Hoffen auf die Apokalypse - epd medien

05.08.2024 08:50

Für die Dokumentation "Armageddon - Evangelikale und die letzte Schlacht" reiste die norwegische Dokumentarfilmerin Tonje Hessen Schei zusammen mit dem amerikanischen Reporter Lee Fang zu radikalen evangelikalen Gruppen in den USA. Die Erkenntnisse über den Einfluss dieser Gruppierungen sind erschreckend.

epd Frank Schaeffer ist der Sohn von Francis Schaeffer, einem der bekanntesten evangelikalen Prediger und Gründer der US-amerikanischen Pro-Life-Bewegung. "Ich war der Prinz einer evangelikalen Königsfamilie", erzählt er. 20 Jahre habe er gebraucht, um "clean zu werden - wie ein Drogenabhängiger". Heute gilt er seiner Familie als abtrünniger Ketzer. Eine Episode aus seiner Kindheit, die er zu Beginn dieser Dokumentation schildert, deutet an, in welche bizarr anmutenden und verstörenden Welten der Film führt: Schaeffer erzählt, dass er als Kind bei jeder Toilettenspülung nachschaute, "ob das Wasser schon zu Blut geworden war - denn das galt als Zeichen für die bevorstehende Apokalypse".

Man könnte das für skurrile Phantasien einer sektenähnlichen Minderheit halten, für einen verstörenden Ausflug aus der aufgeklärten Moderne ins Mittelalter. Doch die norwegische Dokumentarfilmerin Tonje Hessen Schei verdeutlicht in ihrem 90-minütigen Film eindrücklich, dass es hier um etwas viel Gefährlicheres geht - denn die Evangelikalen sind inzwischen nicht nur im amerikanischen Bible Belt eine bedeutende politische, ultrakonservative Kraft, die als religiöse Rechte Donald Trump zur Macht verhalf und darüber hinaus auch massiven Einfluss auf die (republikanische) Außenpolitik und insbesondere den Nahostkonflikt nimmt.

Aufruf zum blutigen Kreuzzug

Zum Glauben dieser Bewegung gehört die krude Überzeugung, dass es erst zum "Armageddon", zur großen "letzten Schlacht im Heiligen Land", also Israel, kommen muss, damit Jesus wiederkehrt und die gläubigen Christen mit der "Entrückung" und Erlösung belohnt. Es ist also ganz im Interesse der Evangelikal-Radikalen, den Nahost-Konflikt weiter zu befeuern. Jeder Waldbrand, jede Überflutung, jeder Krieg, jedes Erdbeben und jede Überschwemmung werden als Zeichen einer unmittelbar bevorstehenden Apokalypse interpretiert.

Den amerikanischen Investigativreporter Lee Fang beschäftigt dieses Thema seit einigen Jahren. Der Film, der vor dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 entstand und die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten nicht berücksichtigen konnte, begleitet Fang bei seinen Recherchen und Interviews. Mit ihm begegnen wir beispielsweise Gary Burd, einem Rocker und Prediger, der auf einem schweren Motorrad durch die amerikanische Provinz fährt und in seinen Predigten zum blutigen Kreuzzug aufruft.

Lee Fang interviewt den geistlichen Berater von Donald Trump, Robert Jeffress, dessen Predigten weltweit im Fernsehen übertragen werden, er spricht mit Abgeordneten und evangelikalen Senatoren über ihre Haltung zum Nahostkonflikt. Er dokumentiert die Bedeutung radikaler Gruppen wie "Christians United for Israel" des Fernsehpredigers John Hagee für die republikanische Politik. Ein ehemaliger Militär berichtet über den Einfluss, den die evangelikale Bewegung auf die US-Armee ausübt. Die Dokumentation macht auch deutlich, dass es keineswegs bei Predigten bleibt: Evangelikale bilden Milizen aus, horten Waffen und schrecken vor der Anwendung Gewalt nicht zurück, wie der Sturm auf das Kapitol zeigte, an dem auch viele der Fundamentalisten beteiligt waren.

Martialische Visionen

Folgerichtig gilt die besondere finanzielle und moralische Unterstützung der evangelikalen Fundamentalisten den rechten jüdischen Siedlern in Israel und der Vertreibung der Palästinenser - denn das befeuert den Konflikt und bringt in ihrer Logik "Armageddon" und damit Christus und die Erlösung näher. Die Bildsprache des Films visualisiert sehr eindrücklich das Martialische dieser Visionen - und auch ihre Konsequenzen in der realen Welt. Beunruhigend sind auch Aufnahmen von evangelikalen Veranstaltungen, bei denen Kinder indoktriniert werden und Teilnehmer sich in religiöse Ekstase tanzen.

Mit manchmal sehr drastischen Szenen aus Israel und dem Gazastreifen, die den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Drangsalierung von Palästinensern durch eine rechte israelische Siedlungspolitik thematisieren, begibt sich der Film freilich auf schwieriges Terrain. Konsistenter ist er dort, wo er sich auf die Ziele und Methoden der amerikanischen Evangelikalen konzentriert. Denn es geht den Evangelikalen keineswegs um Israels jüdische Bevölkerung: die Juden würden bei der "letzten Schlacht um Jerusalem" entweder getötet oder bekehrt, heißt es fast beiläufig an einer Stelle des Films.

Lee Fangs hartnäckige Recherchearbeit, die der Film auch zeigt, ist bemerkenswert. Mit seinen sachlichen, neutral formulierten Fragen bringt er seine Gesprächspartner zu sehr freimütigen und aufschlussreichen Auskünften. Dabei lässt der Film von Anfang an keinen Zweifel an der politischen Haltung des Reporters und der Dokumentarfilmerin selbst. Mit Blick auf die politische Lage im Nahen Osten und den derzeitigen Wahlkampf in den USA ist die Dokumentation eine Warnung von erschreckender Aktualität.

infobox: "Armageddon - Evangelikale und die letzte Schlacht", Dokumentarfilm von Tonje Hessen Schei, Kamera: Sami Haartemo, Michael Rowley, Produktion: Ventana Film, Auto Image, Making Movies, Film I Skane (Arte/ZDF, 30.7.24, 22.55-0.30 Uhr und in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 05.08.2024 10:50

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, Dokumentation, Hessen Schei, Steglich

zur Startseite von epd medien