Tod bedeutet Leben - epd medien

09.08.2024 07:26

Naturfilmer Jan Haft widmet sich in der zweiteiligen ARD-Dokumentation "Unsere Wälder" dem Superorganismus des Waldes. Das ist sehenswert, jedoch nimmt die Ästhetisierung der Natur bisweilen überhand.

Filmemacher Jan Haft legt sich auf die Lauer

epd Wohl kaum eine Landschaft wird inniger mit Deutschland assoziiert als der Wald. Hier verirrten sich Hänsel und Gretel, im Teutoburger Wald schlug Armin der Cherusker eine wichtige Schlacht. Die Romantiker entdeckten den Wald zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu als Lebensraum und Sehnsuchtsort. Und spätestens seit Peter Wohllebens Bestseller über "Das geheime Leben der Bäume" ist erneut ein neues Bewusstsein für den Wald entstanden. Nun hat sich auch der renommierte Naturfilmer Jan Haft mit diesem Lebensraum beschäftigt. Der Titel seiner zweiteiligen Dokumentation, "Unsere Wälder", fand bereits für Freddie Röckenhaus' und Petra Höfers themengleiche ZDF-Dokumentation im Jahr 2020 Verwendung.

Gleich zu Beginn seiner bildgewaltigen Dokumentation, die die ARD zur besten Sendezeit ausstrahlte, kündigte Haft vor der Kamera einen neuen Zugang zu diesem vertrauten Motiv an: "Einblicke, wie sie vor Jahren noch undenkbar waren." Haft ist als akribischer Beobachter bekannt. Stundenlang wartet er mit der Kamera in einer Baumkrone auf den richtigen Moment, um einen seltenen Vogel in seinem Nest zu filmen. Auf diese Weise gelingen ihm oft spektakuläre Bilder. Weiße Hirsche im fahlen Mondlicht sind atemberaubend schön. Der Wetterstern, ein kragenartiger Pilz, mutet an wie ein Requisit aus einem Fantasyfilm.

Ungewöhnliche Perspektiven

Um die Exklusivität seiner Betrachtungen zu betonen, heißt es einmal: "Die Riesenpilzmücke, eine hoch spezialisierte Tierart, ist wohl noch nie zuvor gefilmt worden". Dank seiner Akribie des Beobachtens eröffnet Haft zuweilen neue und ungewöhnliche Perspektiven auf gewöhnliche Waldbewohner.

Ein zentraler Aspekt des Zweiteilers ist die wechselseitige Abhängigkeit verschiedenster Lebensformen, die der Film auf überraschende Weise sicht- und nachvollziehbar macht. Findet eine bestimmte Spezies von Schmetterlingen im Kot von Wölfen lebenswichtige Mineralstoffe, so bleibt diese Beobachtung für sich genommen unspektakulär. Im gesamten Kontext macht der Dokumentarfilmer jedoch kenntnisreich und mit zuweilen verblüffenden Beobachtungen ein fein gesponnenes Netzwerk sichtbar, das unterschiedlichste Lebensformen miteinander verwebt.

Da dieser Superorganismus des Waldes insbesondere durch Artenvielfalt stabilisiert wird, gilt es - so der Kerngedanke - die Diversität der Fauna und Flora zu steigern. Aus diesem Grund plädiert Jan Haft in seinem Film dafür, die Monokulturen konventioneller Forstbetriebe nach Möglichkeit in naturbelassene Wälder umzuwandeln.

Magische Nähe zu den Tieren

Liegen gebliebenes Totholz, so zeigt der Film, wird dann zur Quelle für Arten, die man nicht erwartet hätte. Das Waldsterben, in den 1980ern noch ein Reizwort, interpretiert Haft auf kreative Weise neu. Denn Tod bedeutet Leben. Dass der Film es damit ernst meint, illustriert die ein wenig gruselige Zeitrafferaufnahme eines verwesenden Eichhörnchens, das zum Wirt zahlreicher Organismen wird. Sogar der Borkenkäfer, eigentlich der Waldkiller schlechthin, erhält eine andere Bedeutung.

Die manchmal magische Nähe zu den Tieren, die der Filmemacher herstellt, hat allerdings auch eine Kehrseite. Denn ähnlich wie in den stilbildenden Naturfilmen von Walt Disney zeichnet sich auch bei Haft eine Tendenz zur Anthropomorphisierung ab. So heißt es im Off-Kommentar: "Rehe haben eine Karte im Kopf." Dass menschliches Erleben ins Tier- und Pflanzenreich übertragen wird, zeigt sich auch in Formulierungen wie "Ameisen heizen quasi mit Solarenergie" oder "Die Natur ist eine gewaltige Tauschbörse für Nährstoffe".

Zuweilen wird die Natur etwas forciert ästhetisiert. Nimmt etwa der Eichelhäher, ein Waldvogel mit buntem Federkleid, ein erfrischendes Bad im Tümpel, so ist nach einem Schnitt aus der Perspektive der Unterwasserkamera kurz zu sehen, wie das Tier an der Oberfläche mit den Flügeln schlägt. Diese filmisch zugerichtete Natur passt nicht ganz zu dem wortreichen Plädoyer für mehr oder weniger sich selbst überlassene Wälder. Denn das, was der Zuschauer in diesem streckenweise faszinierenden Film sieht, ist nicht immer ganz natürlich. Nicht zufällig heißt es im Abspann: "Einige Szenen wurden unter kontrollierten Bedingungen gedreht." Von diesen Einschränkungen abgesehen, ist Jan Haft einmal mehr eine sehenswerte Hochglanzdokumentation gelungen.

infobox: "Unsere Wälder", zweiteilige Naturdokumentation, Regie und Buch: Jan Haft, Kamera: Kay Ziesenhenne, Jonas Blaha, Alexandra Sailer, Steffen Sailer, Yannik Stratmann, Jonathan Wirth, Produktion: Doclights, Nautilusfilm (ARD/NDR, 5. und 12.8.24, jeweils 20.15-21.00 Uhr und bis 5.8.25 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 09.08.2024 09:26

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Dokumentation, Riepe

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