Zwischen Erkenntnislust und Nonsens - epd medien

18.09.2024 10:02

Der Krieg ist zu Ende. Doch wie kann eine Politikerin dies verkünden? Und ist jetzt wirklich Frieden? In seinem Hörspiel "Der Krieg ist vorbei" geht Jakob Nolte der Frage nach, wie Sprache Wirklichkeit schafft.

Schauspielerin Ursina Lardi und Regisseur Jakob Nolte im Hörspielstudio

epd "Der Krieg ist vorbei": Die Politikerin Staube (Ursina Lardi), die diese Nachricht demnächst bei einer Pressekonferenz öffentlich verkünden soll, übt den Satz wieder und wieder. Sie testet Ausdrucksvarianten für ihren Auftritt. Was fällt ihr schwer? Sorry, erklärt ihr Coach Pasel (Moritz Grove), ein theatererprobter Profi für Kommunikation, sie klinge nicht glaubhaft. Doch glaubhaft klingen, das sei gefragt, nicht glaubhaft sein, so Pasel. Also will er weiter polieren an Glanz und Wirkung einer möglichst frohen Botschaft.

Staube aber denkt in andere Richtungen: Sie sucht Einklang zwischen ihrer Überzeugung und ihren Reden und hat ein Problem: Der Krieg ist an ihr "nahezu vorbeigegangen", doch was auf den Krieg folgt, bleibt für sie schlimm und strapaziös: "Aufarbeitung der Gräueltaten, Trauer um Tote, Bilanz der Zerstörung, Verluste, Armut und Einsamkeit."

Satirischer Witz

Jakob Nolte tritt mit seinem Hörspiel nicht in Konkurrenz zu den Nachrichten über aktuelle militärische Auseinandersetzungen. Es geht ihm prinzipiell um die Diskrepanz zwischen Worten und Fakten im Krieg, um Sprachregelungen. Nolte liebt Denkspiele. So wagt "Der Krieg ist vorbei" den fiktiven, modellhaften Entwurf eines Krieges und Kriegsendes im flüchtig skizzierten "Mittleren Westen", wo immer das ist. Nur untergründig rumort im Stück Polemik, an der Oberfläche der Dialoge aber fällt leiser satirischer Witz auf. Leichthin verschränkt der junge Autor schwerwiegende politische und philosophische Fragen nach Wahrheit, Wirklichkeit und Medienwirkung.

Als Politikerin und Coach ihre kontroversen Ansichten schärfen, kommt als Dritter Ruppinger (Bernd Moss) ins Spiel, ein Wirtschaftsexperte, der enthusiastisch die "tollen Nachrichten" rühmt: Ein Diktator wurde beim Militärputsch getötet. Nun, mit dem "Ende sinnlosen Blutvergießens", lockt auch das "Ende eskalierender Sanktionen zwischen Volkswirtschaften", und alles wird besser. Ruppinger improvisiert spontan im kleinen Kreis eine Rede an "liebe Mütter, Väter, Brüder und Schwestern" und feiert gleich mal den Sieg der Demokratie über das Schlächtertum" als "Sieg der Menschlichkeit": "Die Melodie des Sieges singt in uns", jubelt er, "das Herz Europas lacht". Pasel stimmt ihm gerne in mancher Hinsicht zu, während Staubes Skepsis bleibt.

Kartoffeln und Butter

Ein vierter Gesprächspartner (Josef Ostendorf) taucht auf, ebenfalls froh bewegt. Er bringt sein neues Buch mit, über das "Ende der Wirklichkeit", aus dem er nicht zu viel verraten will, damit die Anwesenden es noch kaufen. Den Unterschied zwischen beiden Enden, dem des Kriegs und dem der Wirklichkeit, will er nicht vertiefen. Jedenfalls aber bekommt mit diesem Gesprächspartner, mit seinen grotesken Anekdoten und Fragestellungen das Denkspiel Einsprengsel von Komödie, genauer: Die Atmosphäre von Stücken Ionescos wird wiederbelebt, in zwischen Erkenntnislust und Nonsens schillernden Wortrangeleien.

Diese Anmutung konkretisiert sich, während die Anwesenden essen gehen. Wenn das Verlangen der philosophischen Runde nach "Kartoffeln und Butter", vielfach wiederholt, je und je ihre Denkschritte begleitet, erinnert das, vegetarisch modernisiert, an den ständigen Wunsch nach Kartoffeln mit Speck ("J‘ adore les pommes de terre au lard"), der Ionescos Stück "Jakob oder der Gehorsam" komisch durchzieht. Zurück zum absurden Theater?

Jakob Nolte versucht und vereint in seinem neuen Stück disparate Stilansätze. Am Ende beschwört er wieder die Dringlichkeit der Eingangskontroversen. Eine weitere Person muss dazu her: der jugendliche Jonas. Traumatisiert von jähen Morden im Freundeskreis durch Terroranschläge, im Krieg oder im Frieden, soll dieser auch abgehärtete Mediennutzer vom Ernst der Lage überzeugen.

infobox: "Der Krieg ist vorbei", Hörspiel, Regie und Buch: Jakob Nolte (DLF Kultur, 8.9.24, 18.30-19.25 Uhr und in der ARD-Audiothek)



Zuerst veröffentlicht 18.09.2024 12:02

Eva-Maria Lenz

Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KDLF, Hörspiel, Nolte, Lenz

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