Nimmermüder Kreativer - epd medien

11.09.2024 09:43

Er ist ein Regisseur mit einer einmaligen Handschrift und zugleich tief verwurzelt in der DDR. Die Arte-Dokumentation "Andreas Dresen - Ein Leben für den Film" zeichnet den Weg des ambitionierten, liebenswürdigen Filmemachers nach.

Andreas Dresen bei den Dreharbeiten zu "Als wir träumten" (2015)

epd Er zählt zu den profiliertesten Filmemachern der deutschen Gegenwart. Seine einzigartige Handschrift zeichnet den 1963 in Gera geborenen Andreas Dresen aus, aber nicht nur sein markanter Stil unterscheidet ihn von den Kollegen hierzulande. Wie kein anderer hat er die Befindlichkeit der Ostdeutschen thematisiert - ohne erhobenen Zeigefinger. Jana von Rautenberg erkundet in ihrer Dokumentation die Verwurzelung von Dresens filmischem Schaffen im Denken, Fühlen und Erleiden der ehemaligen DDR. Ihr Film zeichnet den steinigen Werdegang eines ambitionierten, liebenswürdigen Künstlers nach, der sich, so scheint es, etwas Kindliches bewahrt hat.

Als Sohn einer Schauspielerin und späterer Ziehsohn eines Theaterregisseurs wurde dem jungen Andreas das Schöpferische offenbar in die Wiege gelegt. Anekdotische Episoden, bei denen Dresen sympathisch aus dem Nähkästchen plaudert, führen jedoch vor Augen, dass diese unmittelbare Nähe zur Kunstszene für den Jungen nicht einfach war. Denn die Uraufführung seines "Doktor Faustus" auf der Puppenbühne, die am 15. Juli 1975 im heimischen Wohnzimmer stattfand und für die der ambitionierte Jungregisseur alles selbst gebastelt hatte, bis hin zu den Eintrittskarten, wurde von den anwesenden Erwachsenen "gnadenlos zerrissen". Der kleine Andreas saß danach "heulend in der Badewanne".

Dokumentarische Unmittelbarkeit

Nicht viel besser erging es ihm im Alter von 21 Jahren mit seinem ersten Spielfilmprojekt zu einem in der DDR recht brisanten Thema: Ob es nicht besser sei, in den Westen abzuhauen? Die Stasi bekam Wind davon und erstickte das Projekt noch bevor die erste Klappe fallen konnte. Das sei jedoch, so erklärt Andreas Dresen schelmisch, ein Glücksfall gewesen. Denn dieser Film "wäre scheiße geworden". Ein ganz anderes (nur scheinbar völlig unpolitisches) Projekt, das der junge Kreative zur Frustbewältigung realisierte, erwies sich daraufhin als überraschender internationaler Durchbruch. Ausgehend von diesem Kurzspielfilm, "Der kleine Clown" von 1985, zeichnet Jana von Rautenberg die Entwicklung von Dresens bemerkenswertem Werk anhand markanter Spielfilm-Ausschnitte nach.

Die Dokumentation geht auch der Frage nach, warum Dresens Filme trotz ihres inszenatorischen Charakters eine quasi dokumentarische Unmittelbarkeit haben. Um größtmögliche Authentizität zu erreichen, lässt der Regisseur seine Darsteller häufig frei improvisieren. Diese Vorgehensweise ist nicht ungewöhnlich, doch in den Gesprächen mit den Darstellern kommt ihre familiäre Vertrautheit mit dem Filmemacher zum Ausdruck. In Kulturdokumentationen über Filmschaffende und besonders in Making-Offs klingen solche Statements über den Regisseur meist wie nichtssagende PR-Phrasen. Berichten jedoch Ursula Werner, Steffi Kühnert oder Axel Prahl über den Entstehungsprozess von "Wolke 9" oder "Halbe Treppe", so vermittelt sich dabei viel von der unverkennbaren Handschrift des Regisseurs.

Erhellendes Porträt

Die Verwurzelung des Regisseurs in der ehemaligen DDR wird vor allem in den Gesprächen über seinen wohl wichtigsten Film, "Gundermann", deutlich. Zu diesem Werk aus dem Jahr 2018 wurde er inspiriert durch den übergroßen Publikumserfolg von "Das Leben der Anderen". Dass Florian Henckel von Donnersmarcks oscarprämiertes Stasi-Epos als "der große DDR-Film gefeiert" wurde, hat Dresen "sehr geärgert". Denn dieser Film, der den Osten auf eine gefühlige Formel herunterbricht, hat nach Dresens Worten, "mit der DDR so viel zu tun wie Disney mit Hoyerswerda".

"Gundermann", sein atemberaubendes Meisterwerk über einen Baggerfahrer, der in der DDR als Liedermacher populär wurde, bis nach der Wende seine Tätigkeit für die Stasi bekannt wurde, ist ein berührender Film, der die alltägliche Schizophrenie in einem von der Stasi umfassend bespitzelten Alltag bis in die kleinsten Poren nachvollziehbar macht.

Hier stößt die Dokumentation allerdings auch an Grenzen: Um die Vielschichtigkeit dieses Films und damit auch der Arbeitsweise Dresens noch präziser hervorzukehren, hätte sie noch mehr Ausschnitte aus "Gundermann" zeigen müssen. Die Dokumentation platzt aber auch so aus allen Nähten. Zu sehen ist Dresen als Rockmusiker, DJ und Hobbysegler, der zudem - man glaubt es kaum - noch zwölf Jahre lang als Laienrichter am Brandenburgischen Verfassungsgericht tätig war. Kein Wunder, dass dieser Mensch, der wie eine Kerze an zwei Seiten brennt, zeitweise in Depressionen verfiel. Jana von Rautenberg ist ein dichtes, erhellendes Porträt eines nimmermüden Kreativen gelungen, der hoffentlich noch viele weitere Filme realisieren wird.

infobox: "Andreas Dresen - Ein Leben für den Film", Dokumentation, Regie und Buch: Jana von Rautenberg, Kamera: Jan Urbanski, Norman Gäbler, Frank Barbian, Produktion: Dokfilm (Arte/MDR, 11.9.24, 22.10-23.00 Uhr und bis 10.10.24 in der Arte-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 11.09.2024 11:43

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Dresen, Dokumentation, von Rautenberg, Riepe

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