Glamour und Macht - epd medien

08.08.2024 11:48

Wie bringt man Menschen dazu, etwas zu tun, was sie gar nicht vorhatten? Das fragt die Dokumentation "Die Macht der Verführung" von Tom Ockers. Barbara Sichtermann findet das Thema angesichts des Erfolgs populistischer Charismatiker wichtig, aber der Film verharmlost es ihrer Ansicht nach.

Bis heute tragen Anhänger des Peronismus in Argentinien Bilder von Evita Perón bei Demonstrationen durch die Straßen.

epd Wer kennt heute noch Evita Perón? Sie war erst die Geliebte, dann die Ehefrau des Präsidenten Juan Perón in Argentinien und bestimmte an dessen Seite die Geschicke des Landes in der Ära 1945 bis 1955 maßgeblich mit. Perón regierte mit diktatorischen Vollmachten, gewann aber durch seine Sozialpolitik die Zustimmung der Massen. Seine Frau Evita war das Gesicht dieses modernen Populismus', die Menschen liebten und verehrten sie. Wie war das möglich? Die nur mäßig erfolgreiche Schauspielerin Evita Duarte kam von ganz unten, war die uneheliche Tochter einer Haushälterin, niemand hatte die blonde Heroine je gewählt - außer natürlich Perón selbst. Sie war hübsch und besaß einen direkten Draht zu den Massen, die ihr begeistert zuhörten und folgten. Sie war eine Verführerin. In Argentinien wird sie von manchen bis heute verehrt wie eine Heilige.

Tom Ockers beginnt seinen dokumentarischen Zweiteiler "Vorsicht Verführung" mit Archivaufnahmen von Evita Perón und lässt in Geschichte, Soziologie und Psychologie bewanderte Personen dem Phänomen der Überzeugungskraft politischer Influencer auf allerhöchster Ebene nachspüren. "Wie bringt man Menschen dazu, etwas zu tun, was sie nie vorhatten?" lautet eine seiner Fragen.

Einfachheit und Eleganz

Zoe Chance von der Yale School of Management gibt mit allgemeinen Statements über die Kraft der Verführung ("Menschen können ihr Gefühl für sich selbst verlieren") einen Rahmen für die Dokumentation vor. Evita gilt bis heute als Paradebeispiel für den Zauber, den Einzelne auf Menschenmassen ausüben können. Die Bedeutung von Evitas Frisur wird analysiert: Der Dutt, der ihr gefärbtes blondes Haar im Nacken zusammenhielt, stand für Volksnähe und Einfachheit und war zugleich elegant. Sie signalisierte damit, so der Neurologe Borwin Bandelow: "Ich bin eine von euch!" Dabei kleidete sie sich, einmal neben Perón an der Macht, sehr teuer und exquisit. So zeige sie, sagte sie selbst, dass Aufstieg möglich sei. "Glamour zementiert Macht", heißt es in der Dokumentation.

Die Zuschauerin geht bis hierhin gerne mit und lässt sich die Zusammenhänge zwischen gutem Aussehen, Charisma, Massenwirkung, Manipulation durch geschickte Inszenierung und politischer Macht noch einmal darlegen. Dann aber zeigt der Film ziemlich übergangslos die noch viel berühmtere Ikone Marilyn Monroe, Schauspielerin und ebenfalls sehr schön, wie Gesichtsvermessungen sogleich beweisen. Aha, es geht also nicht allein um Verführung auf dem Felde der politischen Macht, sondern um Verführung überhaupt, um Verführung auch auf dem erotischen Feld. Das aber wäre nun ein ganz anderes Thema.

Zwar hat Marilyn Monroe ebenfalls ein Publikum fasziniert, das nach Millionen zählte, dennoch ist das Verführungspotenzial, das von einem Filmstar ausgeht, von einer ganz anderen Qualität als das einer Präsidentengattin, die ihr Volk an sich bindet. Auch wenn mit der allbekannten Geschichte von der möglichen Affäre Monroes mit US-Präsident Kennedy die Nähe von Hollywood und Weißem Haus suggeriert, die Macht der Filmindustrie mithin als der politischen Macht verwandt dargestellt wird, will dieser Switch von Filmemacher Tom Ockers nicht überzeugen.

Erotischer Hüftschwung

Der nächste Switch führt in die Welt der Werbung, in der, wie jeder weiß, überredet und verführt wird, dass es nur so raucht. Selbst Düfte werden eingesetzt, um das arme, schutzlos reagierende Hirn der Konsumenten zu benebeln und Kunden zum Kauf zu drängen. Die Werbetreibenden und ihre Plakate, Logos und Slogans sind, wie schon Vance Packard 1957 wusste, "geheime Verführer", die uns zum Kauf reizen und den gesunden Menschenverstand ausschalten können. Hierzu geben die Experten in der Dokumentation neuere Erkenntnisse der Hirnphysiologie zum Besten, in denen von "Belohnungssystemen" in unserem Oberstübchen die Rede ist, gegen die der Verstand angeblich machtlos ist. Damit hat sich die ganze Geschichte in die simple und uralte Erkenntnis aufgelöst, dass Menschen manchmal nicht Herren ihrer Sinne sind.

Im zweiten Teil geht es so weiter. "Elvis und die Macht der Gefühle" führt uns wieder in die 1950er Jahre zurück, um uns durch den enormen Erfolg des "King of Rock 'n Roll" zu zeigen, wie leicht wir zu begeistern sind, wenn musikalische Darbietungen mit sexuellen Signalen aufgeladen werden. Eine hübsche Idee war die Mitwirkung des Elvis-Impersonators Randy T. Sanders, der sehr gut erläutern konnte, was der echte Elvis einst tat, um sein Publikum in Ekstase zu versetzen. Sanders musste das als Doppelgänger ja selbst einstudieren und weiß daher genau, wie man so einen Hüftschwung hinbekommt.

Eine Wahlveranstaltung ist kein Popkonzert

Aber auch hier wirken die weiteren Experten-Interviews mit ihrer Verwissenschaftlichung eher trivialer Phänomene wie die "Sex-sells"-Strategien der Werbung ein wenig aufgesetzt. Um zu begreifen oder zu erahnen, dass die Zigarette im Mundwinkel der Frauen in den Roaring Twenties Symbole der Emanzipation gewesen sind, muss man kein Soziologe sein oder eine School of Managment besucht haben.

Das Hauptmanko dieses Zweiteilers aber besteht darin, dass er die Verführungspotenziale von Populisten oder Populistinnen einfach so mit dem Sexappeal von Filmstars oder Rocksängern gleichsetzt und zu einer für jede Art von Verführung geltenden Vorsicht aufruft. Ja, bevor man besinnungslos irgendwo mitmacht oder applaudiert, sollte man vielleicht innehalten und sich fragen: Will ich das wirklich? Aber es ist doch zweierlei, ob ich mich auf einer Wahlveranstaltung oder auf einem Popkonzert befinde. Die Macht, über die eine Evita Perón verfügte, ist ganz anderer Natur als die Macht einer Marilyn Monroe. In diesen Zeiten, in denen populistische Parteien und Programme an Einfluss gewinnen, sollte die Frage der Verführung unbedingt noch einmal reflektiert werden. Es wirkt jedoch verharmlosend, wenn man die populistischen Verführer mit denen aus dem Showbiz in einen Topf wirft.

infobox: "Vorsicht Verführung", zweiteilige Dokumentation, Regie und Buch: Tom Ockers, Kamera: Martin Kaeswurm, Produktion: Autentic (Arte/ZDF 8.8.24, 20.15-21.40 Uhr und bis 6.11.24 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 08.08.2024 13:48

Barbara Sichtermann

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KArte, KZDF, Dokumentation, Ockers, Sichtermann

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