Mixtape am Samstag - epd medien

02.10.2024 07:15

50 Jahre, das ist für eine Radiosendung ein geradezu biblisches Alter. Seit dem 7. Oktober 1974 schon gibt es "Klassik-Pop-et-cetera" im Deutschlandfunk. Diemut Roether ist Fan und würdigt das Format zum Geburtstag.

50 Jahre "Klassik-Pop-et-cetera" im Deutschlandfunk

Das Team von "Klassik-Pop-et-cetera" im Jahr 2023 mit Christoph Schmitz (l.) und Maria Gnann (M.) aus der Redaktion

epd Sie sollte das Kästchen-Denken in den Musikredaktionen aufbrechen, U- und E-Musik zusammendenken. So erklärt der erste Redakteur von "Klassik-Pop-et-cetera", Wolfgang Werth, das Konzept der Deutschlandfunk-Sendung. Das sei damals als Provokation empfunden worden, weil die Musikredakteure stark in ihren eigenen Genres befangen gewesen seien.

Am Anfang wurde "Klassik-Pop-et-cetera" am Montag gesendet, seit einigen Jahrzehnten ist die Sendung jeden Samstag um 10 Uhr zu hören und mit der Kennmelodie von Horst Jankowski für Hunderttausende Zuhörer zum Wochenend-Ritual geworden. Das Konzept klingt simpel: Mehr oder weniger prominente Kulturschaffende stellen in der knappen Stunde, die die Sendung dauert, die Musik ihres Lebens vor und erzählen dazu aus ihrem Leben. Heute würde man vielleicht von einer Playlist sprechen, aber Spotify gab es noch nicht, als die Sendung erfunden wurde. Damals fingen junge Menschen gerade an, sich gegenseitig "Mixtapes" zu schenken.

Man beginnt ganz oben und arbeitet sich langsam von Himmel zurück auf die Erde.

Der Schriftsteller und Verleger Jo Lendle, der die Sendung am 21. September moderierte, sagte, es sei eine "ziemlich seltsame Aufgabe", einige wenige Musikstücke herauszusuchen, "die mein Leben begleitet haben, die mich ausmachen, die zusammengenommen erzählen, wer man ist". Das sei schwerer, als es sich anhört. Er begann die Sendung mit dem ersten Satz aus der Suite für Violoncello Nr. 2 d-Moll von Johann Sebastian Bach, denn, so erklärte er: "Man beginnt ganz oben und arbeitet sich langsam von Himmel zurück auf die Erde.

Vermutlich ist Bach der meistgespielte Komponist bei "Klassik-Pop-et-cetera", denn selbst diejenigen, die wenig Ahnung von klassischer Musik haben, kennen zumindest "Air" oder das "Adagio" und spielen es. Es gibt aber auch die Verehrer, die am liebsten nur Bach spielen würden - wie Carolin Emcke, die im Jahr 2018 "Klassik-Pop-et-cetera" moderierte.

Sympathien und Antipathien

Auch für Lendle ist Bach der Größte: "Es gibt das Werk von Bach, und dann gibt es lange nichts", sagte er. In der Literatur sei das Pendant Franz Kafka. Beide verbinde, dass "sie nicht nur alles sehr toll gemacht haben, sondern auch nichts schlecht". Zwei Wochen zuvor hatte auch der Jazzmusiker Sebastian Studnitzky ganz ähnlich von Bach geschwärmt. Für ihn sei Bach so etwas wie die Bibel: Die Musik von Bach sei nichts, was ein Mensch erfunden habe, sondern etwas, das die Menschen "entdeckt" hätten - wie die Mathematik.

Der große Reiz von "Klassik-Pop-et-cetera" besteht auch darin, wie Künstlerinnen und Künstler über die Musik sprechen, die sie spielen, was sie mit ihr verbinden und was sie dadurch über ihr Leben erzählen. Man entwickelt beim Hören ungeahnte Sympathien und Antipathien und stellt verblüfft fest, dass die Stimme und Sprechweise des Jazzmusikers Studnitzky an Harald Schmidt erinnert. Oder man entdeckt Querverbindungen zwischen den Gästen wie zwischen Lendle und Studnitzky. Oder man ist maßlos enttäuscht, weil die Autorin Emcke, die Sendung so gründlich missverstanden und viel zu viel doziert hat.

Gratwanderung zwsichen Prätention und Banalität.

Es scheint sogar eine kulturwissenschaftliche Bubble zu geben, die sich über die Sendung austauscht und die Musikauswahl sowie die Ansprechhaltung bewertet. So schrieb Matthias Warkus in einem Artikel mit dem Titel "Distinktion zum Frühstück" bei "54books", die Sendung biete "die Möglichkeit, Menschen anhand der Art, wie sie meinen, als repräsentative Angehörige einer kulturellen Elite öffentlich über ihre je eigene Einstellung zu Musik reden zu sollen, untereinander zu vergleichen und zu ordnen".

In den Augen von Warkus gibt es für die meisten Kulturschaffenden - mit Ausnahme der Musiker - ziemlich viele Fettnäpfchen, in die sie bei der Gestaltung der Sendung treten können. Es sei eine "Gratwanderung zwischen Prätention und Banalität". Über die Musikauswahl von Sophie Passmann schreibt Warkus, sie sei "geradezu streberhaft perfekt" gewesen.

Nun ja. Man kann "Klassik-Pop-et-cetera" aber auch einfach als Unterhaltung beim Frühstück am Samstagmorgen hören und sich freuen über interessante Gäste, anregende Erzählungen und gute Musiktipps. Und man kann mit der Sendung das Live-Radio wieder lieben lernen, denn nach der Ausstrahlung steht die Aufzeichnung nur eine Woche in der Audiothek.

infobox: Im Jubiläumsjahr hat der Deutschlandfunk zahlreiche Sendungen mit legendären Gästen wie Udo Lindenberg, Nina Simone und Yehudi Menuhin wiederholt. Am 4. Oktober wird in Köln eine Jubiläumsshow vor Publikum aufgezeichnet. Gastmoderator ist der Schauspieler Wotan Wilke Möhring. Die Aufnahme ist am 5. Oktober um 10 Uhr im Deutschlandfunk zu hören.

Diemut Roether Copyright: epd-bild/Heike Lyding Darstellung: Autorenbox Text: Diemut Roether ist verantwortliche Redakteurin von epd medien.



Zuerst veröffentlicht 02.10.2024 09:15

Diemut Roether

Schlagworte: Medien, Hörfunk, Radio, Deutschlandfunk, Musiksendung, Journal, Roether

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