14.09.2024 08:03
epd Eine ganze Stadt als "gated community": Ihre Bewohner und Besucherinnen werden von einem Touchscreen willkommen geheißen, ihre Handys und Laptops müssen sie zur Installation einer Firewall abgeben, anschließend werden sie von einem von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerten Kamerasystem lückenlos überwacht - das ist eine blitzsaubere Horrorvision. Die Versuchsanordnung namens Concordia liegt zwar inmitten schöner schwedischer Wälder und eine betont diverse Schar von Testimonials (alte, junge, schwarze, weiße, hetero- und homosexuelle Paare) erklärt in Werbespots, wie abgesichert und beschützt sie sich dort fühlt. Doch auch, dass die Gründerin des Projekts, eine taffe Geschäftsfrau im hellen Hosenanzug, immerfort staatstragend von Verantwortung, Transparenz und 360-Grad-Gesundheitsversorgung redet, wirkt nicht vertrauenerweckend.
Überhaupt, diese Juliane Ericksen (Christiane Paul), was für eine interessante Biografie! Mit 18 Mutter geworden, mit 21 verwitwet, nach dem Mauerfall hat sie ihre ostdeutsche Heimat verlassen und mit 34 den Concordia-Konzern gegründet, in dessen Vorstand nun auch ihr Sohn Noah (Steven Sowah) sitzt. Würde man dieser Hanteln stemmenden Boss-Lady zutrauen, dass sie ein dunkles Geheimnis hütet, ja, für ihre Vision womöglich gar über Leichen gegangen ist? Aber sicher, jederzeit.
Ein Problem dieses vom ZDF als Serien-Highlight annoncierten Sechsteilers ist, dass er genau diese vorhersehbare Geschichte erzählt. Gerade als die Überwachungs-Fetischistin mit Unterstützung der sächsischen Ministerpräsidentin (Karoline Eichhorn) eine Zweigstelle in Deutschland eröffnen will, erschüttert der erste Mordfall die seit 20 Jahren bestehende Gemeinschaft. Der Analyst Oliver Miller, Angestellter im Concordia-Headquarter, ist erschossen außerhalb der Stadt gefunden worden.
Die Ermittlungen der Göteborger Polizei schreiten gemächlich voran, aber eine Task Force um die von einer Concordia-Großaktionärin entsandte Krisenmanagerin Thea (Ruth Bradley) fördert zutage, dass der junge Mann das vermeintlich unfehlbare Computersystem manipuliert hatte, um Dating-Bekanntschaften auszuspionieren. Außerdem stellt sich heraus, dass die Modellstadt einst unter dem Eindruck eines Schul-Amoklaufs gegründet wurde, bei dem Juliane und ihr Intimus Peter Blom (Duncan Green) eine fatale Rolle spielten.
Trotz des Krimiplots gelingt dem Autorentrio Nicholas Racz, Mike Walden und Isla van Tricht das Kunststück, komplett spannungsfrei zu erzählen. Echte Identifikationsfiguren gibt es nicht, am meisten Hintergrund bekommt die Londoner Krisenmanagerin Thea, der ein französischer Ehemann (Hugo Becker), ein kleiner Sohn und eine demente Mutter (Cara Kelly) zugeordnet sind. Diffus bleibt der Strang um die Datenschutz-Aktivistengruppe The Faceless und ein lesbisches Pärchen (Maeve Metelka, Alba Gaïa Bellugi) auf der Flucht.
Teilnahmslos verfolgt der Zuschauer, wie sich Thea, Community Officer Isabelle (Nanna Blondell), Lead Data Scientist Mathilde (Joséphine Jobert) und Chief Technology Officer A.J. (Kento Nakajima) durch immer mehr Videomaterial arbeiten, um herauszufinden, wer Oliver Miller aus welchem Grund getötet haben könnte. Dabei kommt den virtuellen Welten des Computerspiels "Spiral" entscheidende Bedeutung zu, doch der Schauplatz Concordia bleibt als Stadt ungreifbar, er scheint vor allem aus properen Suburbia-Siedlungen und dem Hauptquartier der Betreiberfirma zu bestehen. Selbst die Dialoge der auf Englisch gedrehten internationalen Koproduktion - neben dem ZDF sind France Télévisions, der saudische Sender MBC sowie Hulu Japan investiert - wirken steril und seelenlos, die Nachsynchronisation ist jederzeit spürbar.
Ins Reich der frommen Wünsche muss zudem das Begleitwort der ZDF-Redakteurinnen Solveig Cornelisen, Laura Mae Harding und Caroline von Senden verwiesen werden, die Serie werfe "eine Reihe faszinierender ethischer und moralischer Fragen" auf. Aber hier offenbart sich eine mögliche Erklärung für das filmische Scheitern: "Concordia" soll aus programmgestalterischer Sicht als fiktionaler Aufhänger für einen umfangreichen dokumentarischen Schwerpunkt zum Thema KI dienen. Im Sinne der globalen Einsetzbarkeit sind alle auf Auftraggeberseite vertretenen Weltregionen durch Figuren in der Story repräsentiert. Vielleicht rührt daher die Anmutung einer Kopfgeburt.
Spektakulär bleibt gleichwohl die Fallhöhe angesichts der Mitwirkenden in allen Gewerken. Neben dem Cast um Emmy-Preisträgerin Christiane Paul, in dem auch noch Jonas Nay und Alice Dwyer verschwendet werden, ist zuvorderst der US-amerikanische Produzent Frank Doelger zu nennen, dessen Ruhm auf der Fantasysaga "Game of Thrones" basiert, allerdings durch die ZDF-Bestselleradaption "Der Schwarm" schon ein paar Kratzer abbekommen hat. Die Verfilmung des Frank-Schätzing-Romans wiederum bildet den Link zur österreichischen Regisseurin Barbara Eder (erste Staffel "Barbaren", "West of Liberty") und zu Kameramann Dominik Berg, die auch dort zur Crew gehörten.
Von Ferne erinnert "Concordia" an den Science-Fiction-Thriller "Paradise" (2023), der davon handelt, wie ein Weltkonzern es Armen ermöglicht, ihre Lebenszeit zu Geld zu machen - und umgekehrt Reichen, sich zusätzliche Jahre zu erkaufen. Allerdings wartete diese Netflix-Dystopie neben der perfiden Grundidee auch mit einer kraftvollen visuellen Umsetzung auf, etwa einem eindrücklich gestalteten Slumviertel auf dem Tempelhofer Feld. Die ZDF-Serie dagegen lässt sogar offen, ob die KI-Modellstadt nicht vielleicht doch ihre guten Seiten hat. Das ist keine geglückte Schlusspointe.
infobox: "Concordia - Tödliche Utopie", sechsteilige Dramaserie, Regie: Barbara Eder, Buch: Nicholas Racz, Mike Walden, Isla van Tricht, Kamera: Dominik Berg, Produktion: Intaglio Films (ZDF-Mediathek, ab 14.9.24)
Zuerst veröffentlicht 14.09.2024 10:03
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Serien, Eder, Racz, Walden, van Tricht, Luley
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