Tolles Ensemble - epd medien

13.08.2024 07:34

Die Serie "Doppelhaushälfte" lotet seit 2022 sehr amüsant das Konfliktpotenzial zwischen woken Großstadtakademikern und bodenständig pragmatischen Brandenburgern aus. Die dritte Staffel schwankt jedoch zwischen übertriebenem Klischee und gelungenen Miniaturen, findet Ulrike Steglich.

Andi (Milan Peschel) und Tracy (Minh-Khai Phan-Thi) werden zum Thema Gender Pay Gap interviewt

epd Mit dem Start der Comedy-Serie "Doppelhaushälfte" hatte das ZDF 2022 einen echten Publikumserfolg gelandet. Die Serie mit dem sehr deutschen und unübersetzbaren Titel lotete auf köstliche Weise das Konfliktpotenzial zwischen einer woken Akademiker-Großstadtfamilie und ihren bodenständig pragmatischen Nachbarn im Berliner Speckgürtel aus. Die erste Staffel überzeugte mit Wortwitz und hübschen Ideen, einem tollen Ensemble und viel Liebe zu den Figuren, die sich im Laufe der Folgen als durchaus facettenreich zeigen durften. "Clash der Kulturen" mal anders: Die Kollisionen im Doppelhaus-Mikrokosmos fußten weniger auf den iranischen, sudanesischen, deutschen oder vietnamesischen Wurzeln der Beteiligten, sondern vielmehr auf den unterschiedlichen Stadt-Land- und Ost-West-Erfahrungen, Ansichten und Lebensweisen.

Zwei Jahre und zwei Staffeln später haben sich die damals neuen Nachbarn aneinander gewöhnt, was nicht heißt, dass die unterschiedlichen Sozialisationen keine neuen Überraschungen böten. Mari Sawadi (Maryam Zaree) und Theo Kröger (Benito Bause) sowie ihre 16-jährige Tochter Zoe (Helena Yousefi) haben inzwischen Familienzuwachs bekommen, Frida heißt die Kleine. In der anderen Doppelhaushälfte leben Ex-Polizist Andi Knuppe (Milan Peschel) und die toughe Nagelstudio-Unternehmerin Tracy (Minh-Khai Phan-Thi) zusammen mit ihrem pubertierenden, schweigsamen Sohn Rocco (einfach großartig: Minh Hoang Ha!), der in Nachbarstochter Zoe verliebt ist.

Geschäftstüchtige Tracy

In der ersten Folge der neuen Staffel soll Zoe für die Schule ein Video zum Thema "Gender Pay Gap" produzieren und interviewt dafür sowohl ihre Eltern als auch das Ehepaar Knuppe, was in den Familien und deren Arbeitswelten einiges durcheinanderwürfelt. In der zweiten Folge sorgt Andis betagter Vater für Verwirrung, der Anhänger der FKK-Kultur ist und damit Mari und Theo an der Badestelle schwer verstört. Ob mögliche Homosexualität des Nachwuchses, Betrug mit Schneeballsystemen, Trauerrituale, Vaterkomplexe, Social Media oder das Coaching-Unwesen, Hämorrhoiden - an Erzählstoff mangelt es auch der neuen Staffel keineswegs.

Doch das Ergebnis gleicht, anders als die erste Staffel, eher einem Gemischtwarenladen. Es mag zum einen daran liegen, dass mittlerweile zu viele Drehbuchautorinnen und -autoren, Regisseurinnen und Regisseure mitmischen. Die erste Staffel war maßgeblich von Dennis Schanz und Christoph Mushayija Rath geprägt, die die Serie auch konzipierten.

Doch das erklärt noch nicht, warum auch innerhalb der einzelnen Folgen die Tonlagen so stark zwischen übertriebenem Klischee und wirklich gelungenen Miniaturen schwanken. Schon in der ersten Folge ist das augenfällig: Das elaborierte, mit endlosen Anglizismen durchsetzte Management-Geschwafel zwischen der überdrehten Mari und ihrem Kollegen Aaron nervt, sowohl Aaron als auch Maris Chef sind Klischee-Schablonen in Reinkultur. Doch wenig später kann man sich köstlich über die geschäftstüchtige Tracy amüsieren. Sie bringt Theo bei, wie man auf Ebay gewinnbringend verkauft: mit professionell ausgeleuchteten Fotos und einer gefälschten Johnny-Cash-Signatur auf der Gitarre.

Vietnamesische Trauerrituale

Das Milieu der Knuppes ist deutlich nuancierter als das ihrer Nachbarn. Bei ihnen tun sich die Autorinnen und Autoren offenbar schwerer, Klischees intelligent zu unterlaufen. Entsprechend schwer haben es auch Benito Bause als ein wenig zu kindlich-naiver Theo und Maryam Zaree als emanzipierte und hyperkorrekte Mari mit ihren Figuren. Wesentlich näher fühlt man sich Andi, von Milan Peschel mit immer wieder überraschenden Facettenreichtum gespielt, und Minh-Khai Phan-This Tracy, bei der sich toughe Durchsetzungsfähigkeit mit Weiblichkeit und mütterlichen Gefühlen aufs Selbstverständlichste verbinden.

Die vielleicht gelungenste Folge dieser Staffel ist die fünfte mit dem Titel "Immer Ärger mit Oma Thuy", für die Minh-Khai Phan-Thi zusammen mit Dennis Schanz das Drehbuch schrieb: Tracys Mutter Thuy verstirbt ganz plötzlich an einem Herzinfarkt, während sie ihre Lieblingsserie "Schwarzwaldklinik" schaut. In der Folge müht sich der mitfühlende Andi um traditionelle vietnamesische Trauer- und Bestattungsrituale, während Tracy herausfinden will, wo ihre Mutter den Schmuck versteckt hat. Rocco und Zoe wiederum versuchen sich in Ahnenbeschwörung.

Komödiantische Kleinode findet man also immer noch in den Doppelhaushälften, nur muss man etwas geduldiger sein und auch seichtere Stellen aushalten. Mehr Konsistenz in der Handschrift und Vertrauen in das spielende (und gelegentlich mitschreibende) Ensemble hätte der dritten Staffel gutgetan.

infobox: "Doppelhaushälfte", dritte achtteilige Staffel der Comedyserie, Regie: Franziska Hoenisch, Sinje Köhler, Daniel Popat, Dennis Schanz, Marijana Verhoef, Buch: Dennis Schanz, Miriam Suad Bühler, Amina Eisner, Stephan Greitemeier, Minh-Khai Phan-Thi, Christoph Mushayija Rath, Andreas Reinhardt, Miriam Suad Bühler, Kamera: Julia Schlingmann, Tilo Hauke, Produktion: Stick Up, Iconoclast (ZDF-Mediathek, seit 9.8.24, ZDFneo, ab 13.8.24, 21.40-22.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 13.08.2024 09:34

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Comedy, Serie, Hoenisch, Köhler, Popat, Schanz, Verhoef, Eisner, Greitemeier, Phan-Thi, Mushayija Rath, Reinhardt, Bühler, Steglich

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