Jugend ohne Jugend - epd medien

10.09.2024 07:45

Die Sitcom "Jugend - es ist kompliziert" arbeitet sich Pointe um Pointe am gar nicht mehr jugendlichen Berliner Hipstermilieu ab, bleibt dabei aber stets überraschend. Die ZDFneo-Serie überzeugt auch auf visueller Ebene.

Frank (Leon Ullrich) und Sophie (Eli Riccardi) sind stolze Eltern einer adoptierten Katze.

epd Ein Safe Space für Mansplainer, ein feministischer Fahrradladen, Zuzwinkern nur mit Consent und eine Katze, die zu triggern man tunlichst vermeiden sollte, weil sie traumatische Erlebnisse auf der Straße hatte: "Jugend - es ist kompliziert" von Autor und Co-Regisseur Stefan Stuckmann ("Eichwald, MdB") lässt keine Gelegenheit aus, die Doppelmoral und den Narzissmus eines - hier selbstredend arg klischeehaften - woken Großstadtmilieus aufzuspießen. Dass man trotz des auf den ersten Blick ziemlich platten Grundplots gerne zuschaut, liegt am grandiosen Darstellerensemble, am rasanten Tempo der Sitcom und dem dann doch hintersinnigen, immer wieder überraschenden Humor.

Die vier Hauptfiguren der Serie - Cathrin, Tim, Sophie und Frank - sind WG-Mitbewohner beziehungsweise, im Fall von Frank, Nachbarn in Neukölln. Jugendlich sind sie allesamt nicht, jedenfalls nicht nach geläufigen Definitionen.

Dickicht performativer Widersprüche

Cathrin, Tim und Frank verkörpern als ständig scheiternde Millennials Mitte dreißig allerdings das Gegenteil des Gesettledseins. Cathrin (Sarah Gailer) und Tim (Thomas Schubert) greifen beruflich wie im Liebesleben zwar nach jedem Strohhalm, bleiben aber selbst dabei paradoxerweise noch sehr wählerisch. Ihre wechselnden Dates wechselnden Alters rahmen die Handlung über die acht Folgen hinweg. Insbesondere diese beiden Protagonisten verheddern sich im sitcomtypischen Dickicht performativer Widersprüche. Ständig die eigenen -ismen wie Rassismus oder Klassismus reflektierend, scheitern sie ob der eigenen Selbstbezogenheit doch immer wieder grandios daran, nach ihren Maximen zu leben.

Frank (Leon Ullrich) und Sophie (Eli Riccardi) bilden den etwas beständigeren Pol der Serie. Sophie, eher schon zur Generation Tiktok gehörend, wird zu Beginn der Serie neu für Cathrins und Tims WG gecastet. Witze über das Hauen und Stechen bei Berliner Wohnungsbesichtigungen sind natürlich vorprogrammiert. Sophie hat eine New-Jersey-Vergangenheit und wechselt schon mal gerne mitten im Satz zwischen Deutsch und Englisch hin und her. Aufgewirbelter wird ihr Leben erst, als ihre überfürsogliche, ständig backende Mutter (großartig: Gerti Drassl) auftaucht und zum Leidwesen ihrer Tochter in die Freundesgruppe integriert wird. WG-Nachbar Frank ist weniger hipsterig als die anderen, wenn auch nicht weniger erfolglos als Cathrin und Tim. Frank ist es auch, der den Safe Space für mansplainende Männer in seiner Wohnung beherbergt (unter anderem dabei: Lutz van der Horst als "der Grapscher").

Dick aufgetragen

Regie-Stipendiat Tim arbeitet an einer "Antigone"-Adaption ins Social-Media-Zeitalter, wird aber von seinem Ensemble in Sachen wokistischer Rücksichtnahme auf alle möglichen Befindlichkeiten übertrumpft. Im Aktzeichnenkurs von Cathrin, Sophie und Susanne kommt es zu einem "Penis incident". Das Phänomen "links blinken, rechts abbiegen" wird verbildlicht, wenn Tim und Frank zweier "heißer Weiber" wegen zu einem CDU-Treffen gehen und begeistert feststellen, dass man dafür noch nicht mal gegen Geflüchtete sein müsse. Seinen Versuch, sich geplagt vom schlechten Gewissen mit dem DHL-Boten Kevin (Johannes Benecke) anzufreunden, bricht Tim schließlich entnervt ab. Dass Kevin "Nutte" statt "Sexarbeiterin" sagt, macht es Tim noch einfacher.

Natürlich ist all das dick aufgetragen. Dass man die Serie über die acht rund 22-minütigen Episoden hinweg trotzdem nicht irgendwann satt hat, liegt auch am selbst für Sitcomverhältnisse ungewöhnlichen Stakkato, mit dem die Pointen abgefeuert werden: Kaum hat man eine weggelacht, hat sich unversehens schon die nächste, oft weit um die Ecke gedachte Punchline aufgebaut.

Anspruchsvoller Look

Ansprechend ist auch die Ästhetik der Serie, die, ganz Sitcom, im Studio aufgenommen wurde. Diesen Look versuchen Stuckmann und seine beiden Co-Regisseure Simon Ostermann und Hannah Dörr jedoch bewusst nicht zu übertünchen, vielmehr zelebrieren sie ihn. Außenaufnahmen mit Berliner Stadtszenen haben dennoch ihren Weg in die Serie gefunden, und zwar als eine Art "Schnittbilder": Standbilder im Stil von Instagram-Snapshots, gerne auch in Faceswap-Ästhetik, werden mehrmals pro Folge in atemberaubendem Tempo aneinandergeschnitten. Sie leiten zwischen zwei Szenen über, nehmen Bezug auf die vorherige Szene und ergänzen sie um weitere Pointen auf Bildebene. So kreiert die Serie einen anspruchsvollen Look, der von Peter Lichts Soundtrack stimmig untermalt wird.

Die letzte Pointe lässt "Jugend - es ist kompliziert" in Folge 8 abrupt enden, ganz ohne aufgeblasenes, überdramatisiertes Finale. Die Protagonisten sind einem da längst ans Herz gewachsen, und es bleibt das Gefühl, dass Showrunner Stuckmann und sein Team noch weitere Punchlines in petto hätten.

infobox: "Jugend - es ist kompliziert", achtteilige Sitcom, Regie: Simon Ostermann, Hannah Dörr, Stefan Stuckmann, Buch: Stefan Stuckmann, Kamera: Johannes Greisle, Jesse Mazuch, Produktion: Studio Zentral, SKP Entertainment (ZDFneo, ab 10.9.24 immer dienstags in Doppelfolgen, 21.45-22.35 Uhr, und seit 6.9.24 in der ZDF-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 10.09.2024 09:45

Dominik Speck

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDFneo, Speck, Sitcom, Comedy

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