Spektakuläre Bilder - epd medien

07.08.2024 09:16

Seit dem 26. Juli berichten ARD und ZDF abwechselnd über die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) veranstalteten Olympischen Wettbewerbe in Paris. Die Sender erreichten in den ersten Tagen mit ihrer Live-Berichterstattung im Ersten und Zweiten im Schnitt einen Marktanteil von rund 30 Prozent. Hinzu kommen bis zu zehn parallele Livestreams von den unterschiedlichen Wettbewerben in den Mediatheken. Dietrich Leder sah große Leistungen, aber auch einige Ausfälle in der Berichterstattung.

Wie ARD und ZDF aus Paris über Olympia berichten

Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele am Eiffelturm in Paris

epd Die Übertragungen von den Olympischen Spielen in Paris werden am Ende des Jahres ohne Zweifel zu den Fernsehereignissen 2024 zählen. Das hat viele Gründe: Zum einen finden die Spiele, anders als etwa die Übertragungen aus Tokio im Jahr 2021 oder Rio de Janeiro 2016, zu Zeiten statt, an denen man wichtigen Sportübertragungen gerne zuschaut. Zum Zweiten gab es in Paris in vielen Sportarten hervorragende Leistungen zu sehen, die für die jeweiligen Disziplinen warben und mit denen die Sportlerinnen und Sportler begeisterten. Zum Dritten waren die Spiele auf wunderbare Weise in das Stadtbild von Paris integriert, so dass spektakulärer Sport und spektakuläre Stadtansichten zu Fernsehbildern verschmolzen, wie man sie lange nicht gesehen hat.

Zum Vierten war die Stimmung in den Stadien, Hallen und an den Freiluftstrecken bestens. Es gab einen enormen Zuschauerzuspruch: In den frühen Morgenstunden war das Leichtathletikstadion bis auf den letzten Platz gefüllt, als hier die Vorkämpfe stattfanden. Selbst Wettbewerbe, bei denen man ein geringeres Zuschauerinteresse erwartet hatte, fanden vor vollen Tribünen statt. Das Publikum in Paris erwies sich bei aller Begeisterung für die heimischen Sportler als weltoffen und sachkundig. Große Leistungen wurden immer mit Beifall und Begeisterung quittiert, egal woher diejenigen kamen, die sie vollbrachten.

Ungewöhnliche Perspektiven

Und schließlich hatten die Organisatoren und die Sender weiter in die Übertragungstechnik investiert. Die Zahl der Kameras, die das sportliche Geschehen aufnahmen, war noch einmal erhöht worden, was noch mehr Bilder auch aus ungewöhnlichen Perspektiven erlaubte. Superzeitlupen eröffneten nicht nur einen analytischen Blick auf die jeweilige sportliche Aktion, sondern ästhetisierten sie gelegentlich zu einem abstrakt anmutenden, aber visuell attraktiven Bewegungsbild.

Hinzu kamen digitale Tricks, die erlaubten, den Bewegungsablauf im Turnen in Detailaufnahmen aufzulösen, ohne ihn zu stoppen, oder mit denen sich die Ansicht beim Beachvolleyball im stehenden Bild selbst im Halbkreis bewegte. Nicht zu vergessen ein enormer Zuwachs an Daten, die über die Bilder gelegt wurden und Auskunft über die Reaktionszeit beim Tennisreturn oder über den Abwurfwinkel beim Speerwerfen gaben.

Die Übertragungsrechte an den Sommerspielen hatte sich vor einigen Jahren das US-Medienunternehmen Discovery gesichert, das mittlerweile mit dem Konzern Time Warner verschmolzen wurde und seitdem Warner Bros. Discovery heißt. Dieser weltweit agierende Konzern betreibt den Sender Eurosport, der auch in Deutschland zu empfangen ist. Dieser übertrug in seinem kostenfrei zu empfangenden Programm sowie beim kostenpflichtigen Streamingdienst Discovery+ viele Ereignisse live. Dies werden allerdings nur Wenige In Deutschland wahrgenommen haben, da das US-Unternehmen die Übertragungsrechte auch an ARD und ZDF weitergereicht hatte, die sich traditionell mit den Sendetagen abwechselten und zudem weitere Ereignisse in ihren Mediatheken live anboten. Ausweislich der gemessenen Zuschauerzahlen waren die Spiele für die öffentlich-rechtlichen Sender ein großer Erfolg.

Falsche Entscheidungen

Die Vielfalt des Angebots hatte Vorteile: Wer nicht das sehen wollte, was im jeweiligen Hauptprogramm gezeigt wurde, fand meist das, was parallel geschah, in einem der Livestream-Kanäle in den Mediatheken. Wer sich also für Sportarten interessierte, in denen etwa deutsche Sportlerinnen und Sportler nicht oder nicht mehr vertreten waren, kam dennoch in den Genuss der Übertragungen etwa von den Endspielen im Badminton oder in den Einzelwettbewerben im Tischtennis. Wer allerdings nur der Neugierde halber durch die Streamingangebote zappte, den beschlich bald das Gefühl, stets am falschen Ort zur falschen Zeit zu sein, soviel geschah zur selben Zeit.

Mitunter konnte man jedoch Entscheidungsfehler der jeweiligen Redaktionen korrigieren. Wer also am 3. August meinte, dass der 100-Meter-Endlauf der Frauen wichtiger sei als ein eher schwaches Fußballspiel der deutschen Frauen gegen Kanada, für das sich das ZDF entschieden hatte, konnte in der Mediathek zur Leichtathletik wechseln; zum Elfmeterschießen war man dann pünktlich zurück im ZDF-Programm.

Problematisch war die Entscheidung der ZDF-Redaktion, am 1. August vom Mehrkampf der Turnerinnen zum Schwimmen zu wechseln - in der Hoffnung, dass Lukas Märtens, der am ersten Wettkampftag die Goldmedaille über 400 Meter Freistil gewonnen hatte, auch über 200 Meter Rücken eine Chance hätte. Das war aber Wunschdenken, denn Märtens schwamm zwar persönliche Bestzeit, wurde damit aber nur Achter und Letzter im Finale. Unterdessen gewann Simone Biles (USA) - einer der Super-Stars dieser Spiele - mit einer sensationellen und die Halle elektrisierenden Bodenübung die Goldmedaille. Und die junge deutsche Turnerin Helen Kevric erreichte den für sie sehr achtbaren achten Platz, sie war damit genauso erfolgreich wie der Schwimmer Märtens.

Sensationeller Sieg

Wenige Tage später, am 5. August, brach das ZDF 25 Sekunden vor Ende des Halbfinales der deutschen 3x3-Basketballerinnen die Übertragung ab, damit Werbung gezeigt und anschließend die Nachrichtensendung "Heute" um 19 Uhr rechtzeitig beginnen konnte. ZDF-Sportchef Yorck Polus räumte später ein, dass der Abbruch ein Fehler gewesen war. Am späteren Abend entschied sich die Regie richtig, als sie statt der Endphase des Stabhochsprungs der Männer das Finale der 3x3-Basketballerinnen zeigte. So verpassten die Zuschauer zwar den Weltrekord des Schweden Armand Duplantis, der erneut seine einsame Klasse in dieser Sparte der Leichtathletik bewies, erlebten aber den sensationellen Sieg der deutschen Frauenmannschaft gegen Spanien mit. Diese Variante des klassischen Basketballspiels, die im Freien und in einem Feld mit nur einem Korb ausgetragen wird, erwies sich mit ihrem Tempo und den schnellen Ballwechseln als ideale Fernsehsportart.

ARD und ZDF widmeten ihr Programm abwechselnd von morgens 9 Uhr bis in den späten Abend den Olympischen Spielen. Die Übertragungen wurden allein unterbrochen von den Nachrichten und den jeweils bis 20 Uhr ausgestrahlten Werbeblocks, die sich als gut gefüllt erwiesen und so einen Teil der Rechte- und Produktionskosten refinanzierten. ARD und ZDF teilten sich in Paris auch das Studio an der Place de l'Alma mit Blick auf den Eiffelturm.

Hier führten Katrin Müller-Hohenstein und Jochen Breyer für das ZDF sowie Esther Sedlaczek und Alexander Bommes für die ARD abwechselnd jeweils für acht Stunden durch das Programm. Ihre Moderationsaufgabe war nicht einfach. Sie mussten immer wieder aufs Neue vielversprechende Überleitungen von der einen Sportart zur nächsten finden und zugleich bei den parallel laufenden Wettbewerben den Überblick bewahren, sachkundig Zwischenstände vermitteln oder Spannung schüren. Zum Dritten mussten sie sich bei den Interviews bewähren, denen sich die deutschen Sportlerinnen und Sportler im Studio stellten.

Unhöfliche Bemerkung

Das überforderte sie mitunter, wenn sie zu ungenaue Fragen stellten, oder gelegentlich auch unhöflich wurden, wie etwa Alexander Bommes im Gespräch mit der Tennisspielerin Angelique Kerber. Er überraschte die Sportlerin, die mit diesem Olympiaturnier ihre erfolgreiche Karriere beendete, mit der unhöflichen Bemerkung, dass sie während des Spiels zwischenzeitlich "ziemlich fertig ausgesehen" habe.

Bommes konnten einem gelegentlich mit seiner Leutseligkeit und seiner guten Laune auf die Nerven gehen. Doch kaum hatte man sich ein Urteil über ihn gebildet, überraschte er mit sachkundigen Fragen wie im Gespräch mit dem Vielseitigkeitsreiter Michael Jung, der die Goldmedaille gewann, oder mit der deutschen Beachvolleyballspielerin Laura Ludwig, die mit der Niederlage in Paris ihre Laufbahn beendete. Bewegt zeigte er sich, als der Serbe Novak Djokovic das Tennisturnier der Männer in einem unglaublich guten Spiel gegen Carlos Alcaraz (Spanien) gewonnen hatte und anschließend angesichts seiner ersten Goldmedaille von Emotionen übermannt wurde.

Den Kommentatorinnen und Kommentatoren der vielen Sportwettbewerbe hatten ARD und ZDF eine Reihe von ehemaligen Sportstars beiseitegestellt, die sie mit ihrer Sachkunde unterstützen sollten. So hörte man beim Schwimmen Dorothea Brandt an der Seite von Tom Bartels im Esten und Christian Keller an der Seite von Volker Grube im ZDF. Jan Frodeno half im ZDF mit seiner Sachkunde beim Triathlon und Frank Busemann im Ersten bei der Leichtathletik und dort vor allem beim Zehnkampf.

Charmanter Dank

Andrea Petkovic, die bei den Tennisübertragungen des ZDF Aris Donzelli zur Seite stand, bestach durch genaue Analysen, die bis in Schlagdetails reichten. Sie und Donzelli hatten allerdings das Pech,dass bei der Viertelfinalbegegnung zwischen Alexander Zverev und Lorenzo Musetti ihr Monitor streikte. Da sie keinen direkten Blick auf die Begegnung hatten, mussten sie lange Zeit pausieren; für sie sprang Martin Wolff ein, ein Kollege aus der Übertragungszentrale, der seine Sache für die widrigen Verhältnisse gut machte.

Dass Petkovic dann das Tennis-Endspiel der Männer im Stream, aber nicht im Hauptprogramm kommentierte, denn an diesem Tag war die ARD an der Reihe, wies auf weiteres Einsparpotenzial hin: Warum teilen sich ARD und ZDF nicht die Sportarten untereinander auf? Dann hätte beispielsweise das ZDF mit Petkovic allein Tennis kommentiert, während etwa das Dressurreiten allein bei der ARD und dem sonoren Reitexperten Carsten Sostmeier verblieben wäre. Petkovic und Sostmeier verband übrigens, dass sie sich am Ende der Übertragungen charmant dafür bedankten, dass sie diesen jeweils sportlich sensationellen Ereignissen beiwohnen durften.

Ein personalpolitisches Argument spricht allerdings gegen die Aufteilung der Sportarten zwischen ARD und ZDF. Man spürte oft, dass diejenigen, die Sportarten kommentierten, die sonst selten im Fernsehen gezeigt werden, stolz darauf waren, mit ihrem Fachwissen zu glänzen. Die Chance, sich einmal alle vier Jahren einer größeren Öffentlichkeit präsentieren zu können, würde durch eine solche Aufteilung gleichsam halbiert

Parität der Geschlechter

Die Zahl der Wettbewerbe ist in Paris weiter gestiegen. Mit Breaking, einer sportlichen Variante des Breakdance, mit Kitesurfen, Speedklettern und Kajak Cross im Wildwasserkanal kamen moderne Sportarten hinzu, die spektakuläre Bilder garantieren. Neu auch eine Reihe von Staffel-Wettbewerben, bei denen Männer und Frauen gemeinsam antraten.

Erstmals in der olympischen Geschichte wurde die Parität zwischen den Geschlechtern erreicht. Jeweils 5.250 Sportlerinnen und Sportler waren zu den Wettbewerben angemeldet. Mittlerweile werden alle olympischen Sportarten sowohl von Männern als auch von Frauen betrieben, auch wenn viele - wie Rugby - vor Jahren noch als traditionell männlich galten. Verblüffend, wie selbstverständlich die Übertragungen vom Frauen-Rugby abliefen, und welche sensationellen Körperaktionen in diesem als rabiat geltenden Sport zu beobachten waren.

Die Emanzipation des Frauensports hat sich auch auf den Sportjournalismus ausgewirkt. Die Zahl der Journalistinnen, die als Kommentatorinnen oder Interviewerinnen die Spiele begleiten, ist weiter angestiegen. Das tut den Übertragungen gut. Frauensport wird mittlerweile nicht mehr gönnerhaft kommentiert, wie das noch vor 10 oder 20 Jahren üblich war. Auch beschränken sich die Kommentare zu den Sportlerinnen auf den sachlichen Aspekt ihres Handelns. Dass Willi Hark (ARD) bei der Leichtathletik meinte, die Frisur einer Athletin preisen zu müssen, ist dankenswerterweise zur Ausnahme geworden.

Kein individueller Fehler

Für ein Gesprächsdesaster sorgte allerdings der ARD-Reporter Dominic Vischer, der als Interviewer bei den Schwimmwettbewerben fungierte. Er meinte am 27. Juli, die Schwimmerin Isabel Gose danach befragen zu müssen, wie es wohl ihrem Ex-Freund Lukas Märtens ginge, der in diesem Augenblick seine Goldmedaille bei der Siegerehrung entgegennahm. Man weiß nicht, was man für unverschämter halten soll: Die Dreistigkeit, mit der eine Frau auf die beendete Beziehung zu einem Mann reduziert wurde, die Klebrigkeit, mit der hier das seelische Befinden von Menschen kartographiert werden sollte oder die Ignoranz einer Sportlerin gegenüber, die gerade mit deutschem Rekord den fünften Platz in einem Olympiawettbewerb erreicht hatte.

Dass das kein Fehler eines einzelnen Reporters war, sondern Teil einer redaktionellen Strategie, konnte man daran erkennen, dass Isabel Gose in der Namenseinblendung mit dem Zusatz "Ex-Freundin" tituliert wurde. Und auch Esther Sedlaczek, die am 4. August den Schwimmer und die Schwimmerin im Studio zu Gast hatte, fragte noch einmal nach, "wie stark das Band zwischen Ihnen beiden" noch ist.

Generell erbrachten die Interviews, die unmittelbar nach den Wettkämpfen geführt wurden, wenig. In ihnen ging es meist allein um jene Emotionen, die man ohnehin in den Gesichtern lesen konnte: Überraschung, Enttäuschung, Triumph, aber auch Spannung wegen eines ungewissen Ausgangs. Beispielhaft dafür waren die letzten Minuten des Herrenhockeyspiels zwischen Deutschland und Argentinien am 4. August, als es Sekunden vor Schluss und dann sogar noch nach Abpfiff in Videobeweisen um Entscheidungen der unsicheren Schiedsrichter ging. Es dauerte - so hatte es den Anschein - ewig, ehe der Sieg der deutschen Mannschaft und ihr Einzug ins Halbfinale feststand.

Mätzchen der Live-Regie

Übertroffen wurde diese Spannung am selben Abend nur noch von der Frage, wie der 100-Meter-Lauf der Männer ausgegangen war. Hier brachte erst das Zielfoto die Entscheidung, wie die Medaillen zu vergeben waren: Sieger Noah Lyles (USA) gewann in 9,79 Sekunden und lag fünf Tausendstel-Sekunden vor Kishane Thomson (Jamaika). Dem Lauf selbst ging ein minutenlanges Geplänkel voraus, mit dem der sehr kurze sportliche Moment zu einem minutenlangem Ereignis aufmontiert wurde. Es gab eine Lichtshow und dann ein langes Warten der Athleten vor den Startblöcken, ehe sie der Starter anwies, ihre Positionen einzunehmen.

Diese Dramatisierung durch Hinauszögern ist ähnlich störend wie die Mätzchen der Live-Regie, die bei vielen Übertragungen glaubte, die Begeisterung in den Stadien dadurch dokumentieren zu müssen, dass sie die Besucherinnen und Besucher so lange im Bild zeigte, bis diese sich selbst im Live-Bild, das über Displays in den Stadien wiedergegeben wird, erkannten und euphorisiert darauf reagierten.

Das fiel vor allem beim Tennis und beim Fußball auf. Nach einigen Tagen, am 2. August, sah sich das IOC endlich bemüßigt, für Verbesserungen zu sorgen. Denn das IOC ist ja nicht nur Veranstalter, sondern auch Produzent. Die Tochterfirma OBS sorgt für das Weltbild, das allen übertragenden Fernsehanstalten zur weiteren Verwendung überlassen wird. Die jeweiligen Sendeanstalten können wie ARD und ZDF beim Schwimmen und in der Leichtathletik einige wenige Kameras zusätzlich installieren, die sie für Interviews und für besondere Bilder von Sportlern der eigenen Länder nutzen.

Tatsächlich bedurfte es dieser durch das Fernsehbild gesteigerten Begeisterung nicht, um die heitere, stets dem Sport zugewandte Stimmung auf den Straßen und in den Sportstätten in Paris zu dokumentieren. Die hatte sich bereits bei der Eröffnungsfeier offenbart, die zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Sommerspiele nicht in einem Stadion, sondern im öffentlichen Raum stattfand. Zwar konnten aufgrund der verschärften Sicherheitsvorkehrungen nur 300.000 Menschen am Ufer der Seine teilnehmen, aber das waren noch immer mehr Menschen, als in das größte Stadion passten.

Staat der Künste

Eröffnungsfeiern sind seit den Olympischen Sommerspielen 1936, die den Beginn von Live-Übertragungen sportlicher Ereignisse im Fernsehen markieren, mediale Spektakel. Damals führten sie Hitler als Führer einer auf ihn fixierten Nation vor. Seither geht es weniger um den Sport und seine merkwürdigen Rituale wie das Olympische Feuer oder den Olympischen Eid, als vielmehr um die Länder und ihre politischen Systeme, die den Wahnsinn dieser enorm teuren Veranstaltung auf sich nehmen. In Paris präsentierte der Theaterregisseur Thomas Jolly, der die diesjährige Eröffnungsfeier inszenierte, Frankreich als einen Staat der Künste. Frech und wild würfelte er die unterschiedlichsten Bilder der Geschichte durcheinander, wie es die Surrealisten im 20. Jahrhundert vorgemacht haben.

Man konnte diesen Bilderreigen durchaus auch als Statement gegen den Rechtsruck in der französischen Gesellschaft verstehen, der sich jüngst bei den Parlamentswahlen gezeigt hat. Stärkstes Signal war wohl eine Szene, in der die aus Mali stammende französische Sängerin Aya Nakamura gemeinsam mit der Kapelle der Republikanischen Garde auftrat und die sonst eher hüftsteifen Musiker in ihrer Militärkleidung zum Tanzen brachte. Alle musikalischen Auftritte und Tanzeinlagen fanden an den Ufern der Seine statt. Die Mannschaften fuhren in Schiffen - vom Touristenboot bis zur Motoryacht - über die Seine ein.

Allerdings litten die Zuschauerrinnen und Zuschauer am Ufer ebenso wie die Sportler auf den teilweise unbedachten Booten unter dem heftigen Regen, der während der gesamten gut vier Stunden dauernden Veranstaltung anhielt.

Queeres Gruppenbild

Während des Spektakels wurden viele Gemälde aus der französischen Kunstgeschichte zitiert. In einer der schönsten Szenen sah man, wie aus Gemälden, die im Louvre hängen, tricktechnisch die porträtierten Figuren verschwanden, um ans Seine-Ufer zu eilen, wo sie der olympischen Eröffnungsfeier folgten. Das war perfekt gestaltet und zugleich von einer liebevollen Ironie, die das gesamte Eröffnungsspektakel durchzog. Immer wieder blitzten in Bildzitaten Szenen der französischen Geschichte auf, mehrfach war die nach der Revolution 1793 geköpfte Königin Marie-Antoinette zu sehen.

Diese Ironie mochten jedoch nicht alle. So löste ein Tableau Vivant, in dem sich queere Figuren zu einem Gruppenbild mit einer lesbischen Aktivistin in der Mitte fügten, heftige Kontroversen aus. Vor allem Vertreter der katholischen Kirche hatten diese Szene als Persiflage auf das Gemälde "Das letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci verstanden. Doch viele andere Elemente, die gleichzeitig im Live-Bild zu sehen waren, hatten nichts mit dem Gemälde von da Vinci zu tun: So saßen die Figuren in Paris nicht an einem Tisch, sondern an einem Laufsteg. Im Vordergrund räkelte sich ein Mann als blau angemalter Weingott Dionysos, der deutlich einer vorchristlichen Tradition entstammt.Der Kunsthistoriker Walther Schoonenberg verwies in einem Post auf der Plattform X (vormals Twitter) auf ein anderes Gemälde: "Fest der Götter" von Jan van Bijlert, das anders als das Bild von da Vinci in einem französischen Museum zu finden ist und nun in Paris nachgestellt wurde.

Dass sich der Eindruck eines "queeren Abendmahls", wie es der Sportbischof der Katholischen Bischofskonferenz, Stefan Oster, nannte, einstellen konnte, lag aber auch daran, dass die Eröffnungsfeier auch in anderen Szenen als ein "opulentes Diversitätsspektakel" erschien, wie Jan Feddersen in der "tageszeitung" schrieb. Tatsächlich hatte man rasch die Idee begriffen, dass der Gleichheitsgedanke alle Menschen umfasst, wie auch immer sie sich geschlechtlich sehen und begreifen. In der Wiederholung wirkte das etwas ermüdend.

Die Frage bleibt, wie der Sport zukünftig mit Menschen umgeht, die sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zurechnen lassen.

Hinzu kommt, dass die Verbände, die den Sport und also auch die Olympischen Wettbewerbe mit dem IOC organisieren, mit queeren Menschen ihre Probleme haben, da sie ihre Wettbewerbe starr nach Frauen und Männern getrennt organisieren. Menschen, die sich nicht so leicht nach diesem binären Schema organisieren lassen, erscheinen so als Problemfälle.

Das zeigte sich nach einigen Tagen in Paris, als im Boxturnier zwei Frauen antraten, die zuvor vom Internationalen Boxverband IBA gesperrt worden waren, weil ihr Geschlechtstest männliche Eigenschaften offenbart habe. Nun ist dieser Box-Verband so korrupt, dass ihn das der Korruption nicht gerade unverdächtige IOC ausgeschlossen und die Organisation der Kämpfe selbst organisiert hat. Für das IOC galt, dass sich die beiden Boxerinnen als Frauen fühlen und dass sie in ihren Pässen als Frauen ausgewiesen sind. Die Frage aber bleibt, wie der Sport zukünftig mit Menschen umgeht, die sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zurechnen lassen.

infobox: Rund 10.500 Athletinnen und Athleten sind zu den Olympischen Spielen gereist, die vom 26. Juli bis zum 11. August in Paris stattfinden. ARD und ZDF senden an den 16 Olympiatagen rund 240 Stunden Live-Programm von den 329 Wettbewerben. Hinzu kommen bis zu zehn parallele Livestreams pro Tag, das sind nach Angaben des ZDF rund 1.500 Stunden Live-Sport in den Mediatheken. Insgesamt berichten rund 250 Personen für ARD und ZDF, allerdings sind nicht alle in Paris, einige kommentieren auch aus der nationalen Sendezentrale für ARD und ZDF in Mainz. Die vierstündige Eröffnungsfeier im Ersten verfolgten am 26. Juli im Schnitt 10,1 Millionen Zuschauer, der Marktanteil lag bei 45,7 Prozent.

Von der visuell reichen, aber mit gut vier Stunden überlangen Eröffnungsfeier werden viele Momente in Erinnerung bleiben - vom elektronischen Pferd, das über die Seine ritt, bis zum Schlussauftritt von Celine Dion, die auf einer Empore des Eiffelturms "L’hymne à l’amour" von Edith Piaf sang. Der Bilderreichtum der Eröffnungsfeier, die zudem immer wieder den Blick auf die Schönheit der Stadt Paris richtete, lenkte aber von einigen Problemen der Olympischen Spiele ab. Die Seine beispielsweise erwies sich an manchen Tagen als so dreckig, dass die Schwimmwettbewerbe des Triathlons, die in einem Flussabschnitt stattfinden sollten, mehrfach verschoben wurden. Und bei den Schwimmwettbewerben im Becken traten einige chinesische Schwimmerinnen und Schwimmer an, die zwar des Dopings verdächtig sind, aber von der Weltdopingagentur nicht gesperrt wurden, weil sie für ihre positive Probe eine - vorsichtig gesagt - obskure Erklärung ablieferten.

Dass die Moderatorinnen und Moderatoren diese Kehrseite der Spiele immer wieder thematisierten, war richtig und zeigte, dass der öffentlich-rechtliche Sportjournalismus nicht in der reinen Wiedergabe perfekt inszenierter Spiele aufgeht, dass er die Widersprüche des Sports thematisiert, ohne die sportlichen Leistungen zu schmälern, dass er sich tageweise den Luxus einer Monokultur des Sports gönnt, um dann jedoch in den Nachrichtensendungen immer wieder daran zu erinnern, dass das Olympische Spektakel auch eine Flucht vor einer katastrophalen Wirklichkeit darstellt.



Zuerst veröffentlicht 07.08.2024 11:16 Letzte Änderung: 19.08.2024 12:12

Dietrich Leder

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Sport, Olympia, ARD, ZDF, Frauen, Leder, NEU

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