Selbstbewusster Ost-Ton - epd medien

06.08.2024 07:31

Tanke statt Späti, Kassler statt Quinoa: Der Podcast "OKF" ist zwar angenehm weit weg vom verhipsterten Großstadtsound, der den Medien häufig vorgeworfen wird, wirkt aber manchmal unnötig steril.

Jakob Springfeld und Lilly Blaudszun sprechen im Podcast "OKF" mit ihren Gästen über ostdeutsche Heimatorte

epd "Ich brauch' kein Späti, fahr' zur Tanke", heißt es im Song "Großstadt" der Indie-Band Provinz. Das könnte auch das Motto des Talk-Podcasts "OKF - Ortskontrollfahrt" von RBB und dpa sein: Mit selbstbewusster Schnoddrigkeit erzählen junge, mehr oder wenige bekannte Gäste von ihrem Aufwachsen in der - jedenfalls von Berlin aus so gesehenen - Provinz. Dass die hier dezidiert ostdeutsch ist, spielt eine eher unverkrampfte Nebenrolle.

"OKF", das ist Jargon für zielloses Umherfahren, Abend- und Wochenendbeschäftigung der Jugend vorzugsweise dort, wo sonst nicht viel los ist. Auf genau diese Touren wollen sich die Hosts Lilly Blaudszun, aufgewachsen in Ludwigslust, und Jakob Springfeld, aufgewachsen in Zwickau, mit ihren Gästen begeben. In den ersten vier von zehn angekündigten Folgen geht es mit Rapper Finch durch Fürstenwalde, mit Influencerin Stachel durch Gera, mit Ex-Fußballprofi Felix Kroos durch Rostock und mit Pferde-Influencer Patrick Thomalla durch Zahna. Und zwar an Orte ihrer Jugend: Fußballplätze und Skateparks, Schulen, Dönerläden und Burgerbuden, Tankstellen, Clubs, der Schulimbiss "Mampf" in Rostock, das Freizeitbad "Schwapp" in Fürstenwalde.

Lebendige Gespräche

En passant werden so Geschichten einer Jugend erzählt: Vereinssport und Abhängen, erste Dates, der erste Rap-Text, der erste Nebenjob, das erste Auto, das erste Mal Feierngehen. Wer nun aber das Schlagen von Autotüren, den dumpfen Klang angekickter Fußbälle, das Getöse der feiernden Kleinstadtjugend oder den Lärm geschäftigen Treibens im Dönerladen erwartet, vielleicht auch den einen oder anderen O-Ton von alten Wegbegleitern der Gäste, wird enttäuscht: Die "OKF" findet nur in Gedanken statt, die Gäste und Hosts bleiben im Studio. Damit verschenkt "OKF" das Potenzial, das Provinz-Lebensgefühl jenseits steriler Studioatmosphäre noch stärker zu betonen und sich aus der Masse der Talk-Podcasts hervorzuheben.

Das Manko wird jedoch durch den aufgeweckten Moderationsstil von Blaudszun und Springfeld wettgemacht: Es entstehen lebendige Gespräche, etwa wenn bei Felix Kroos hinter der Hochglanzwelt des Fußballs auch die Bitternis einer Jugend anklingt, die - abgesehen von Bruder Toni - wohl weitgehend ohne Freundschaften auskommen musste. Der Titel der Folge kommentiert das lakonisch mit "Sportwetten mit Toni aber verpasste Jugend?". Für Lebendigkeit sorgt außerdem, dass die Gäste Songs mitbringen - natürlich aus den Soundtracks ihrer Jugend. Statt Motorengeheul gibt es als Atmo immerhin das Rascheln von Verpackungen, weil Springfeld und Blaudszun ihren Gästen Snacks oder auch Getränke aus deren Jugend kredenzen.

So bekommt "OKF" einen nicht aufgesetzt wirkenden Retro-Charme. Der wird noch verstärkt, wenn sich Blaudszun (23) und Springfeld (22) als Angehörige der Generation Y mit den Millennials Finch und Kroos unterhalten. Nach dem Einspielen eines Grönemeyer-Songs stellt Lilly Blaudszun fest, es sei komisch, dass sich die Gen Z anhören könne, was sie wolle, während sich Kroos noch dem "ausgesetzt" habe, was Konzertmitschnitte auf DVD vorgaben. Finch wiederum beschreibt dem erstaunten Springfeld das Interieur eines Internetcafés.

Menschlich hängengeblieben

Der Podcast möchte erklärtermaßen ein vielseitiges Bild Ostdeutschlands zeichnen, das gelingt in den ersten vier Folgen auch durch die Auswahl der sehr unterschiedlichen Gäste und Heimatorte. Sowohl der Provinz-Sound als auch der spezifische Ost-Ton sind angenehm selbstbewusst. Zu Beginn der ersten Folge kündigt Blaudszun an, dass sich hier der Osten melde, "für manche Hater vielleicht noch besser bekannt als Dunkeldeutschland". Influencerin Stachel betont, wie froh sie sei, im Osten aufgewachsen zu sein.

Und doch bleibt der Eindruck, dass der eine oder andere Moll-Ton etwas vorschnell mit Feelgood-Retro übertüncht wird. Randalierende rechtsextreme Fans von Hansa Rostock sind nach einer eher ausweichenden Antwort von Felix Kroos schnell abmoderiert. Und was meint Finch eigentlich, der wie alle Protagonisten außer Patrick Thomalla seinen Heimatort inzwischen verlassen hat, wenn er sagt, 90 Prozent der Leute in Fürstenwalde seien politisch oder menschlich hängengeblieben?

Mit der politischen Influencerin und früheren SPD-Social-Media-Campaignerin Blaudszun und dem linken Aktivisten Springfeld als Hosts wäre hier sicher mehr Tiefenbohrung möglich. Trotzdem: Das selbstbewusst-konstruktive Bild vom Osten und vom Heranwachsen in vermeintlich abgehängten Gebieten macht diesen Podcast zu einer echten Bereicherung.

infobox: "OKF - Ortskontrollfahrt", zehnteiliger Podcast mit Lilly Blaudszun und Jakob Springfeld (ARD-Audiothek/Fritz/dpa, seit 18.7.24, jeweils donnerstags)



Zuerst veröffentlicht 06.08.2024 09:31

Dominik Speck

Schlagworte: Medien, Audio, Kritik, Kritik.(Audio), KRBB, Podcast, Speck

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