Zauberhafte Klanglandschaft - epd medien

22.08.2024 12:40

In seinem neuen Hörspiel "Vexier" widmet sich Werner Cee der liparischen Insel Alicudi, nördlich von Sizilien. Das Stück erkundet die entrückte, nur von wenigen Menschen bewohnte Insel akustisch.

epd In Werner Cees weitgespanntem Radiowerk fällt eine Vorliebe für Sizilien auf. Seine sizilianischen Hörstücke widmen sich nicht den Machenschaften der Mafia, sondern der Macht von Mythen. In der herausragenden sizilianischen Trilogie "Tod und Frühling" (SWR, 2016) beschäftigte er sich mit Mythen, die aufs Ganze gehen und damit Polaritäten umspannen: Tod und Leben, Schrecken und Liebe, Untergang und Neuschöpfung.

So wechseln in "I Misteri" und "Rückkehr der Proserpina" durchweg moderne mit archaischen Impressionen, zudem Field Recordings und Instrumentalmusik mit prägnanten Texten, die aus der Goethezeit, der Antike und von heute stammen. Der Umschwung von Trauer in Trost und Triumph ist das Hauptthema, das erstaunliche Traditionslinien markiert. Sie reichen vom Geschick der Frühlingsgöttin Proserpina, die, einst von Hades verschleppt, alljährlich saisonal aus der Unterwelt erwacht und das Land erweckt, bis zu christlich geprägten Prozessionen beispielsweise in Trapani und Palermo.

Kollektive Halluzinationen

Verglichen mit der existenziellen Wucht dieses Ansatzes und der davon beseelten Klangmontagen wirkt das neue Hörstück zur liparischen Insel Alicudi leichtgewichtig: ein Exkurs, der eine Exkursion in eher betörende als verstörende Zivilisationsferne unternimmt. Diese Attraktion Alicudis hat schon Nanni Moretti in seinem Film "Liebes Tagebuch" (1993) gewitzt visuell gewürdigt. Cee erkundet nun die entrückte Insel akustisch.

Der klangfarbenreiche Ausflug Cees ist zauberhaft im elementaren Wortsinn. Denn jahrhundertelang sahen sich die wenigen Einwohner Alicudis von nächtlich schweifenden Hexen und sprechenden Kartoffelsäcken genarrt, wohl durch kollektive Halluzinationen, die ein Getreidepilz verursachte. Allerdings wird das nur in der Ansage des Hörstücks mitgeteilt, Cee selbst erzählt es im Interview im Nachspann der Sendung noch einmal.

Das Hörstück selbst verzichtet konsequent auf eine narrative Textbasis. Es evoziert und umkreist die Geheimnisse des sperrigen Vulkankegels Alicudi allein mit Klängen in allerlei Tonlagen und -farben. Cees Soundscapes, lautmalende Gesangsfetzen des Countertenors Nils Wanderer und Instrumentalmusik lösen einander ab oder vereinigen sich mehrschichtig zu einer suggestiven Klangkomposition.

Klare Trompetensignale

Wer zuhört, nimmt als Sesseltourist teil an einer besonderen Reise, wird sogleich von Wellenschlag, Wasserrauschen und -plätschern, von wabernden Luftbewegungen, E-Chin-Motiven, Grillenzirpen und Vogelschwirren auf archaisches Terrain versetzt. Keineswegs aber fühlt er sich je am Ziel, sondern dank Cees Klangmontagen und der Aufbruchslust seiner musikalischen Mitstreiter immer erneut am Beginn eines Wegs in Klangabenteuer.

Zwischen verfremdetem Glockenläuten, fernem Hundegebell und metallischem Scheppern von Geländern, die zu Alicudis Treppenpfaden gehören, deuten träumerische und tänzerische Improvisationen des Gitarristen Eivind Aarset auf Sommernächte mit schweifenden Wesen. Indessen öffnen lockende Gesangmotive und strahlend klare Trompetensignale und -sequenzen des Virtuosen Markus Stockhausen wechselnde Räume und finden punktuell Resonanz in wundersam korrespondierenden Umweltgeräuschen.

Kein Zweifel, Cee ist fasziniert von Alicudi, aber er macht keine Werbung für das Eiland. Denn konträr zu eindeutiger Werbeästhetik nimmt er viele Perspektiven wahr. Wenn er Alicudi erkundet, stößt er so auf akustische Vexierbilder einer vielschichtigen Wirklichkeit.

infobox: "Vexier", Hörspiel, Regie und Klangkomposition: Werner Cee (DLF Kultur, 16.8.24, 0.05-1.00 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 22.08.2024 14:40 Letzte Änderung: 23.08.2024 09:53

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Kritik, Radio, Kritik.(Radio), KDLF Kultur, Hörspiel, Cee, Lenz, NEU

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