Vom Sprechen zum Handeln - epd medien

29.08.2024 11:13

Die WDR-Dokumentation "Höcke. Und seine Hintermänner" zeichnet ein dichtes Porträt von Björn Höcke, dem Vorsitzenden der AfD in Thüringen, und bringt auch für gut Informierte neue Erkenntnisse.

Björn Höcke im Landgericht Halle

epd Formulierungen wie "Manche sagen ..." sind in der aktuellen Politik-Berichterstattung durchaus verbreitet, und in Einzelfällen mögen solche Floskeln entschuldbar sein, etwa dann, wenn ein Beitrag unter enormem Zeitdruck entsteht. Für eine Dokumentation wie "Höcke. Und seine Hintermänner", an der mehrere Monate gearbeitet wurde, gilt das nicht. Gleich zu Beginn dieses Films aus der Reihe "WDR Story" fällt mit Bezug auf Höcke der Satz: "Manche trauen ihm Großes zu." Fragwürdig ist die Formulierung auch, weil sie dem, was dem Landesvorsitzenden der AfD in Thüringen "zuzutrauen" ist, ein positives Framing verleiht.

Wer die frühe Rausschmeißer-Floskel ignoriert, wird belohnt. Das liegt daran, dass die Autoren Jana Heck, Willem Konrad, Katja Riedel und Hannes Vogel außergewöhnlich kompetente Gesprächspartner wie den "Zeit"-Journalisten Christian Fuchs und den Publizisten und Soziologen Andreas Kemper ausgewählt haben. Sie haben Höcke - und den zweiten Protagonisten des Films, den rechtsextremen Verleger und Publizisten Götz Kubitschek, der hier als Höckes maßgeblicher "Hintermann" beschrieben wird - so gut studiert, dass der Film auch für gut informierte Zuschauer gewinnbringend ist.

Denkweise verändern

Höcke, dessen Landesverband der AfD vom Thüringer Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, sei "die perfekte Inkarnation" dessen, was sich Kubitschek, Chefredakteur des Magazins "Sezession", "am Schreibtisch ausgedacht" habe, sagt Fuchs. Und zu Höckes Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" urteilt er: "Wenn man bösartig sein will, könnte man sagen: Das ist sein 'Mein Kampf'."

Der Film greift auch das juristische Vorgehen gegen Höcke in der jüngeren Vergangenheit auf. Weil er bei einer Veranstaltung die SA-Parole "Alles für Deutschland" verwendet hatte, verurteilte ihn das Landgericht Halle im Mai und im Juli in zwei Verfahren jeweils zu einer Geldstrafe - die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Andreas Kemper analysiert die Verwendung der Losung folgendermaßen: "Bisher hat er nur massiv NS-Rhetorik benutzt, die nicht verboten war, aber irgendwann muss er dazu übergehen, auch die verbotene Sprache zu benutzen. Der Sprechraum muss erweitert werden, um die Denkweise zu verändern und dann zu einem Handeln zu kommen." Diese Art der "Sprechraumerweiterung", sagen dann wiederum die Autoren, habe Götz Kubitschek "genau so empfohlen".

Vergangenheitspolitischer Dammbruch

Höcke selbst hat, wie es zu Beginn der Dokumentation heißt, eine Interviewanfrage abgelehnt, er hat auch keine schriftlichen Fragen beantwortet. Auch Kubitschek hat sich nicht geäußert. In einem Text zum Film, der parallel zur linearen Ausstrahlung am 19. August in der "Süddeutschen Zeitung" erschienen ist, sagt Kubitschek dazu: "Ich spreche nur mit ausländischen Medien und unseren eigenen."

Der einzige Vertreter aus dem Höcke-Lager, der sich für diesen Film aus der Reihe "WDR Story" interviewen ließ, ist Martin Hohmann. Er wird gezeigt, als der von den Autoren formulierte und auf Höcke bezogene Satz "Manche trauen ihm Großes zu" zu hören ist. Der Name des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen AfD-Politikers ist durch die "Hohmann-Affäre" bekannt. Am 3. Oktober 2003 hielt er bei einer CDU-Parteiveranstaltung eine Rede, die, wie die Zeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" schrieb, von einer "antisemitischen Argumentationslogik" geprägt war.

Die Rede bedeutete auch einen vergangenheitspolitischen Dammbruch. Sie mündete in das erste Fraktionsausschlussverfahren gegen einen CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten überhaupt und sorgte für einen in der bundesdeutschen Parteienlandschaft damals außergewöhnlichen Skandal. Die Autoren der Höcke-Dokumentation handeln das kurz mit einer "Wikipedia"-Formulierung ab: Hohmann habe wegen einer "antisemitisch bewerteten" Rede "Schlagzeilen" gemacht.

Solide Dokumentation

Wenn man schon auf Hohmann eingeht, hätte es nahegelegen zu fragen, inwieweit Björn Höcke mit seiner 2017 formulierten Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" einen Sprechraum erweiterte, den Hohmann mit seiner Rede zu Beginn dieses Jahrtausends auf seine Weise geöffnet hatte. Es ist jedenfalls schwer zu verstehen, dass die Autoren die Hohmann-Affäre nur kurz streifen und ihre Dimension nicht benennen.

Dabei leitet der Film Höckes Ideologie sonst durchaus überzeugend her. Die Autoren erwähnen den Einfluss seines Vaters, der nach Kenntnissen des Höcke-Experten Kemper "Die Bauernschaft" abonniert hatte, eine 1996 eingestellte neonazistische Publikation, die in Deutschland illegal vertrieben wurde, und sie zitieren aus älteren Beiträgen Götz Kubitscheks, etwa aus dem Buch "Provokation" von 2007.

Trotz kleinerer Schwächen ist "Höcke. Und seine Hintermänner" eine sehr solide Dokumentation. Der Film verdichtet geschickt bekannte Informationen und liefert weniger bekannte Details, die das öffentliche Höcke-Bild gut ergänzen.

infobox: "WDR Story: "Höcke. Und seine Hintermänner", Dokumentation, Regie und Buch: Willem Konrad, Katja Riedel, Jana Heck, Hannes Vogel, Kamera: Willem Konrad, Patrick Wulf (WDR/NDR, 19.8.24, 22.15-23.00 Uhr und in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 29.08.2024 13:13

René Martens

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, Dokumentation, Höcke, Heck, Konrad, Riedel, Vogel, Martens

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