Opa, was ist ein IM? - epd medien

05.09.2024 10:26

Die Kika-Serie "Labyrinth der Lügen" erzählt Kindern vom Leben in der DDR. Die Geschichte ist gut, findet Tilmann Gangloff, die Animation hat ihn jedoch weniger überzeugt.

Paul sieht entsetzt, wie sein Onkel Henri abgeführt wird

epd Viele ostdeutsche Eltern der Zielgruppe des Kinderkanals haben kaum noch eigene Erinnerungen an die DDR. Als die Mauer fiel, waren sie selbst Kinder. Eine Animationsserie wie "Im Labyrinth der Lügen" ist daher eine gute Gelegenheit, die Generationen vor dem Fernseher zu vereinen, womöglich ergänzt um die Großeltern, die viel erzählen können. Das potenzielle Reaktionsspektrum reicht von "So war das damals" bis zu "Das war doch in Wirklichkeit alles ganz anders". Die Drehbücher sind kindgerecht, aber manches wird erst spät erklärt. Das könnte Gesprächsbedarf wecken: "Opa, was ist ein 'IM'"?

Es könnte aber sein, dass sich das ältere Publikum rasch abwendet: Die Umsetzung wirkt, als befinde sich das Genre noch auf dem Stand von "Heidi" in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die eckigen Bewegungen lassen die Menschen wie Roboter wirken, in ihren Gesichtern tut sich wenig, und wenn doch, dann erinnert die übertriebene Mimik an schlechtes Schauspiel. Die ausladenden Gesten passen mitunter nicht zu den Dialogen, die oft aufgesagt wirken, die Fragen sind unnatürlich betont. Auch Geräusche wie Keuchen, Ächzen, Lachen oder Kichern klingen unecht. Ärgerlich sind auch modernistische Floskeln wie "Alles gut", "Nicht wirklich" oder in die Luft gemalte Anführungszeichen. Die Handlung spielt 1985, da gab es das noch nicht.

Tagträume von spannenden Abenteuern

Die Geschichte ist gut. Sie basiert auf dem gleichnamigen und sehr lesenswerten Kinderroman von Ute Krause von 2016. Das Autorenduo Andreas Völlinger und Paul Markurt hat sich, von moderaten Änderungen und der Zuspitzung des Finales abgesehen, eng an die Vorlage gehalten. Zentrale Figur ist der zwölfjährige Paul. Seine Abenteuer hat sich Krause ausgedacht, aber der familiäre Rahmen ist realen Ereignissen nachempfunden: Pauls Eltern werden bei einem Fluchtversuch aus Ost-Berlin verhaftet, der Junge kommt zunächst in ein Kinderheim. Als die Handlung beginnt, lebt er bei seiner Oma.

Die Eltern sind von der Bundesregierung freigekauft worden. Weil sie als Verräter gelten, wird Paul von der Lehrerin schikaniert und vom linientreuen Streber Uwe gemobbt. Während die anderen die sozialistischen Bruderstaaten aufzählen, tagträumt er sich als Geheimagent in spannende Spionageabenteuer. Zu Beginn der Serienhandlung sagt Paul zum Publikum: "Stell' dir vor, jemand baut mitten durch deine Stadt eine Mauer." Zu sehen sind entsprechende Aufnahmen aus dem Jahr 1961.

Abwechslung kommt ins Leben des Jungen, als sich eine neue Mitschülerin neben ihn setzt: Milenas Mutter ist aus Kuba, sie selbst aus Cottbus, und am Sozialismus ist sie genauso wenig interessiert wie Paul. Die beiden freunden sich an, zumal sich Milena vom fiesen Uwe, der auch ein Rassist ist, nichts gefallen lässt. Pauls Onkel Henri ist Nachtwächter im Pergamonmuseum, Milenas Vater Oberbeleuchter im Theater, das bereichert die Serie um zwei faszinierende Schauplätze. Die impressionistischen Kulissen im Berliner Ensemble sind zeichnerisch sehr gelungen, die atmosphärische Umsetzung bis hin zu den korrekten Autogeräuschen sehr sorgfältig.

Trottelige Stasi-Agenten

Henri erzählt seinem Neffen eine fantastische Geschichte: Im Ischtar-Tor soll sich ein Stein mit der Formel für ewiges Leben verbergen. Paul ist Feuer und Flamme: Wenn er das Geheimnis lüftet, belohnt ihn die Regierung vielleicht mit einem Ticket in den Westen. Fortan konzentriert sich die Serie auf diese Geschichte, ohne den Rahmen aus den Augen zu verlieren. Das Ministerium für Staatssicherheit hat Henri im Auge. Die Wohnung, in der Paul, seine Oma und der Onkel leben, wird erst observiert und verwanzt. Die beiden Stasi-Agenten sind allerdings ziemliche Trottel. Das ist zwar eine erhebliche Verharmlosung, sorgt aber für diverse Slapstick-Einlagen, da Paul den beiden ständig ein Schnippchen schlägt.

Die gute Musik von Philipp E. Kümpel und Andreas Moisa und die leicht gruseligen nächtlichen Szenen im Museum bringen Spannung, Paul hat seit dem Fluchttrauma Angst im Dunkeln. In diesen Momenten lässt sich sogar vorübergehend über die grafischen Mängel hinwegsehen. Mitunter gibt es optische Überraschungen: Als Henri seine Geschichte über den Hieroglyphenstein erzählt, verwendet er aus Servietten gefaltete Origami-Figuren, die im Stil alter ägyptischer Zeichnungen lebendig werden. Bedrückend illustriert sind dagegen die Erinnerungen an das Kinderheim, in dem hintereinander mehrere Türen krachend ins Schloss fallen.

Die Serie "Im Labyrinth der Lügen" belegt ähnlich wie der Kinofilm "Fritzie - Eine Wendewundergeschichte" (2019), dass sich Geschichten über die DDR sehr wohl auch für Kinder eignen.

infobox: "Im Labyrinth der Lügen", neunteilige Animationsserie nach dem Roman von Ute Krause, Regie: Theresa Strozyk, Buch: Andreas Völlinger, Paul Markurt, Produktion: Mideu Films, DenverMP (ZDF-Mediathek ab 5.9.24, Kika, ab 8.9.24 sonntags 14.45-16.15 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 05.09.2024 12:26

Tilmann Gangloff

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Gangloff, tpg

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