01.10.2024 07:05
epd Ein Film über Leben und Sterben des Alfred Herrhausen war seit mehr als 20 Jahren der innigste Wunsch von Produzentin Gabriela Sperl, und nun hat sie sich ihn erfüllt. Die vierteilige Miniserie erzählt, wie der "Herr des Geldes" in der Ära vor und während der deutschen Wiedervereinigung durch einen Bombenanschlag zu Tode kam und wie er zuvor als Chef der Deutschen Bank Weltpolitik betrieb - als Konfident von Henry Kissinger, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl. Viel stand damals auf dem Spiel, und Geld kann manches richten.
Herrhausen machte sich nicht nur Freunde, und auf dem Höhepunkt seiner informellen Macht kam der Banker am 30. November 1989 ums Leben. Die Täter wurden nie gefasst. Die RAF platzierte ein Bekennerschreiben, aber war damals die "vierte Generation" der Terrortruppe überhaupt noch fähig zu so einem High-Tech-Anschlag? Wer waren ihre Helfer? War die RAF überhaupt verantwortlich? Es gab noch andere Akteure mit starken Motiven, Herrhausen auszuschalten. Was für ein Stoff! Produzentin Sperl hatte unbedingt die richtige Nase.
Der Vierteiler ist als Thriller angelegt, und mit Pia Strietmann trat für so einen Plot die richtige Regisseurin an. In bester Erinnerung ist ihre Regiearbeit für den "Tatort: Unklare Lage" (2020), in dem sie vorführte, wie man eine Bombendrohung und die daraus resultierende Panik inszenieren muss: Das Synchrone will so gestaffelt und verschachtelt werden, dass das Publikum den Eindruck bekommt, mittendrin zu stehen. Bei "Herrhausen" gelingt Strietmann das wieder. Sie ist die Herrin des Thrillers.
Hier hat die Regisseurin auch noch einen tollen historischen Stoff: Bankenkrisen, Zusammenbruch der Sowjetunion, Mauerfall, Einstieg der Deutschen Bank in das ganz große Geschäft auf dem Wege der Öffnung für das Investmentbanking. Verhandlungen der Hauptfigur Herrhausen mit den Spitzen der Supermächte und daneben das Wirken der Geheimdienste, der CIA, des westdeutschen Verfassungsschutzes, der DDR-Stasi und schließlich der versprengten RAF-Genossen in ihren Camps in Palästina.
Natürlich gibt es Strecken im Film, in denen scheinbar niemand mehr weiß, wer gegen wen, aber das muss ausgehalten werden, denn alle Handlungsstränge laufen immer wieder in der Figur Herrhausen zusammen, von der stets ganz klar wird, wer sie zu welcher Zeit ist, was sie will und was sie riskiert.
Das führt zum Drehbuch von Thomas Wendrich - auch er wohlbekannt etwa durch seine Arbeit für den Film über den NSU "Die Täter: Heute ist nicht alle Tage" (2016), ausgewiesen mithin für politische Stoffe. Seine Dialoge in "Herrhausen" erreichen endlich mal das literarische und zugleich hoch realistische Niveau, das deutsche Fernsehfilme so oft vermissen lassen. Ferner hat er ein gutes Gespür für Dramaturgie, sofern sie die szenische Staffelung in der Gleichzeitigkeit betrifft, wie der Thriller sie braucht.
Schon vor der Ausstrahlung im deutschen Fernsehen hat "Herrhausen" auf Festivals Preise gewonnen, darunter den Drehbuchpreis bei den Series Mania in Lille. Im Übrigen ist auch die Musik (Martina Eisenreich) bei diesem Film sehr intelligent ausgewählt und eingesetzt, beginnend mit dem Song "Road to nowhere", der gleich in die späten 80er entführt.
Die Geschichte zeichnet Alfred Herrhausens letzte zwei Lebensjahre nach. Wir erleben mit, wie der Banker - glänzend gespielt von Oliver Masucci - versucht, sein "Haus", die Deutsche Bank, zu reformieren, sprich für neue Geschäftsfelder zu öffnen. Dabei stößt er auf den erbitterten Widerstand der alten Führungsriege, die immer nur sagt: "So etwas haben wir noch nie gemacht". Auf internationalen Meetings schlägt Herrhausen einen Schuldenerlass für Mexiko vor, woraufhin die alten Herren entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Trotz aller Skepsis, die dem ehrgeizigen Reformer entgegenschlägt, wird Herrhausen alleiniger Vorstandssprecher. Es gelingt ihm immerhin, das Haus für die Digitalisierung zu öffnen. Die Person, die diese Umstrukturierung durchführen soll, ist eine Frau: Ellen Schneider-Lenné (Bettina Stucky). Als Herrhausen sie im erlauchten Kreis des Vorstandes einführt, bricht die Herrenriege in prustende Heiterkeit aus. Eine Frau im Vorstand? Aber der designierte neue Chef setzt die erste Vorständin in der Geschichte der Deutschen Bank durch.
Als Reformer erkennt und schätzt Herrhausen einen anderen Reformer: Michail Gorbatschow. Der Russe braucht vor allem Geld, das muss er Herrhausen gar nicht sagen, der weiß das auch so und bespricht sich mit dem vertrauten Bundeskanzler Kohl (Sascha Nathan). Ein Milliardenkredit für die Russen? Kohl wittert Vorteile für die Verhandlungen um die deutsche Einheit und stimmt schließlich zu. Die Geheimdienste hören mit. Die Stasi ist not amused. Und in Nahost erproben deutsche Terroristen - vorneweg eine Tania Fehling, überzeugend gespielt von Lisa Vicari - einen neuen durchschlagenden Sprengstoff.
Dass Herrhausen, im Visier so vieler Mächte und Machtapparate, gefährlich lebte, wusste er und verdrängte er. Seine Frau Traudl (gewinnend wie stets: Julia Koschitz) müht sich um ein wenig bürgerlich-genüssliches Leben an seiner Seite und scheitert. In seinen Träumen - opulent inszeniert schon in der Eingangssequenz - werden Herrhausens unterdrückte Ängste vor Attentaten erschreckend Bild. Und dann zerreißt es ihn am 30. November 1989, als er gerade im Auto telefoniert. Er verblutet langsam.
Die bittere Pointe der Story dieses Films, aber auch der Wirklichkeit, die er spiegelt, interpretiert und fallweise überhöht, ist, dass bis heute niemand weiß, wer hinter dem Mordanschlag steckte. Der Film kann nur die Möglichkeiten vorweisen. In der Wirklichkeit wird man es vielleicht nie wissen. Was man dem Film zugutehalten muss, ist, dass er sich nicht in Vagheiten und Verrätselungen verliert, sondern bei aller dem Thriller-Format geschuldeten Mehrdimensionalität und Atemlosigkeit doch geradlinig bei seiner Sache bleibt und alle Karten auf den Tisch legt. Vor jeder Folge wird dieser Satz eingeblendet: "Nach einer wahren Geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann."
infobox: "Herrhausen - Der Herr des Geldes" vierteilige Miniserie, Regie: Pia Strietmann, Buch: Thomas Wendrich, Kamera: Florian Emmerich, Produktion: Sperl Film- und Fernsehproduktion, X Filme (ARD/Degeto, 1.10.24, 20.15-21.55 Uhr und 3.10.24, 21.45-23.25 Uhr sowie seit 30.9.24 in der ARD-Mediathek)
Zuerst veröffentlicht 01.10.2024 09:05 Letzte Änderung: 02.10.2024 08:47
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), KARD, Spielfilm, Strietmann, Wendrich, Sichtermann, NEU
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