Essen ist Heimat - epd medien

13.09.2024 15:51

In der Reihe "Alles außer Kartoffeln" zeigen Köchinnen und Köche, die nach Deutschland eingewandert sind, dass das Essen ein wichtiger Teil ihrer Herkunftskultur ist.

Die Köchinnen und Köche der ARD-Reihe "Alles außer Kartoffeln"

epd Deutschlands Kulinarik wäre viel ärmer, hätten nicht immer wieder Migrantinnen und Migranten aus aller Welt für neue gastronomische Impulse gesorgt und nicht nur neue Rezepte, sondern auch bis dato unbekannte Lebensmittel und Gewürze aus ihrer jeweiligen Heimat mitgebracht. Das begann Ende des 17. Jahrhunderts mit jenen rund 50.000 hugenottischen Refugiés, die aus Frankreich nach Preußen, Baden und Hessen kamen. Ohne Einwanderung kein Spargel, keine Pizza, keine Spaghetti Bolognese, kein Döner oder Sushi, keine Piroggen, keine Pho, kein Ceviche, kein Curry und kein Chili.

Die ARD-Doku-Reihe "Alles außer Kartoffeln" porträtiert in sechs 30-minütigen Episoden Gastronominnen und Gastronomen aus Taiwan, Israel, Indien, Marokko, Ghana und Georgien, die ihre Küchenkultur nach Deutschland brachten. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben sie bis zu ein Jahr lang begleitet - auch bei Reisen in ihr Ursprungsland. Für alle Porträtierten ist das Kochen zentraler Bestandteil ihrer Biografie und zugleich wichtiger Teil ihrer Herkunftskultur: Essen ist eben auch Heimat.

Ein alter Freund

Da ist zum Beispiel Hsien-Kuo Ting aus Taiwan, der 1968 im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Berlin kam. Seine Geschichte erzählt die Episode "Die geheimen Rezepte der Familie Ting". Die Gastronomie ist Familientradition: Tings Vater ging in den 40er Jahren von Festland-China nach Taiwan und wurde Koch, weil ein Koch immer zu essen hat. Seine Kunst brachte ihn sogar für zwei Jahre als Leibkoch an den Hof des saudi-arabischen Königs, bevor er nach Europa ging und hier ein Restaurant eröffnete, das sehr bekannt wurde und in dem auch Helmut Kohl gern speiste.

Inzwischen ist Hsien-Kuo Ting ein älterer Herr mit verschmitztem Gesicht, der im Laufe der Jahre fünf Restaurants eröffnete - zuletzt vor 20 Jahren das "Lon Men's Noodle House" in der Berliner Kantstraße, vor dem die Menschen Schlange stehen, um einen Platz zu ergattern. Auch Politiker und Prominente kommen gern. Einmal pro Woche isst Lars Eidinger hier und wird von Ting wie ein alter Freund begrüßt: "Lars, alles wie immer?" Eidinger hat auch den sehr gelungenen, zurückhaltenden Off-Kommentar dieser Episode von Laura Beck (BR) eingesprochen.

Das Geheimnis der Brühe

Das Lokal hat Herr Ting gegründet, weil er Sehnsucht nach einem Gericht seiner Kindheit hatte, das er in Deutschland nie finden konnte: taiwanesische Nudelsuppe mit einer würzigen Brühe. Das Rezept-Geheimnis wird von Frau Ting streng gehütet, ebenso wie das des Chili-Öls. Nicht mal ihrem Sohn Ido, der das Geschäft weiterführen wird, will sie das Rezept aufschreiben: Er muss es so lange mit ihr kochen, bis es ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist. Der Film ist vor allem ein Familienporträt dreier Generationen, er verdeutlicht eindrucksvoll, warum das Restaurant der Tings so unwiderstehlich ist: Es geht hier um mehr als gutes Essen und harte Arbeit, es geht um Familie, Kultur, Tradition und Herzblut.

Auch Nir Rosenfeld ist ein erfolgreicher Gastronom. Er betreibt in Frankfurt am Main mehrere vegane Restaurants, darunter das "Life Deli" im Jüdischen Museum. Seit sechs Jahren ist der gebürtige Israeli nicht nur Veganer, sondern auch Tierrechtsaktivist. Er protestiert vor Schlachtbetrieben und unterstützt einen Lebenshof mit Spendenaktionen und Catering. Rosenfeld will die Welt etwas besser machen, er ist überzeugt, dass veganes Leben dazu beiträgt und vieles einfacher macht. Seine Küche ist nicht nur koscher, sondern trägt auch das "Halal"-Siegel. Obendrein engagiert Rosenfeld sich sozial und bringt jede Woche 200 Essensportionen zu Obdachlosen.

Dass und wie Essen politisiert wird, zeigt Stefanie Appels Film "Conflict Kitchen: Nir Rosenfelds Traum von Frieden" (HR). Auch Rosenfeld ist - wie viele Juden in Deutschland - seit dem Massaker der Hamas im Oktober 2023 und dem neuen Krieg antisemitischen Hass-Mails und Anfeindungen ausgesetzt. Er liest Vorwürfe wie jene, dass Israel den Palästinensern nicht nur Land weggenommen habe, sondern auch noch die Küche. Was Unfug ist, weil Israel nach seiner Gründung Zufluchtsort für Juden aus aller Welt war, die ihre jeweiligen Küchentraditionen mitbrachten: mittel- und osteuropäische Einflüsse finden sich dort genauso wie arabische.

Taiwan ist nicht Thailand

Das Massaker berührte Rosenfeld auch unmittelbar: der Neffe einer Freundin von ihm gehört zu den Geiseln, die die Hamas am 7. Oktober entführte. Die Geiseln sind auch in Frankfurt präsent, man sieht Rosenfeld im Hof des Jüdischen Museums stehen, wo ihre Namen in einem Endlos-Loop verlesen werden. In Tel Aviv, wo er seine Mutter besucht, steht er vor einer Wand voller Porträt-Fotos. In Deutschland macht er sich Sorgen um seine Familie wegen des zunehmenden Antisemitismus: Seine halbwüchsigen Töchter sagen draußen längst nicht mehr, dass sie israelischer Herkunft sind, selbst sein kleiner Sohn ist Anfeindungen ausgesetzt. Rosenfeld zitiert ein jüdisches Sprichwort: "Sie haben versucht, uns zu töten. Wir haben überlebt. Lasst uns essen."

Die Dokumentarreihe erzählt also weit mehr als nur Kulinarisches. Man erfährt auch einiges über die Schwierigkeiten des Ankommens in der deutschen Gesellschaft: Herr Ting etwa musste seinen Gästen oft erklären, dass Taiwan nicht Thailand ist. Der Gambier Bubbacar Sissoho betreibt heute erfolgreich einen Foodtruck, weil er in Deutschland seinen ursprünglichen Beruf als Goldschmied nicht ausüben durfte: Und die Marokkanerin Souad Rias musste vor 30 Jahren die Darmstädter erst davon überzeugen, dass auch ein Restaurant ohne Alkohol erfolgreich sein kann.

"Alles außer Kartoffeln" ist eine sehenswerte und auch handwerklich überzeugende Dokumentar-Reihe. Sie zeigt, dass Essen verbindet. Nicht nur, weil jeder Mensch essen muss, sondern weil man sich beim Essen begegnet und Fremdes kennen und lieben lernen kann: sogar Knoblauch, der hierzulande bis in die 1970er Jahre noch eher verpönt war.

infobox: "Alles außer Kartoffeln: Menschen. Küche. Heimat", sechsteilige Doku-Reihe, Regie und Buch: Laura Beck, Stefanie Appel u. a., Kamera: Robin Worms, Martin Schleicher, u. a. (ARD-Mediathek/BR/HR/SWR/WDR, seit 10.9.24. BR, seit 10.9.24, jeweils dienstags, 23.30-0.00 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 13.09.2024 17:51

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KBR, KHR, KSWR, KWDR, Dokumentation, Beck, Appel, Steglich

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