Es gruselt nicht - epd medien

12.09.2024 07:55

Im WDR-Zweiteiler "Wäldern" sucht die Pianistin Lara nach ihrer verschwundenen Nichte. Sie erhält mysteriöse Botschaften und sieht sich mit dunklen Mächten konfrontiert.

Lara (Rosalie Thomass) sucht nach ihrer verschwundenen Nichte Magda

epd Dass Till Franzen eine glückliche Hand mit Mystery hat, konnte man 2015 bei der bahnbrechenden TNT-Serie "Weinberg" sehen. Dunkle Schauermotive aus der literarisch-philosophischen Epoche der Romantik, die die europäische Ästhetik grundlegend geprägt hat, trafen da auf zeitgenössische Realität. Der Alltag bekommt einen Riss, der sich anfangs als Wahrnehmungs-Verrückung sehen lässt, die Verstandeslogik auf den Kopf stellt und Raum schafft für Verunsicherung, für Parallelnarrative und für feines psychologisches Drama.

Deutsches Grusel-Fernsehen gilt im internationalen Vergleich eigentlich als Nachhilfeschüler. Mit Ausnahmen. Bei Netflix hat im Subgenre "Jugend und Mystery" "Stranger Things" mit deutscher Beteiligung Maßstäbe gesetzt. In jüngerer Zeit glänzte die RTL-Eigenproduktion "Die Quellen des Bösen - Jagd nach dem Runen-Mörder" mit der Verbindung von Mystery, DDR-Nachwende-Zeitkolorit der 90er und bestens gespieltem Thriller. Wo sich in "Die Quellen des Bösen" vieles um Runen und Wikingermythen in dichten Wäldern mit alten Sowjetbunkern dreht, hat es Till Franzens neuer Mysterystreich "Wäldern" eher mit satanistischen Zeichen und Keltenopfermythen.

Rätselhafte Zutaten

Leider ist "Wäldern" aber nicht halb so spannend wie "Die Quellen des Bösen". Und, um bei der Arithmetik zu bleiben, höchstens ein Viertel so genrelogisch. Und schon gar kein Vergleich mit "Weinberg", das einen Grimme-Spezialpreis für die gelungene Verarbeitung gespensterromantischer Motive erhielt.

In der WDR-Produktion "Wäldern" sorgen immer gleiche Visionen und Rückblenden-Schreckensbilder für enorme Längen, in denen sich der Grusel verflüchtigt. Noch der Abstieg in die vom Bösen bewohnte Unterwelt unter dem Elternhaus der Hauptfigur ist so spannend in Szene gesetzt wie ein Grundkurs Kulissensägen. Das größte Manko der zwei Neunzigminüter, aus denen "Wäldern" besteht, liegt allerdings darin, dass am Ende zwar Verschwundene wieder aufgetaucht sind, aber das große Geheimnis weiter ein Geheimnis bleibt, nur mit noch mehr rätselhaften Zutaten als zu Beginn. "Wäldern" wirkt wie willkürlich abgeschnitten. Es soll weitergehen. Aber ob dann noch Interesse besteht?

Rosalie Thomass, der Hauptdarstellerin, kann man nichts vorwerfen. Ihre Figur, die Pianistin Lara, ist die Sympathieträgerin von "Wäldern". Eine Lichtgestalt soll sie sein, hellblond mit pastellfarbenen Musterpullis, eine Künstlerin mit besonderem Zugang zur Musik und besonderer Durchlässigkeit für das Leid anderer.

Botschaften von Satanisten

Warum sie in das Haus ihrer Adoptiv-Schwester Greta (Narges Rashidi) gezogen ist, die im Gefängnis sitzt, warum sie, die in New York Gefeierte, nun als Musiklehrerin unter der feindseligen Direktorin (Tanja Schleiff) festsitzt, enthüllt sich langwierig in narrativen und bildlichen Andeutungen und Feststellungen. Laras Nichte, die 14-jährige Magda ist mitten im Wald auf einem Kirchenevent spurlos verschwunden. Lara sucht sie und wird wiederholt gewarnt von einem kaum gruseligen kirchernden Obdachlosen. Ein unheimlicher Schüler namens Aaron Wagner (Laurids Schürmann) starrt in der Klasse vor sich hin, beschwört mit seinem Vater Bäume, spricht unheimlich in fremder Zunge.

Dass solche Botschaften rückwärts abgespielt werden müssen, weiß jeder Satanisten-Anfänger, und nach viel Gegrübel schließlich auch ein alkoholkranker Professor (Peter Franke), der seine Frau bei der Ahrtalflut verloren hat. Diesen lernt Lara im Schlepptau einer Hypnotiseurin (Sabine Vitua) kennen.

Unfreiwillig komisch

Im ersten Film, "Das verschwundene Mädchen", wird Laras Opferung im Waldbunker durch Hellseherei gerade noch verhindert. Im zweiten Film, "Das Böse in den Spiegeln", erfährt Lara nach und nach mehr über ihre eigene, vergessene Kindheitsbedrohung. Sie rettet ein anderes verschwundenes Kind, Merle (Tilda Jenkins). Das Drama in Merles Familie wird lang und platt ausgebreitet. Die Mutter (Judith Bohle) glaubt nicht, dass in der Merle-Wiederkehrerin nun ein Dämon wohnt, der Vater (Moritz Führmann) glaubt als Afghanistan-Veteran an alles Böse unter der Sonne. Die Diskussionen dieses Paares wirken oft unfreiwillig komisch und hinken dialogisch.

Andere Figuren, entweder sehr naiv, sehr seltsam, oder dichotomisch in "die Guten" und "die Bösen" geschieden, tauchen auf und ziehen den Ablauf nach und nach eher ins Groteske als ins Unheimliche. Die Kritikerin beschleicht nicht das Grauen, sondern der Verdacht, dass der WDR, unter dessen Fittich "Wäldern" entstanden ist, einfach nicht der richtige Sender für Mystery ist. Zu lang, zu langweilig, zu aufdringlich die Optik, zu banal die Zeichen. Wenn etwas Gescheites dabei rauskommen soll, muss man mit dem nötigen Ernst an solche Genrefilme rangehen.

Es scheint, als hätten im Prozess der Entstehung von "Wäldern" zu viele Menschen im Hintergrund daran herumgekrittelt. Dass "Wäldern" von Till Franzen stammt, der nicht nur Regie führte, sondern auch das Buch gemeinsam mit Martin Simons geschrieben hat, muss man freilich glauben.

infobox: "Wäldern", zweiteiliger Fernsehfilm, Regie: Till Franzen, Buch: Martin Simons, Till Franzen, Kamera: Alina Albrecht, Produktion: Flare Film (ARD-Mediathek/WDR, ab 11.9.24, ARD, 18.9.24, 20.15-21.45 Uhr und 20.9.24, 22.20-23.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 12.09.2024 09:55

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KWDR, Fernsehfilm, Mystery, Wäldern, Fanzen, Simons, Hupertz

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