01.08.2024 09:22
epd Wie die Verhaftung von Julian Assange im April 2019 sorgte auch die Freilassung des Whistleblowers aus dem britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh vor wenigen Wochen weltweit für Schlagzeilen. In den Monaten vor Assanges Freilassung begleitete der türkische Exil-Journalist Can Dündar dessen Frau Stella Assange mit der Kamera. In seinem Film geht es nicht in erster Linie um Assange und die Haftbedingungen, die der Whistleblower über Jahre hinweg erdulden musste. Es geht im Wesentlichen um das auf Wikileaks im April 2010 veröffentlichte Video namens "Collateral Murder". Die unbefugte Veröffentlichung zählt zu den Hauptgründen dafür, dass die USA so hartnäckig eine Auslieferung Assanges anstrebten, den sie als "High Tech Terroristen" bezeichneten.
Das Video wurde schon häufig kommentiert, angesichts der Freilassung Assanges ist es aber sinnvoll, noch einmal daran zu erinnern, was genau in diesem Dokument aus dem Jahr 2007 überhaupt zu sehen ist. Dündar realisierte die Dokumentation, die kurz nach Assanges Freilassung schon auf Youtube zu sehen war, gemeinsam mit Sarah Mabrouk für das Auslandsfernsehen Deutsche Welle und tritt auch als Interviewer auf.
Es geht um den Irak-Krieg. Während dieser militärischen Auseinandersetzung überwachten Piloten eines amerikanischen Hubschraubers mit einer hochauflösenden Bordkamera das Geschehen am Boden. Dabei verwechselten sie das Teleobjektiv eines Journalisten mit einer Panzerfaust. In der Annahme, sie würden eine terroristische Aktion vereiteln, eröffneten sie das Feuer und richteten mit großkalibriger Munition ein Massaker an - wie sich später herausstellte, auch unter Kindern und zivilen Helfern, die sich um die Opfer kümmern wollten.
Dündar spricht mit einem früheren US-Soldaten, der seinerzeit Zeuge dieses mutmaßlichen Kriegsverbrechens war. Vor der Kamera kommentiert Ethan McCord, wie die Bordschützen des Hubschraubers sich zwar an die Vorschriften hielten, allerdings hätten sie falsche Informationen an ihre Vorgesetzten weitergegeben, um den Feuerbefehl zu erhalten. Die Perspektive auf das Geschehen am Boden, das durch einen kleinen Schwarzweiß-Monitor abgebildet wurde, habe bei den Schützen hoch oben im Hubschrauber die emotionale Distanz eines Videospiels erzeugt. Von der grausamen Realität dieses zunächst spielerisch anmutenden Einsatzes, so McCord, wurden die Soldaten erst hinterher eingeholt. Acht seiner Freunde aus der Einheit verübten Selbstmord.
Dieser Rückblick ist interessant, bringt aber wenig Neues. Der Vorfall wurde oft kommentiert, unter anderem in einem "Panorama"-Beitrag von 2011, in dem auch Ethan McCord schon ausführlich zu Wort kam. Aufhänger für die Dokumentation ist die für die Kamera via Zoom-Anruf arrangierte erstmalige Begegnung von McCord mit einem inzwischen erwachsenen Kind, dem der Soldat während des Einsatzes vor 17 Jahren das Leben gerettet hat. Die ersehnte Katharsis bewirkt dieses Gespräch für den sichtlich traumatisierten Ex-GI allerdings nicht. Gewiss, der inzwischen erwachsene Iraker vergibt dem US-Soldaten. Unübersehbar ist jedoch, wie unwohl er sich in diesem Gespräch fühlt.
Diese arrangierte Begegnung fungiert als Beleg für die zentrale Aussage der Dokumentation, die Dündar schon zu Beginn als "Kern der Sache" bezeichnet: Man sollte nicht den Boten, also Assange, belangen. Die von ihm übermittelte Botschaft, das Dokument eines mutmaßlichen Kriegsverbrechens, sei wichtiger.
Dabei bringt Dündar sich selbst als Kronzeugen ins Spiel. Ähnlich wie der WikiLeaks-Gründer hat auch der türkische Journalist ein unbequemes Video publiziert. Es zeige, "wie der türkische Geheimdienst illegal Waffen an Dschihadisten schmuggelte". Daraufhin war Dündar 2016 Ziel eines Mordversuchs, die Bilder gingen um die Welt. Ähnlich wie Assange steckte man den Journalisten in Isolationshaft. Seit 2017 lebt er im deutschen Exil. Der scheinbar nahe liegende Vergleich zwischen Dündar und Assange birgt aber auch Unschärfen. Denn Dündar geriet ins Visier des türkischen Staates, der sich mit der Machtergreifung Erdogans sukzessive zu einem autoritären System entwickelt hat. Das kann man von den USA trotz ihres großen Interesses an der Auslieferung Assanges nicht sagen.
Schließlich diskutiert der Film noch einmal die kontroversen Positionen, ob die Veröffentlichung des Videos als Landesverrat gewertet werden müsse oder ob es bei der Klassifizierung dieses Videos nicht um den "Missbrauch der Geheimhaltung durch die US-Regierung" gehe. Eine Aussage des Chefredakteurs von Wikileaks, Kristinn Hrafnsson, bleibt am Ende allerdings völlig unwidersprochen. Er denke, "da ist ein Bogen von Collateral Murder im Irak über Drohnen bis hin zu KI in Gaza", sagt Hrafnsson. Das israelische Militär wähle Ziele mithilfe Künstlicher Intelligenz aus. Dieser Hightech-Krieg sei eine bizarre Entfremdung.
Damit vergleicht der Wikileaks-Chefredakteur das im Video dokumentierte Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten mit dem Vorgehen der israelischen Armee in Gaza. Das Massaker vom 7. Oktober 2023 sowie die Praxis der Palästinenser, ihre eigene Zivilbevölkerung als lebende Schutzschilde zu missbrauchen, werden dabei ausgeblendet. Eine kommentierende Einordnung dieser unscharfen Darstellung fehlt. Damit wäre Can Dündars informativer, vielschichtiger und ambitionierter Film eine runde Sache geworden.
infobox: "Kampf um Wahrheit: Julian Assange und die dunklen Geheimnisse des Krieges", Dokumentation, Regie und Buch: Can Dündar, Sarah Mabrouk, Kamera: Manja Wolff (RBB/DW, 31.7.24, 22.30-23.25 Uhr und in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 01.08.2024 11:22 Letzte Änderung: 01.08.2024 14:54
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KRBB, KDW, Dokumentation, Dündar, Assange, Riepe, NEU
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