04.10.2024 08:09
epd Wer in den 1980er und 90er Jahren an die Küste der Normandie reiste, konnte dort, besonders rund um Bayeux, Arromanches oder Omaha-Beach, neben üblichen Strandurlaubern oft britischen, amerikanischen oder kanadischen Veteranen begegnen. Diese zog es im Alter zur Region ihres jugendlichen militärischen Extremeinsatzes und ihres damaligen Überlebens mit triumphalen, aber auch schmerzhaften Erinnerungen. Am D-Day, dem 6. Juni 1944, begann dort in eigens kurz vorher errichteten Hafenanlagen die so riskante wie minutiös geplante Invasion der Alliierten. Von hier aus drangen sie durch die Normandie und Frankreich ins weitere Westeuropa vor, und dies mit dem Ziel der Niederlage Deutschlands und zugleich der Befreiung von der Nazidiktatur.
Von Anfang an feierten gerade Einwohner kleiner Orte der Normandie die Befreiung durch die Alliierten mit lokalen szenischen Vorführungen, später schlossen sich die Veteranen mit ihren Treffen dem gerne an. Das größte dieser Feste fand zum 50. Jahrestag des D-Days 1994 statt, und dies mit spektakulärem Aufgebot historischer Ausrüstungen, Militärfahrzeuge, Last- und Krankenwagen, zudem in Anwesenheit von Queen Elizabeth und US-Präsident Bill Clinton sowie weiterer Politprominenz und Zeitzeugen internationaler Herkunft.
Bei diesem Anlass sammelte der in Frankreich lebende deutsche Regisseur und Autor Ulrich Lampen Originaltonaufnahmen: Maschinengeräusche, Hubschrauberbrummen, Motorenlärm, Sounds von Reenactments, Wellenschlagen, Meeresrauschen, Glockenläuten. Beeindruckend durchzieht sein Hörstück Musik kontrastreicher Stilrichtungen und Klangfarben. Wiederholt bestimmen und bewegen es Märsche und Swing, die Aufbruchsstimmung der Marseillaise und die Choralklänge der englischen Nationalhymne.
Dazwischen faszinieren markante Ausschnitte französischer und englischer Reden, in denen es um "la liberté retrouvée" oder um "liberty restored" geht, aber auch spontane lebhafte Gespräche schlendernder Besucher verschiedener Sprachen und Generationen. Punktuell belebt das Rufen oder Jauchzen von Kindern die Szenen, oder das befriedigte Auflachen alter Freunde, die sich wiedertreffen und ihre vielleicht regelmäßigen oder vor Jahrzehnten abgebrochenen Gespräche fortsetzen.
Dementsprechend hat Lampen nun erst 30 Jahre nach dem 50-jährigen Gedenkfest zur "Operation Overlord" seine Jubiläumsaufnahmen von damals montiert. Durch den historischen Abstand haben sie eher noch gewonnen. Denn nachdrücklich und vielschichtig ist hier zu hören, wie eine wichtige Tradition lebendig bleibt. Lampens rundum signifikante Field Recordings repräsentieren Kontinuität im Wechsel von Zeiten und Generationen. Dies geschieht teils beim fröhlichen Volksfest mit Nostalgiemarkt und Versteigerung von Requisiten und Relikten, teils bei Requiemsequenzen mit Erinnerungsritualen für die vielen jungen Soldaten, die ihr Leben 1944 verloren haben.
Lampens O-Ton-Dokumentation lässt bewusst und klar Lücken. Hier geht es weder um die komplexe Vorgeschichte alliierter Invasionspläne und Absprachen mit der sowjetischen Seite, noch um die genauen militärischen Strategien der Landung, noch um das folgende Vorgehen der westlichen Alliierten bis zum Ende des Krieges. Lampen konzentriert sich vielmehr stilsicher, klug und konsequent allein auf akustische Wahrnehmungen und Verlautbarungen beim Jubiläumsfest in der Normandie. Er hat den Mut, die Vielfalt und den Einklang der Stimmen und Sounds eines regionalen Schauplatzes zu vergegenwärtigen, dem ein einmaliges Ereignis welthistorische Bedeutung gab.
infobox: "Operation Overlord - Die Normandie und der D-Day", Hörspiel, Technik, Mix und Realisation: Ulrich Lampen (SWR Kultur, 22.9.24, 0.00 Uhr-0.50 Uhr und seit 21.9.24 in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 04.10.2024 10:09
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KSWRKultur, Lenz, Hörspiel
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