Unter ihren Möglichkeiten - epd medien

30.09.2024 09:37

Janneke und Brix sind Geschichte, nach 19 Folgen. In ihrem Finale am Sonntagabend flirteten die beiden "Tatort"-Kommissare des HR endlich miteinander - und flogen sogleich in die Luft, weil unter ihrem Auto eine Bombe platziert war. Heike Hupertz blickt auf neun Jahre mit dem Team zurück, das sich ihrer Ansicht nach mehr hätte entwickeln können.

Das "Tatort"-Team Janneke und Brix hat sich verabschiedet

Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch)

epd Als das neue "Tatort"-Ermittlerteam Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) am 17. Mai 2015 in Frankfurt am Main den Dienst antritt, lässt sich ein Blutbad erwarten. Denn geschrieben hat ihren ersten Fall Michael Proehl, inszeniert wurde er von Florian Schwarz. Redaktionell betreut wird der Frankfurter "Tatort"-Neustart vom Chef der berühmt-berüchtigten HR-Fernsehspielredaktion, Jörg Himstedt. Proehl, Schwarz und Himstedt haben da bereits den Wiesbadener "Tatort: Im Schmerz geboren" zu verantworten, eine Kunstblut-Gewaltaufführung.

Nun läuft mit "Kälter als der Tod" die Ermittlung der Auslöschung einer Familie am Frühstückstisch. Vater, Mutter, Sohn sind erschossen und es gibt allerhand Merkwürdigkeiten. Auffällig ist ferner ein besonderes Augenmerk auf Episodenrollen, die Wertschätzung der einzelnen Gewerke, ein Fokus auf Musik - und zwei neue Ermittlerpersönlichkeiten, die seltsamerweise nicht sonderlich skurril wirken. Die eher "Tatort"-typische Backstorys mitbringen, erst einmal gut zusammenarbeiten.

Schillernder Typ

Margarita Broich als Anna Janneke: Polizei-Quereinsteigerin aus Berlin, Psychologin, die dort als Polizeiberaterin gearbeitet hatte. Die Frau mit der Kamera, Fotografieren ist ihre Leidenschaft und die Möglichkeit, eine Abbildfunktion zwischen sich und die Welterfahrung zu bringen. Eine eher leise Kommissarin, nicht forsch, genau und beharrlich, klug auch.

Wolfram Koch als Paul Brix: Ein durchaus schillernder Typ, auf den zweiten Blick. Langjährige Erfahrung bei der Frankfurter Sitte, entsprechende Erfahrung mit Unterweltgrößen und Informanten. Wohnt zur Untermiete bei einer alten Freundin, wirkt wenig sesshaft, innerlich. Auch er ein Kommissar der Zwischentöne, einer, der sich angreifen lässt und erschüttern. Ein Suchender.

Finale als Trostpreis

Broich und Koch zusammen als Janneke und Brix: Daraus hätte viel werden können. Wurde es auch, zumindest zu Beginn. Lässt man alle 19 Fälle Revue passieren, die kunstvoll verschachtelten, die eher skurrilen Zumutungen, diejenigen, die mit Frankfurt spielten und die, die einzelne Episodenhauptrollen so stark in den Blick nahmen, dass die Ermittler fast verschwanden, zeigt sich: Besonders in den vergangenen Jahren hätten sich Brix und Janneke mehr entwickeln dürfen oder müssen.

Vielleicht ist das auch die Krux von innovativem fiktionalem Reihenfernsehen: Je verschiedener die Regisseurinnen und Regisseure und die Autoren, je verschiedener ihre Handschrift, desto weniger sind sie geneigt, Figuren weiterzuerzählen, sie weiter interessant zu machen und sich damit in die Reihe zu stellen. Künstlerische Stippvisite, das war in diesem "Tatort" Fluch wie Segen. Janneke und Brix gerieten mehr und mehr zugunsten der Fälle ins Hintertreffen.

Immerhin durfte ihr Schöpfer Michael Proehl nun auch ihren Abgang gestalten, zusammen mit Regisseur Till Endemann. Der Fall "Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh'n" ist dabei in mancher Hinsicht großartig. Endlich Romantik! Aber es ist auch hauptsächlich der Fall Matthias Brandts, der als irrer Romantikretter einen (vielmehr zwei verschiedene) große Auftritte hat. Das gemeinsame Explosionsfinale bekommen Broich und Koch als Trostpreis.

Mentalitätsikonografie und Apokalypse

Ein Finale, bei dem eine Frankfurter Brücke eine große Rolle spielt. Nicht so originell. Schon Claus Theo Gärtner ging nach seinem letzten "Fall für zwei" über die Frankfurter Brücke ins Offene. Was die Zukunft Janneke und Brix hätte bringen können, das erzählt "Es grünt so grün" unterschwellig mit. Wehmut und Sehnsucht als Ahnung und Einsicht ins Niemals-vollendet-Sein menschlicher Existenz, das prägt diesen Stoff, diese Geschichte und diese Erzählweise von Proehls Beerdigung seiner Figuren. Mehr hätte durchaus sein können. Es schalteten auch nur gut sechs Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer ein.

Vielleicht steckt ein wenig von der Wut, die den verrückten Seelenklempner Dr. Tristan Grünfels (Matthias Brandt), hier anfallsweise überkommt, auch in Proehl. Wut, dass seinen Figuren manches verwehrt blieb. Weswegen er hier nibelungenmäßig deutsche Mentalitätsikonografie in Apokalypse untergehen lässt. Weswegen sein Seelendoktor hier agiert und in Rage zerfällt wie Michael Douglas in "Falling Down". Weswegen das Drehbuch von Proehl und Dirk Morgenstern sich überhaupt ganz Richard-Wagner-Gesamtkunstwerk-artig anstellen muss.

Stichwortgeber und Erzähldynamikerhalter

Nach dem Auftakt "Kälter als der Tod" wurde es erst einmal interessanter für das Team Janneke und Brix. Im zweiten Fall, "Hinter dem Spiegel", durfte sie ihm misstrauen, in seiner Vergangenheit im Bahnhofsmilieu recherchieren. Der dritte Fall, "Die Geschichte vom bösen Friederich" (2016), war ein Highlight: Nicholas Ofczarek als entlassener Mörder, einst durch das psychologische Gutachten von Janneke ins Gefängnis gebracht, jetzt auf ihrer Spur, das war ein glänzender "Tatort".

Im fünften Fall, "Der Turm", ging es um Abbild und Wahrnehmung, Janneke verletzt im Krankenhaus, Brix draußen, beide angewiesen aufeinander, um zum Ziel zu kommen. Vom Horror ("Fürchte dich") ging es ins Verlagsmilieu ("Luna frisst oder stirbt"), einmal gar bis ins äußerste Nordhessische ("Das Monster von Kassel") und - fast eine gesamte visuell berauschende Folge lang - auf ein nachtdunkles Feld in die Wetterau.

Während manche dieser "Tatorte" - etwa die Verlagsfolge - eher schwach waren, manche eher verkopft, wie die Variation auf das Homunkulus-Thema "Kontrollverlust" mit Jeanette Hain als Bildhauerin, wurden die Gastauftritte größer und größer und Janneke und Brix scheinbar immer unbedeutender. Ermittelten am Rand so für sich hin oder fungierten als Stichwortgeber und Erzähldynamikerhalter. Für Broich und Koch, beides sehr feine Theaterschauspieler, muss das mehr und mehr unbefriedigend geworden sein.

Vergebene Liebesmüh

Martin Wuttke als Psychiater in "Leben Tod Ekstase", Hannelore Elsner in einer ihrer letzten Rollen als pensionierte Kommissarin mit offener Rechnung in "Die Guten und die Bösen": Solche hatten das Rampenlicht. Was aber durchweg blieb: Das außergewöhnliche Zusammenspiel der Gewerke, die Wichtigkeit der (sinfonischen) Musik. In "Es grünt so grün" wurde sie wieder eingespielt vom HR-Sinfonieorchester. Das ist geglückt: Wie Matthias Brandt seiner verlorenen Häuslichkeit eine neue Bühne bieten will, die Realität ignorierend, abends Schnitzel panierend, obwohl die ihn betrügende Ehefrau Rosalie (Patrycia Ziolkowska) lange schon kein Fleisch mehr isst. Wie er dazu den Schostakowitsch-Walzer Nr. 2 hört. Bevor das Melodram wieder in eine Apokalypse des Verstands umschlägt.

Haben sie nun, ach, sich sehr bemüht, tauchen lauter hochkulturelle Verweise und Zitate auf, werden dekonstruiert und zu neuen scharfkantigen Bedeutungssplittern gefügt - die Liebesmüh' dieses "Tatorts" ist fast bis zum Schluss vergebens für die Kommissare. Brandt stiehlt ihnen die Schau. Erst imaginiert er sich in eine "Wanderer über dem Nebelmeer"-Szenerie, mit Frankfurt als perspektivischem Fluchtpunkt, dann spricht ihn sein schizophrenes Ich an, kommentiert sein Sein aus dem Off. Grünfels redet als Ich, als Er, spricht sich als Du an. Beim Versuch, nachgemalte Romantikbilder zu retten, erschlägt er aus Versehen eine Ordnungspolizistin. Das bringt den Fall für Janneke und Brix ins Rollen.

Furios geschrieben und inszeniert

Es geht hoch her, Proehl lässt die Themen Revue passieren, baut sich noch einmal einen Hügel, ließe am liebsten wohl restlos alle mit Karacho untergehen. Stellvertretend besorgt das hier eine Videoinstellation, leider menschenleer, weil gerade parallel in Frankfurt Bill Viola ausstellt. Fake-Felsen, digital projiziertes Nebelmeer, plötzlich Bombeneinschläge und ein Monster, das die deutsche Seelensehnsucht niedermacht. Diese Bilder sind äußerst wirkungsvoll (Kamera: Philipp Sichler). Furios ist das geschrieben und inszeniert, furios gespielt - aber die Kommissare dürfen sich vor allem auf den Liederabend von Fanny (Zazie de Paris) freuen. Jonas (Isaak Dentler), der treue Kollege, schließt sich an.

Genau wie Caspar David Friedrich keine Menschen malen konnte und deswegen die Rückansicht bevorzugte, kann Michael Proehl keine unironischen romantischen Dialoge schreiben. Das erotische Säuseln ist jedenfalls seine Sache nicht. Zum Schluss müssen Janneke und Brix so tun, als wären sie Lauren Bacall und Humphrey Bogart - und das auch aussprechen. Kommt ein bisschen plötzlich, so nach mehr als neun Jahren. Genau wie das eigentliche Ende dieses "Tatorts", das einen, gefangen im Zitatmodus, von Herzen kalt lässt. Schade, dass diese beiden unter ihren Möglichkeiten bleiben mussten.

Heike Hupertz Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Heike Hupertz ist freie Journalistin und Autorin von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 30.09.2024 11:37 Letzte Änderung: 01.10.2024 09:41

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Tatort, HR, Janneke, Brix, Himstedt, hup, NEU

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