19.09.2024 07:48
Die SWR-Serie "Die Fallers" wird 30 Jahre alt
epd "Der Schwarzwald hat eine ganz eigentümliche Mystik. Er strahlt etwas Geheimnisvolles aus und vermittelt ein erhabenes Gefühl, das die Menschen schon seit Jahrhunderten in seinen Bann zieht." SWR-Redaktionsleiter Tobias Jost klingt wie ein Reiseleiter, und rund um Furtwangen dürfte er sich in der Tat gut auskennen: Hier entstehen seit gut 30 Jahren Teile der SWR-Serie "Die Fallers". Am 25. September 1994 lief die erste Folge im Dritten Programm. Mittlerweile sind sonntags um 19.15 Uhr mehr als 1.200 Episoden über das Leben rund um den Bauernhof der Fallers ausgestrahlt worden, die Serie ist eine der dienstältesten Produktionen dieser Art im deutschen Fernsehen. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis?
Jost gehört hinter den Kulissen seit Jahrzehnten zur "Fallers"-Familie, erst als Autor und ab 2000 als Mitglied der Redaktion, die er seit 17 Jahren leitet. Langlaufende Serien, sagt er, müssten mehrere Voraussetzungen erfüllen. Entscheidend sei, dass es sich bei den "Fallers" um eine Familienserie handle: "Die Geschichten werden 'horizontal' erzählt, also ähnlich wie ein Fortsetzungsroman. Da sich Familien im Lauf der Zeit weiterentwickeln, wird uns der Stoff nie ausgehen: Die Älteren sterben irgendwann, die Nachkommen nehmen ihre Stelle ein."
In den vergangenen Jahren sind tatsächlich einige der beliebtesten Ensemblemitglieder der ersten Stunde gestorben: Peter Schell, der 28 Jahre lang den Bauern Karl Faller spielte, starb im Juli 2021 und war nach seinem Tod noch fast ein Jahr lang in der Serie zu sehen. Ursula Cantieni, die von der ersten Folge an Johanna Faller verkörperte, die Mutter von Karl und die gute Seele des Fallerhofs, hatte im Februar 2022 angekündigt, dass sie aus der Serie aussteigen werde. Johanna Faller starb in Folge 1164 am 1. Januar 2023 den Serientod, kurz nach ihrem Sohn Karl. Cantieni selbst starb im August 2023 nach schwerer Krankheit.
Bei Schell, erzählt Jost, sei die Redaktion mitten in den Dreharbeiten von dessen plötzlichem Tod überrascht worden: "Wir mussten die Geschichten so verändern, dass sie trotz des plötzlichen Verschwindens der Figuren glaubhaft blieben." Das betraf nicht nur die geplanten oder bereits abgedrehten Szenen: "Da wir in den Storylines immer schon mindestens drei Staffeln voraus sind, bedeutete dies letztlich die Umarbeitung von 24 Drehbüchern." Das sei eine Mammutaufgabe für die Redaktion gewesen, von der emotionalen Belastung durch die Verluste in der "Familie" für das gesamte Team ganz zu schweigen.
Inzwischen hat die junge Generation um Jenny Faller (Julia Obst) und Albert Guiton (Alessio Hirschkorn) den Fallerhof übernommen, Altbauer Hermann (Wolfang Hepp) hat sich auf das Altenteil zurückgezogen, aber nach dem Tod seiner Johanna noch einmal neu verliebt. Wichtig sei, dass die Figuren glaubwürdig seien, sagt Jost, damit sich die Menschen in ihnen wiederfinden können. "Dabei spielt natürlich auch das sogenannte Setting eine Rolle: Es geht nicht um die besserverdienende Großstadtelite, sondern um ganz normale Leute mit nachvollziehbaren Problemen." Probleme und Themen, die auch die Schwarzwaldbauern in der Wirklichkeit und Gemeinden im ländlichen Raum beschäftigen. Der wichtigste Punkt ist aber wohl der Handlungsort: "Der Schwarzwald ist so etwas wie ein weiterer Hauptdarsteller und unser Alleinstellungsmerkmal."
Seit 13 Jahren trägt die Serie den Zusatz "Die SWR-Schwarzwaldserie" und damit liegt der Sender im Trend: Auch Krimireihen wie der "Usedom-Krimi" und "Harter Brocken" im Ersten oder "Erzgebirgskrimi" und "Spreewaldkrimi" im ZDF werben mit dem Titelhinweis auf die jeweiligen Schauplätze. Manche Autoren nennen diese Art Filme "Postkartenkrimis" und deuten damit an, dass es in erster Linie um schöne Aufnahmen geht, weniger darum, ob das, was erzählt wird, typisch für die Region ist.
Das ist bei den "Fallers" anders. Dank der konkreten Verortung in einer bestimmten Region, behauptet Jost, "wirken Figuren und Geschichten authentischer". Gerade die ländlichen Handlungsorte spielten eine große Rolle. Serien wie "Die Fallers" würden auch von vielen Menschen gesehen, die nicht im Sendegebiet leben, dies treffe auf fast ein Drittel des Publikums zu: "Diese Menschen schauen die Serie nicht zuletzt wegen der Landschaft, die sie anspricht. Vielleicht waren sie hier schon mal im Urlaub oder haben das zumindest vor. Der Schwarzwald ist ein Sehnsuchtsort." Ein weiterer Aspekt sei das gute Gefühl, das die Geschichten vermittelten: "Konflikte sind der Motor jeder guten Handlung, aber unser Publikum hat die Gewissheit, dass es in eine Welt eintauchen kann, in der die Probleme nicht ganz so gewaltig wie in unserer derzeitigen Wirklichkeit sind. Das betrachten wir auch als unseren Auftrag."
Kaum ein Genre hat das Bedürfnis der Menschen, durch Filme oder Serien ihrem Alltag zu entfliehen, so perfekt bedient wie der Heimatfilm der 1950er Jahre. Es passt ins Bild, dass mit der Operettenverfilmung "Schwarzwaldmädel" (1951) ausgerechnet eine Geschichte aus dem Schwarzwald den damaligen Boom ausgelöst hat.
Auch das Fernsehen hat von Anfang an viel mit Regionalkolorit gearbeitet. Ein Grund dafür war die Binnenintegration, wie der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger erklärt: "Die Bundesrepublik Deutschland war ebenso wie viele ihrer Bundesländer ein künstliches Gebilde, in das außerdem die Vertriebenen aus den früheren deutschen Ostgebieten integriert werden mussten. Radio und Fernsehen sollten für ein gemeinsames Wir-Gefühl sorgen, und das funktionierte am besten über den Begriff Heimat."
Wollten die Menschen früher die Gräuel des Krieges vergessen, fliehen sie heute vor den multiplen Krisen der modernen Welt. Die Angebote auf den Sendeplätzen um 20.15 Uhr freitags im Ersten und sonntags im Zweiten sind zwar nicht mehr ganz so weichgespült wie noch vor 20 Jahren und behandeln manchmal durchaus relevante Themen, aber die Motive von Reihen wie "Daheim in den Bergen" oder "Reiterhof Wildenstein" im Ersten orientieren sich durchaus an der Tradition des Heimatfilms, wie Christoph Pellander, Redaktionsleiter bei der ARD-Tochter Degeto Film, einräumt: "Die Art der Erzählung und der Inszenierung hat sich über die Jahrzehnte zwar stark gewandelt, doch das zentrale Motiv - die Sehnsucht nach einer heilen, idyllischen Welt - ist bis heute ein wichtiger Bestandteil dieses Genres."
Die Geschichten aus der Provinz führten in vertraute Landschaften und nostalgische Orte, in denen vermeintlich alles etwas besser ist oder es am Ende etwas besser wird", sagt Pellander. Er spricht allerdings lieber vom "modernen Heimatfilm": "Wir erzählen bewusst keine eskapistischen, romantisierenden Geschichten, sondern stellen Figuren ins Zentrum, die mit realen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen haben." Dennoch beschreibe der Begriff "Heimat" in diesen Filmen "einen Ort, an dem man ankommt und angenommen wird, an dem man sich zu Hause fühlt, wo man Gemeinschaft findet oder Heilung." Der Reiz dieser Stoffe liege darin, "dass authentische Lebenswelten, traditionelle Werte und menschliche, dem Publikum bekannte Dramen in den Mittelpunkt gestellt werden."
Solche Produktionen zeichnen sich durch einen Mehrwert aus, den teure Effektespektakel aus Hollywood oder aufwendige Netflix-Serien nicht zu bieten haben: "Den Geschmack und Geruch von Heimat", wie es Hallenberger formuliert. Der Medienwissenschaftler hat von 1996 bis 2004 das deutsche Team des Forschungsverbunds "Eurofiction" geleitet. Wichtigstes Ergebnis: "In Deutschland, England, Frankreich, Italien und Spanien sind einheimisch produzierte Filme und Serien traditionell erfolgreicher als selbst die Top-Serien aus den USA, weil sie Vertrautheit vermitteln." Aus dem gleichen Grund zählten die regionalen Nachrichten zu den erfolgreichsten Sendungen der Dritten Programme: "Es geht also nicht nur um die Region als Schauplatz." Trotzdem spiele auch der touristische Blick eine wichtige Rolle.
Bis vor einigen Jahren hatten auch andere Dritte Programme eigene langlaufende Regionalserien. Heute gibt es neben den "Fallers" nur noch "Dahoam is dahoam", das seit 2007 montags bis donnerstags um 19.30 Uhr beim BR gezeigt wird. Laut Sender ist die Serie "eine der erfolgreichsten Vorabendserien in Bayern und eine der bekanntesten Programmmarken des Bayerischen Rundfunks." Im Sendegebiet erreicht die Serie aktuell im Schnitt rund 460.000 Menschen pro Folge, der durchschnittliche Marktanteil in Bayern liegt bei 15 Prozent und damit deutlich über dem Schnitt, der in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei 8,4 Prozent lag.
Die Zahlen für "Die Fallers" können sich ebenfalls sehen lassen. Im Spitzenjahr 2001 lag der Marktanteil im Sendegebiet bei über 19 Prozent; seither ist die Medienlandschaft nicht nur wegen der Streamingdienste fast exponentiell gewachsen. Der aktuelle Jahresschnitt von knapp 16 Prozent ist jedoch auch deutlich über dem Senderschnitt, der bei 6,3 Prozent liegt.
Das Publikum der "Fallers" ist im Schnitt Mitte 60, aber Jost versichert, es schauten auch viele Jüngere zu: "Einige haben die Serie früher mit ihren Großeltern gesehen und sind irgendwann zurückgekehrt." Die heutigen Episoden sähen allerdings ganz anders aus als früher: "Das Erzähltempo ist viel schneller geworden", es sei jedoch bewusst immer noch deutlich langsamer als anderswo: "Unser Publikum schätzt die langen Erzählbögen, weil sich auf diese Weise viele inhaltliche Elemente besser nachvollziehen lassen. Das Scheitern einer Beziehung erstreckt sich bei uns nicht über drei Episoden, sondern über drei Staffeln. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal."
Angesichts des enormen Sparzwangs, unter dem alle öffentlich-rechtlichen Sender stehen, stellt sich die Frage, wie lange sich die Sender ihre Regionalserien noch leisten können. Josts Redaktion hat Planungssicherheit bis 2026. Ob es danach weitergeht, sei angesichts der allgemeinen Kostensteigerungen offen, sagt er. "Die Fallers", die letzte von einem Sender als Eigenproduktion hergestellte Serie, ist mit einem Minutenpreis von rund 4.500 Euro vergleichsweise günstig. Die Kosten für die ebenfalls vom SWR in Auftrag gegebene ARD-Vorabendserie "Wapo Bodensee" zum Beispiel dürften wegen der vielen Außendrehs mehr als doppelt so teuer sein. "Die Fallers" werden zu 70 Prozent im Studio gedreht, die schönen Landschaftsaufnahmen aus dem Schwarzwald setzen nur atmosphärische Akzente.
Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Tilmann Gangloff ist freier Journalist und regelmäßiger Autor von epd medien.
Zuerst veröffentlicht 19.09.2024 09:48 Letzte Änderung: 24.09.2024 00:15
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Serien, SWR, Die Fallers, Gangloff, BER, NEU
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