Heldin auf dem Eis - epd medien

27.09.2024 07:34

Der ZDF-Film "Kati - Eine Kür, die bleibt", erzählt von zwei starken DDR-Frauen, die sich nach dem Fall der Mauer ihren Platz und den Respekt im wiedervereinigten Deutschland neu erkämpfen mussten: Die Eiskunstläuferin Katarina Witt und ihre Trainerin, die legendäre Jutta Müller.

Katarina Witt (Lavinia Nowak) triumphiert in Kopenhagen. Nun wird sie in Lillehammer bei den Olympischen Spielen teilnehmen können

epd Wer die Erzählung der deutsch-deutschen Wiedervereinigung im fiktionalen Fernsehen über die Jahrzehnte verfolgt hat, konnte zunehmende Differenzierung beobachten. Wo einst Bürger-Opfer und Stasi-Schurken säuberlich getrennt waren, gibt es inzwischen manchmal bemerkenswerte Zwiespältigkeiten. Den langen erzählerischen Atem, der Differenzierung erlaubt, hatte Annette Hess mit ihrer epochemachenden Serie "Weissensee".

Wenn nun das ZDF zum Tag der Deutschen Einheit mit "Kati - Eine Kür, die bleibt" einen Fernsehfilm zu Katarina Witts Eiskunstlauf-Comeback bei den Olympischen Spielen in Lillehammer 1994 zeigt, und ihre Trainerin Jutta Müller als vom neuen gesamtdeutschen Eiskunstlaufverband kaltgestellte persona non grata ebenfalls in den Mittelpunkt rückt, kann man Simplifizierungen befürchten. DDR-Stellvertreter-Rehabilitation. Soapige Ideologiekritik. Heldenhaftes von Erniedrigten und Beleidigten.

Nah bei den Hauptfiguren

Doch man kann Entwarnung geben und den Film empfehlen. Auch wenn nicht jeder Drehbuch-Einfall überzeugt, ist "Kati - Eine Kür, die bleibt" in vielerlei Hinsicht sehr beachtlich. Die Verbindung von Zeitgeschichte und sportlicher Comeback-Story ist geglückt. Es wird verständlich, was die zentralen Figuren motiviert, wie sie "ticken", als Privatmenschen und Personen der Zeitgeschichte gleichermaßen.

Der Film überzieht die Emotionalität nicht (was bei Sportfilmen fast unausweichlich scheint), aber er ist nah bei seinen Hauptfiguren, auch in ihren Widersprüchen und Ungereimtheiten, auch bei den Fragen nach historischer Schuld und faktischer Systemstabilisierung. Er vermeidet meist Verharmlosungen. Im Zweifelsfall schlägt er sich eindeutig auf die Seite der Sportlerin und ihrer Trainerin.

Das "schönste Gesicht des Sozialismus"

Das gut recherchierte und detailliert überlegte Drehbuch von Andrea Stoll nimmt eine für selbstverständlich genommene Eigentümlichkeit des internationalen Spitzensports auf: Bei Olympischen Spielen und anderen Hochleistungswettkämpfen treten die Athleten für ihr Land an. Sie repräsentieren sich als Einzelne, ihren Sport allgemein und ihre Nation. Sie starten also nicht nur für sich selbst, sie werden nominiert und entsandt. Zum Beispiel als Werktätige mit spezieller Planerfüllung, wie im Fall der DDR. Sie sind auch im Unrechtsregime vorbildhafte "Helden der Arbeit".

Die Frage, ob Sport politisch ist, stellt sich da nicht mehr. Im Fall von Katarina Witt, unter anderem Doppel-Olympiasiegerin, deren "Carmen"-Kür von Calgary 1988 heute noch Gänsehaut hervorruft, wurden die Zusammenhänge von Sport und Ideologie insbesondere vom Boulevard weidlich ausgeschlachtet. Während sie nach ihrem Rücktritt, der ungefähr mit dem Fall der Mauer zusammenfiel, in Amerika zum "schönsten Gesicht des Sozialismus" wurde, galt sie im wiedervereinigten Deutschland als "Eisprinzessin von Honeckers Gnaden". Es gefiel, sie politisch naiv zu finden.

Ihre Trainerin, die legendäre Jutta Müller, Mitglied der SED seit 1946 mit entsprechender Biographie, traf es noch ärger. Nach Katarina Witts Rückzug war sie - was? Enttäuscht, verbittert, erniedrigt? Jedenfalls überflüssig.

Einzigartige Trainerin

Damit wäre man bei der Besetzung, die diesen Film so sehenswert macht. Dagmar Manzel nämlich spielt Jutta Müller, und sie spielt sie sensationell, nicht nur wegen der Anverwandlung. Sie gibt ihr durchweg nachvollziehbaren, differenzierten, so widersprüchlichen wie konsistenten Charakter, als berufliche Person wie als Privatmensch. Als Katarina Witt (Lavinia Nowak) nach Jahren bei Müller hereinschneit, um ihr Comeback mit der Trainerin zu planen, sieht man die vom gesamtdeutschen Verband Kaltgestellte danach allein rauchend auf dem Balkon, während die Kamera sich immer weiter entfernt, und den Blick so freigibt auf viele gleichartige Balkons des großen Plattenbaus. Die von Müller als ungerecht empfundene Entfernung zeigt diese Szene unmittelbar (Kamera: Holly Fink).

Die familiäre Idylle mit Vati (Jörg Steinberg) und Mutti (Angela Hobrig) muss man glauben, das ist nicht besonders schwer. Das Auftauchen des amerikanischen Lovers John (Paul Cless) und sein Vorwurf des Egoismus, während Katarina sich auf den ersten Comeback-Auftritt in Frankfurt am Main vorbereitet - auch diese Eifersucht des Freundes muss man glauben. Das funktioniert weniger gut.

Dem Film gelingt es aber, die Beziehung zwischen der einzigartigen Sportlerin und ihrer nicht minder einzigartigen Trainerin im Spannungsfeld der Zeitgeschichte zu zeigen. Irgendwann liest Witt ihre Stasiakten, 27 Ordner. Sie erfährt, dass sie bespitzelt wurde, seit sie sieben Jahre alt war. Konfrontiert die Trainerin, die den Schnüfflern nahestand oder ihnen nahestehen musste, um den sportlichen Erfolg nicht zu gefährden.

Kritische Würdigung

Der "Triumph" in Lillehammer, bei dem Witt schließlich Siebte wird, aber das "Gold der Herzen" vom Boulevard verliehen bekommt, ist eher als dramaturgisch notwendiger Abschluss einer ungeheuren Willensanstrengung zu sehen, mit der sich diese Eiskünstlerin "ohne Land" 1994 stellvertretend für "überflüssige" DDR-Bürger Respekt verschaffte. Als Friedensbotschafterin des Sports hat sie noch einmal Aufmerksamkeit erzielt.

Die Entstehung der Kür mit dem Antikriegslied "Sag' mir, wo die Blumen sind" von Marlene Dietrich, Marschrhythmen und den Geräuschen einschlagender Geschosse, die Bilder aus Sarajewo, überhaupt das Symbol der Olympia-Eishalle in Sarajevo, die in den 90ern zur riesigen Leichenhalle umfunktioniert werden musste - das ist nicht ohne soapige Töne inszeniert. Für die Darstellungskunst von Dagmar Manzel und Lavinia Nowak lohnt sich "Kati - Eine Kür, die bleibt" jedoch ohne Einschränkung. Als kritische Würdigung der 2023 verstorbenen Jutta Müller wird der Film ebenfalls in Erinnerung bleiben.

infobox: "Kati - Eine Kür, die bleibt", Fernsehfilm, Regie: Mimi Kezele, Buch: Andrea Stoll, Kamera: Holly Fink, Produktion: Odeon Fiction (ZDF-Mediathek seit 26.9.24, ZDF 3.10.24, 20.15-21.50 Uhr)



Zuerst veröffentlicht 27.09.2024 09:34 Letzte Änderung: 27.09.2024 12:12

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KZDF, Fernsehfilm, Kezele, Stoll, Hupertz, NEU

zur Startseite von epd medien