setzen wiederum ihre langjährige, verdienstvolle Arbeit bei der Aufklärung über die Mängel im Anti-Doping-Kampf fort und sind ebenfalls in China, Spanien, Kenia und Indien weit über europäische Grenzen unterwegs. Dass es auch diesmal "schmutzige Spiele" werden, wie der Titel des "Geheimsache Doping"-Films verheißt, dafür spricht einiges.
Nicht einmal die Seine ist bekanntlich sauber. Ob in dem Fluss wie geplant Wettkämpfe ausgetragen werden können, sei "die große Frage dieser Spiele", sagt Sabine Rau am Ende ihres Films. Das beharrliche Scheitern der französischen Organisatoren beim Versuch, die Seine in ein sauberes Gewässer zu verwandeln, ist als roter Faden tatsächlich ein dankbarer Stoff. Dennoch klingt Raus Resümee angesichts der weltpolitischen Lage und des enormen Sicherheitsaufgebots in Paris etwas übertrieben.
Auch die innenpolitische Zerreißprobe, die Präsident Macron mit der Neuwahl wenige Wochen vor den Spielen heraufbeschworen hatte, lässt die Korrespondentin außen vor. Dafür sammelt sie Stimmen und Bilder nicht nur im Zentrum, sondern auch in St. Denis und in weiteren Vorstädten, notiert unaufgeregt Zustimmung, Einwände und Zweifel in der Bevölkerung.
Was in der dokumentarischen Reihe über die "Hintergründe" fehlt, ist die lange historische Perspektive, die sich gerade mit dem Schauplatz Paris angeboten hätte. Denn die französische Hauptstadt ist bereits zum dritten Mal Austragungsort der Sommerspiele. Wie veränderte Olympia in den Jahren 1900 und 1924 die Stadt? Wie waren die Wechselwirkungen von Sport und Politik? Was lässt sich aus der Geschichte lernen?
Einen solchen vierten Film gibt es nicht, dafür aber "Krieg und Spiele", den Film von Robert Kempe und Tom Klees, der die aktuelle Realität mit der "Fantasiewelt" des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) abgleicht, "in der Politik nicht existiert", wie der US-Politologe Jules Boykoff kritisiert. Während Sabine Rau häufig selbst durchs Bild läuft und sogar kommentiert, wenn sie in die Metro steigt ("Ich fahre Metro"), bleiben die Autoren Kempe und Klees bis auf einige einordnende Bemerkungen aus dem Off unsichtbar. Dafür haben sie Interviews mit einer Vielzahl von Sportlerinnen und Sportlern, Funktionärinnen und Funktionären aus der Ukraine und Russland, aus Israel, Gaza und dem Westjordanland geführt.
Der Film beginnt mit einem Luftalarm in Kiew, der die ukrainischen Sportgymnastinnen zwingt, das Training zu unterbrechen, und endet am Grab des ukrainischen Gewichthebers Oleksandr Pielieshenko, Olympiateilnehmer von 2016, der als Soldat gestorben ist. Aber auch der putintreue Präsident des russischen Ringer-Verbands, in dessen Büro ein Stalin-Porträt an der Wand hängt, kommt mit selbst entlarvender Propaganda zu Wort.
Um Ausgewogenheit sind die Autoren vor allem beim Thema Nahost-Konflikt bemüht - man kann allerdings erahnen, wie aufgeladen die Wettkämpfe sein werden, sollten Israelis und Palästinenser aufeinandertreffen. Stark außerdem, dass Kempe und Klees Afghanistan nicht vergessen und auf die Situation der Frauen hinweisen, die dort keinen Sport mehr treiben dürfen. Während der zuständige und ziemlich unsportlich wirkende Taliban-Generalsekretär von der Welt "gegenseitigen Respekt" verlangt, sind Spitzensportlerinnen ins Exil ausgewandert oder trainieren unter Lebensgefahr heimlich hinter zugezogenen Gardinen. Dass laut IOC auch drei im Exil lebende Sportlerinnen bei Olympia für Afghanistan starten sollen, lehnen die im Land verbliebenen und anonym interviewten Athletinnen ab, "denn damit wird unsere Situation hier unsichtbar".
"Wir bestehen auf der politischen Neutralität", sagte IOC-Präsident Thomas Bach im März. "Politisierung spaltet die Welt." Wie naiv gerade jetzt die Vorstellung ist, Olympische Spiele könnten ein weltweites Fest des Friedens ohne politische Einflüsse sein, zeigt "Krieg und Spiele" an aktuellen Beispielen überzeugend.
Die Doku-Reihe endet schließlich mit der erneut betrüblichen Erkenntnis, dass der ARD-Dopingredaktion der Stoff wohl niemals ausgehen wird. "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele" ist in der Mediathek-Version doppelt so lang - und wirkt dabei bisweilen auch etwas unsortiert, weil die Autoren eine Vielzahl an Fällen aus mehr als vier Jahrzehnten mit aktuellen Recherchen zusammenrühren. Die eigene Leistung mit musikalischen Fanfarenstößen permanent selbst zu überhöhen, hätten Seppelt und Co. eigentlich auch nicht nötig.
Bereits im Frühjahr hatten Recherchen zu positiven Dopingproben bei chinesischen Schwimmerinnen und Schwimmern "ein weltweites Echo" ausgelöst, wie Hajo Seppelt gleich zu Beginn stolz und durchaus zutreffend verkündet. Bis zum Thema China muss man im Film lange warten, diesmal liefert ein Skandal aus Spanien den Stoff für aktuelle Schlagzeilen. Vielleicht auch, weil durch die Bilder von dem "der ARD zugespielten", mit versteckter Kamera gedrehten Interview mit dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes ein Hauch von Ibiza weht.
Seine Enthüllungen über die Dopingpraktiken vor den Olympischen Sommerspielen von Barcelona im Jahr 1992 sind erschreckend, dennoch fragt man sich eine Weile, warum dieses Hotel-Interview mit dem prahlerischen Fuentes den roten Faden des Films bildet. Bis Fuentes den Namen jenes spanischen Leichtathleten nennt, dem er angeblich mit Blutdoping und Testosteron zu besseren Leistungen verhalf: Der einstige 400-Meter-Läufer Cayetano Cornet ist in Paris Teamchef der spanischen Olympiamannschaft.
Aber der Film zeigt nicht nur auf einen einzelnen Sünder, sondern legt die Lücken im System bloß: die unterschiedliche Qualität der Dopingkontrollen in verschiedenen Ländern sowie die mangelnde Bereitschaft der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), überhaupt wirkungsvolle Kontrollen in allen Sportarten durchzuführen. Seppelt lässt es auch diesmal nicht an klaren Worten fehlen: Den Kampf gegen Sportbetrug nennt er "eine große Heuchelei". Ohne Betrug und Selbstbetrug wird es wohl auch 2024 in Paris nicht gehen.
infobox: "Olympia 2024 - Die Hintergründe", dreiteilige Doku-Reihe: 1. "Die Stadt und die Spiele", Regie und Buch: Sabine Rau, Nils Casjens, Kamera: Bernd Schäperkötter Sébastien Millard, Thomas Schäfer, Benjamin Bonte (ARD/WDR, 22.7.24, 22.35-23.20 Uhr sowie bis 18.7.26 in der ARD-Mediathek); 2. "Krieg und Spiele", Regie und Buch: Robert Kempe, Tom Klees, Kamera: Evgenii Rudnyi, Ivanna Yakovyna, Mohyi Hoje (ARD/WDR, 23.7.24, 22.50-23.35 Uhr sowie bis 23.7.25 in der ARD-Mediathek); 3. "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele", Regie und Buch: Hajo Seppelt, Nick Butler, Jörg Winterfeldt, Edmund Willison, Josef Opfermann, Kamera: Frank Gutsche, Stefan Czimmek, Peter Wozny, Jakob Kevin, Produktion: Eye Opening Media (ARD/RBB, 24.7.24, 22.40-23.25 Uhr sowie bis 24.7.25 in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 30.07.2024 10:48 Letzte Änderung: 30.07.2024 10:56
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