Unterbelichtete Zusammenhänge - epd medien

30.09.2024 07:39

Die dreiteilige ZDF-Dokumentation "Tatort Israel" ersetzt die notwendige Analyse durch eine stilistisch ausgefeilte Ästhetik der Überwältigung und stützt damit ungewollt die Strategie der Hamas, meint Manfred Riepe.

Rafaela Treistman verlor am 7. Oktober 2023 ihren Freund

epd Am 7. Oktober 2023 drangen palästinensische Killerkommandos nach Israel ein. Mehr als 1.100 Menschen ermordeten sie vor Ort, 251 Juden wurden als Geiseln verschleppt. Da die Hamas ihre Mitschnitte des Überfalls fast zeitgleich ins Netz stellten, fand das schlimmste Massaker seit dem Holocaust unter den Augen der Weltöffentlichkeit statt.

Ein Jahr nach diesem Ereignis versuchen Daniela Völker und Shahida Tulaganova in dieser dreiteiligen Dokumentation, welche die britische Firma GTV Docs für das ZDF produzierte, eine Bilanz zu ziehen. Der erste Teil rekonstruiert die Logistik der Hamas-Kämpfer, die befestigte Grenzzäune überwanden und in nahe gelegenen Kibbuzim sowie auf dem Nova-Festival ein bislang unvorstellbares Blutbad an Wehrlosen anrichteten. Der Verschleppung von Geiseln - ein Hauptzweck dieses Überfalls - widmet sich Teil zwei. Die letzte Episode thematisiert den Gegenschlag der israelischen Armee und dessen Folgen für die palästinensische Bevölkerung in Gaza.

Schwer erträgliche Spannung

Bei der Rekonstruktion der Ereignisse versuchen die Autorinnen, die Motivationen der Konfliktparteien möglichst unvoreingenommen darzustellen. Ein Gespräch mit Verantwortlichen des Massenmordes kam allerdings nicht zustande. Weil, so Daniela Völker, der Hamas-Sprecher "den offiziellen Standpunkt der Terrororganisation darlegen" und "sich dabei - entgegen aller Beweise - vom Massaker und der Geiselnahmen von Zivilisten distanzieren" wollte.

An seiner Stelle tritt Ahmad Abdelhadi vor die Kamera. Der Vertreter der Hamas im Libanon begrüßt das Vorgehen der Hamas ausdrücklich. Obwohl der Film mit Off-Kommentaren arbeitet, bleibt Abdelhadis Apologie des Mordens unwidersprochen. Es entsteht so die schwer erträgliche Spannung zwischen Abdelhadis Rechtfertigung und den erschütternden Schilderungen der Opfer. Manche von ihnen, die mit Gas angegriffen wurden, hatten die Phantasie, sie würden wie seinerzeit ihre Großeltern im KZ sterben.

Eine Unwucht in der thematischen Aufbereitung zeigt sich insbesondere im dritten Teil. Da Teile des Gaza-Streifens im Zuge des Vorrückens der israelischen Streitkräfte zum militärischen Sperrgebiet erklärt wurden, konnte die Regisseurin Shahida Tulaganova nicht selbst vor Ort anwesend sein. Stellvertretend wählte eine palästinensische Produzentin Gesprächspartner aus und organisierte die Dreharbeiten. Gezeigt wird, wie ein Arzt und ein Medizinstudent im Al-Shifa-Krankenhaus, dem größten Hospital in Gaza, unter chaotischen Umständen Opfer behandeln, deren schwere Verwundungen durch israelischen Raketenbeschuss entstanden.

Wünschenswerte Klarheit

Dass dieses Krankenhaus mit seinen Patienten, wie viele andere auch, als menschliches Schutzschild für eine verborgene Kommandozentrale der Hamas fungierte, wird zwar nicht verschwiegen - aber auch nicht mit wünschenswerter Klarheit hervorgehoben. Ohne dass die Dokumentation es explizit machen würde, vermitteln die Bilder somit den Eindruck, dass das Vorgehen der israelischen Armee ungerechtfertigt sei.

Diese Einseitigkeit spiegelt sich in der markanten visuellen Aufbereitung dieser Dokumentation. Dank einer durchdachten Gestaltung erscheinen alle drei Teile wie aus einem Guss. Mitreißende Bilder zeigen den Gazastreifen aus der Vogelperspektive, worauf die Kamera jeweils zu den Schauplätzen hinab zoomt. Ausführlich verwendet werden dabei insbesondere jene Bodycam-Bilder, die Hamas-Terroristen selbst während ihrer Überfälle filmten, um mit ihnen gleich darauf in sozialen Netzwerken eine ähnliche Schockwirkung zu erzielen, wie man sie von den IS-Enthauptungsvideos kennt.

Diese Bilder, auf denen aus subjektiver Perspektive zu sehen ist, wie bewaffnete Mörder in Häuser eindringen, sind zwar mit Inserts gekennzeichnet. Dass die eigentlichen Grausamkeiten jeweils herausgeschnitten wurden, hat einen auf den ersten Blick nachvollziehbaren Grund: "Ich habe darauf geachtet, die Geschichte der Protagonisten so zu erzählen, dass ihr Trauma nicht noch verschlimmert wird, wenn sie den Film sehen", sagt Daniela Völker. Das betrifft etwa auch jene bereits global verbreiteten Bilder von Shani Louk, deren Schicksal die Weltöffentlichkeit am meisten schockierte. Mit dieser vermeintlich pietätvollen Verpixelung wird ein zentraler Aspekt dieses Massakers ausgeblendet: Jener entfesselte Sadismus einer ausdrücklich sexualisierten Gewalt, durch den die gesamte politische Argumentation der Hamas in Frage gestellt wird.

Politische Verwurzelung des Konflikts

Beim Rückblick auf die politische Verwurzelung jenes Konflikts, der in den Gräueltaten vom 7. Oktober gipfelt, weist der Dreiteiler somit Unschärfen auf. Dies zeigt sich bei der Verklärung der sogenannten Nakba, dem kollektiven Trauma jener "Vertreibung", die ein junger Palästinenser im zweiten Teil der Dokumentation unwidersprochen zusammenfasst: "Von den Deutschen wurden sie (die Juden) vertrieben, und wir haben sie aufgenommen. Dann haben sie angefangen, uns zu unterdrücken".

Welche Verklärung hier erfolgt, offenbart ein Seitenblick auf die Arte/ZDF-Doku "Das System Hamas" von Rainer Fromm und Saskia Weisheit, die ebenfalls zum Jahrestag des 7. Oktobers ausgestrahlt wird. Die Autoren heben hervor, dass jenen Juden, die 1945 den Holocaust überlebt hatten, schon drei Jahre später durch den Angriffskrieg der arabischen Staaten, die das soeben gegründete Israel auslöschen wollten, erneut die Vernichtung drohte. Da die Israelis gegen die Übermacht obsiegten, gerieten Palästinenser seinerzeit zwischen die Fronten.

Diese bis heute ungelöste Problematik blendet der Dreiteiler "Tatort Israel" weitgehend aus. Die notwendige Analyse wird ersetzt durch eine stilistisch ausgefeilte Ästhetik der Überwältigung, die suggeriert, dass die Bilder den Puls der Zeit einfangen würden. Filme dieser Art stützen so ungewollt die Strategie der Hamas, die darin besteht, das durch die Attacke vom 7. Oktober provozierte Leid der eigenen Zivilbevölkerung gezielt als Druckmittel einzusetzen. So bleiben in dieser Dokumentation von Völker und Tulaganova - trotz hochwertiger Ästhetik und vieler faszinierender Bilder - einige komplexe Zusammenhänge unterbelichtet.

infobox: "Tatort Israel", dreiteilige Dokumentation, Regie und Buch: Daniela Völker, Shahida Tulaganova, Gert Anhalt, Kamera: Asher Ben Yair, Danny Macgregor, Danor Glaser u.a., Produktion: G TV Docs (ZDF, 24.9.24, 20.15-21.00 Uhr und alle drei Teile bis 20.9.29 in der ZDF-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 30.09.2024 09:39 Letzte Änderung: 02.10.2024 10:57

Manfred Riepe

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Riepe, Dokumentation, Israel, KZDF, NEU

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