25.08.2024 12:00
epd In schalldichten Glaskästen sitzen sich jeweils fünf Spitzensportler gegenüber - jeder mit einer Hand an der Maus und der anderen auf der Tastatur, das Headset sicher auf den Ohren sitzend. Die mehr als 13.000 Fans in der Climate Pledge Arena in Seattle sollen die Teams genauso wenig in ihrer Konzentration stören wie die Kommentatoren, die das Event für Millionen Zuschauer im Livestream begleiten. Denn, so Tim Schreder, der Autor der ARD-Dokumentation "Spiel um Millionen", bei diesem Wettkampf geht es für alle Beteiligten um viel. Vor allem um viel Geld.
Mehr als 40 Millionen US-Dollar Preisgeld waren im vergangenen Jahr bei "The International", dem größten E-Sport-Turnier der Welt, ausgeschrieben. Der Name der Disziplin lautet "Dota 2", das ist ein kompetitives Mehrspieler-Game, in dem - sehr vereinfacht gesagt - die gegnerischen Charaktere besiegt und Basen eingenommen werden müssen, um die Partie für sich zu entscheiden. Leider nimmt sich die Dokumentation "Spiel um Millionen" trotz ihrer 90 Minuten Länge kaum Zeit, das Strategiespiel "Dota 2" genauer zu erklären.
Nun erklärt eine Dokumentation über Tennis-Sportler auch nicht noch einmal die Regeln des Spiels, bevor es ans Eingemachte geht. Und die schiere Komplexität von "Dota 2" wäre sicherlich kaum in knappen Sätzen verständlich herunterzubrechen, ohne Zuschauerinnen und Zuschauer abzuschrecken. Doch hier liegt die Krux einer abendfüllenden Dokumentation zum Thema E-Sport, die diesen als echte Sportart neben traditionellen Disziplinen verstanden haben und inszenieren möchte, aber auch um die Exotik des Themas weiß.
Der Regisseur und Autor Schreder versucht das Problem humoristisch zu umgehen, indem er seine Protagonisten und Gesprächspartner erklären lässt, was "Dota 2" genau ist. Dass selbst die Profis, die täglich zwölf Stunden und mehr mit dem Spiel verbringen, sich für Laien kaum eine geeignete Beschreibung einfallen lassen können, ist durchaus witzig, muss den interessierten Zuschauern dann aber auch genügen, um auch ohne Verständnis für das Spiel weiter dranbleiben zu wollen.
Dass sich das lohnt, liegt vor allem an den manchmal sehr ehrlichen Einblicken in die Szene und das Leben als Pro-Gamer. Vom Weg zum Turnier und den Erfahrungen dort erzählt Schreder anhand zweier deutscher Protagonisten, die für verschiedene Teams spielen und deutlich unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven mitbringen. Leon Kirilin beschreibt, wie ihm Gaming eine Alternative aufzeigte, als er mit Depressionen zu kämpfen hatte. Daniel Schoetzau wiederum erzählt, wie wichtig familiärer Rückhalt bei der Entscheidung ist, ein Videospiel professionell spielen zu wollen.
Inszenatorisch erinnert "Spiel um Millionen" an andere Sportdokumentationen. Schreder gelingt es bei aller Faszination für den E-Sport immer wieder, die Fallhöhe für die einzelnen Spieler hervorzuheben. "Wenn du zum 'International' fliegst und scheiterst, musst du dein Leben ernsthaft hinterfragen", ist so ein Satz, der klar zeigt: Was die persönlichen Opfer angeht, sind sich traditionelle Sportarten und das professionelle Gaming durchaus ähnlich.
Bootcamps, in denen über Wochen hinweg jeden Tag mehr als zwölf Stunden trainiert wird, verpasste Geburtstage und Hochzeiten, ganze Jahre, von denen man nur wenige Wochen zu Hause und nicht auf Reisen verbringt - der Preis für das Leben als Profi ist hoch, der Erfolg ungewiss. Wer beim "International" die Vorrunde nicht übersteht, verlässt nicht einmal das eigene Hotelzimmer in Seattle, in dem die ersten Partien online ausgetragen werden, bevor es in die großen Event-Locations geht. Ein Turniermoderator formuliert es drastisch: Die meisten Spieler würden zu Maschinen, das Sozialwesen Mensch, das sich unterhalten und lachen kann, bleibe oft nicht erhalten.
Interessant wäre hier noch mehr Hintergrund zur Entwicklung der Szene gewesen, in der laut Doku vor etwas mehr als zehn Jahren noch Preisgelder im fünfstelligen Bereich hoch waren. Der enge Fokus auf die beiden Protagonisten und das Turniergeschehen selbst lässt "Spiel um Millionen - Das größte E-Sport-Turnier der Welt" bei allem Erkenntnisgewinn zwischendurch etwas langatmig wirken. Der Film sieht aber nicht nur Profis beim Gaming zu, er ermöglicht auch sehenswerte Einblicke in eine andere Welt.
infobox: "Spiel um Millionen - Das größte E-Sport-Turnier der Welt", Dokumentation, Regie und Buch: Tim Schreder, Kamera: Tim Schreder, Christian Hill, Produktion: Erzaehlfabrik (ARD/WDR/BR, 21.8.24, 22.50-0.20 Uhr und seit 20.8.24 der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 25.08.2024 14:00 Letzte Änderung: 27.08.2024 11:40
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, KWDR, Dokumentation, Gaming, Schreder, Hechler, NEU
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