Vermessung des Heldentums - epd medien

13.08.2024 13:46

Was macht einen Helden aus? Ist es der Mut im Augenblick der Gefahr, die Kaltblütigkeit im Angesicht einer Katastrophe oder ist es letztlich eine Frage der Selbstinszenierung? Für das Hörspiel "Prinzip Held*" haben Helgard Haug und Daniel Wetzel mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen, die diese Fragen untersuchen.

Greta Thunberg, die die Bewegung "Fridays for Future" gründete, wurde für Millionen Jugendliche in aller Welt zur Heldin

epd Wer oder was ist ein Held? Bringen Helden Unruhe in die Welt oder meistern sie im Gegenteil akute Turbulenzen? Dieses Hörstück, das sich auf ein Freiburger Forschungsprojekt stützt, wirkt so bewegt und bewegend wie sein Thema. Dynamisch und lässig zugleich umkreisen Helgard Haug und Daniel Wetzel Begriff und Phänomen des Helden. In lockerem Gesprächsstil, mit Beiträgen und Stimmen von am Projekt beteiligten Interviewpartnern, Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, entsteht eine teils historische, teils systematische Skizze. So wird "Prinzip Held*" ein spannender Anreißer zum Weiterdenken und Weiterrecherchieren.

Das Hörstück profitiert von der großen Materialsammlung, den Fragestellungen und Gedankengängen des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948, in dem seit zwölf Jahren, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert, verschiedene Wissenschaften fächerübergreifend zusammenarbeiten und publizieren. Haug und Wetzel geben Kostproben aus riesigen Problemfeldern mit prominentem Personal, von der antiken Antigone bis zum amerikanischen Heldenpiloten Chesley Burnett Sullenberger, der im Jahr 2009 mit der Notwasserung auf dem Hudson seine 155 Passagiere rettete. Zugleich bietet das Autorenduo im Einklang mit seinen Quellen gebrauchsfertige Oberbegriffe an, die das Thema erschließen: neun Kategorien zur Vermessung des Heldentums.

Vom Sockel gestoßen

Bei "Publikum", "Medialisierung", "Vorbild", "Polarisierung", "Maskulinität" geht es um die Wirkung der heldischen Person, die spontan oder auch mehr oder weniger inszeniert sein kann. "Grenzüberschreitung", "Handlungsmacht", "Kampf" und "Einsatz" beziehen sich auf eigene Motivationen und Talente des Helden oder der Heldin. Diese Kategorien sind aufschlussreich. Wie zureichend sie sind, wäre von Fall zu Fall zu überprüfen. Dass das Hörstück sich dies nicht zur Aufgabe macht, ist begreiflich, schon wegen seines knappen Zeitrahmens von 55 Sendeminuten für zwölf Jahre Forschungsaufwand.

Schade ist allerdings, dass das Stück zwar implizit, nicht aber in ausdrücklicher Reflexion gegensätzliche Arten von Heroismus unterscheidet. So erwähnt es beispielsweise Jesus, ohne jedoch die Sonderrolle von Märtyrern, die sich bis zu heutigen Dissidenten fortsetzt, hervorzuheben. Und so setzt es Helden und Heldinnen des Widerstands wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Sophie Scholl nicht mit prinzipieller Analyse in Kontrast zu systemkonformen totalitären Heldenideologien.

Interesse weckt die Fülle und die Spannweite von Einzelbeobachtungen, die komplexe Zusammenhänge erhellen. Das Hörstück registriert beispielsweise, wie vielsagend die Botschaft von Denkmälern ist. Wenn etwa da und dort entmythisierte politische oder militärische Heldenfiguren vom Sockel gestoßen werden, markiert dies im öffentlichen Raum endgültige politische Umbrüche: Auch Heldenruhm ist vergänglich.

Die erste Frau im Weltraum

Mehrfach wird nach Besonderheiten von Heldinnen gefragt. Wie halten sie es mit der "Maskulinität"? Katharina die Große, Petersburger Zarin der Aufklärung, in berüchtigten Affären mit Günstlingen ganz Frau, glänzt als ausgepichte Macht- und Imagestrategin mit maskulinen Attributen auf einem repräsentativen Gemälde: Diese dominante Reiterin im Herrensitz und in männlicher Uniform heroisiert sich als die perfekte Herrscherin. Solche Bilder toppte die Kosmonautin Valentina Tereschkowa, die in der Sowjetunion als erste Frau in den Weltraum geschickt wurde und danach in Schulbüchern und auch sonst der Propaganda diente.

Ganz anders wirbt heutzutage die Nachwuchsheldin Greta Thunberg für sich, die hier mit Originaltönen auftritt, die kindliche Allmachtswünsche und Kleinmädchencharme einsetzen. "How dare you", fährt die Klimaschutzaktivistin die erwachsenen Umweltsünder an, "you have destroyed my dreams".

Umsicht und Problembewusstsein des Autorenduos zeigen sich besonders, wenn im Schlussteil des Hörstücks ein namenloser Held pointiert von seinen Erfahrungen berichtet, ein Brandmeister der Feuerwehr, der darauf spezialisiert ist, Personen aus brennenden Gebäuden zu retten. Er pflegt kein Image. Im Ernstfall geht es allein um Schnelligkeit und Effizienz.

infobox: "Prinzip Held", Hörspiel, Regie, Konzept und Buch: Helgard Haug, Daniel Wetzel (DLF Kultur, 24.7.24, 22.03-23.00 Uhr und in der DLF-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 13.08.2024 15:46 Letzte Änderung: 13.08.2024 15:54

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, DLF Kultur, Haug, Wetzel, Lenz, NEU

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