Vertane Chance - epd medien

06.10.2024 13:00

Machtmissbrauch, Verrat und Rache - das Format "Der Fall Rigo" der ARD überführt zentrale Themen aus Verdis Oper "Rigoletto" im True-Crime-Stil in die Gegenwart. Die Musik bleibt dabei allerdings auf der Strecke.

Vater Rigo (Michael Kessler) und Tochter Gilda (Lea Zoë Voss) sind ein Herz und eine Seele

epd In Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters findet sich wenig Schmeichelhaftes aus der Rezeptionsgeschichte über Verdis Oper "Rigoletto". Bei dem unbestreitbaren musikalischen Talent des Komponisten sei es doch sehr bedauerlich, dass die Schönheit der Musik für eine derart "ekelhafte Geschichte" vergeudet werde, lautet ein historisches Kritikerurteil. "Ekelhaft" bezog sich vor allem auf die Charaktere: Das Libretto führt in die Welt einer verkommenen, amoralischen, skrupellosen Hofgesellschaft. Ihr gegenüber stehen nicht minder hinterhältige, asoziale, verkrüppelte Wesen, die am Rande der Gesellschaft Schandtaten begehen.

Kurzum: Diese Story passte einfach nicht in die damals gängige Opernwelt. Den Siegeszug "Rigolettos" zu einer der meistgespielten italienischen Opern verhinderte diese Kritik freilich nicht. Inzwischen ist es sogar die Geschichte allein und weniger die Musik, die Kreative zur Neuinterpretation reizt, was man sich aktuell in der ARD-Mediathek anschauen kann.

Abgehalfterter Comedian

Im Auftrag von ARD-Kultur, dem öffentlich-rechtlichen Portal für alle Kulturdisziplinen, wurde aus Verdis Erzählung ein fiktionales, pseudo-dokumentarisches Schauerstück gemacht und im modernen True-Crime-Stil in unsere Zeit überführt, zwar mit großzügigem Abstand zum Original, aber unter Beibehaltung ihrer Ekelhaftigkeit. Machtmissbrauch, Verrat, Rache - von all dem erzählt auch "Der Fall Rigo".

Aus Verdis buckligem Hofnarr Rigoletto ist hier der abgehalfterte Comedian Rigo mit markanter Gesichtsnarbe geworden, der mithilfe eines zwielichtigen Agenturchefs ein Comeback in den sozialen Medien versucht. Für Likes haut Rigo die ekelhaftesten Witze raus, Hate-Speach-Alarm ist ihm egal. Da ist seine Zunge genauso böse wie die seines Opernvorbilds Rigoletto.

Gespielt wird Rigo passenderweise vom Comedian Michael Kessler, dem das bühnentaugliche Overacting aus "Switch Reloaded"-Zeiten in Fleisch und Blut übergegangen ist. Ebenso wie in der Oper stirbt Rigos Tochter Gilda (Lea Zoë Voss) in dieser filmischen Neuinszenierung durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse, wobei sie nicht als Leiche im Sack endet, sondern im Bett von Rigos Manager. Wie kam sie dahin?

Proseminar zu journalistischer Ethik

Gildas Tod ist Anlass für die Reporterin Franziska (forsch-nüchtern: Viktoria Ngotsé), die Hintergründe für ihr Medien-Magazin "Aufgedeckt", nun ja, aufzudecken. Ihre Recherchen bilden den Rahmen für die Rigo-Story. Man sieht, wie sie in einem abgedunkelten Studio mit ihrem Cutter Roman (Denis "Marshall" Ölmez) das Netz durchforstet, wie sie Wegbegleiter interviewt, wie sie auf einem Parkdeck dynamisch auf die Kamera zugehend Aufsager für ihr Presenter-Magazin macht.

Und man ist nicht zuletzt dabei, wie sie die Rigo-Berichterstattung des Boulevard-Magazins "Flash News" medienkritisch zerpflückt. Fast wähnt man sich in einem Proseminar zu journalistischer Ethik, wenn Franziska also ihren Cutter bei der Sichtung des "Flash News"-Materials aufscheucht mit den Worten: "Das muss alles raus, das sind alles Spekulationen." Und damit meint: Wir spekulieren und skandalisieren nicht. Wir sind die Guten.

Den klassischen Opernstoff um eine Auseinandersetzung mit unserer modernen Medienwelt zu erweitern - kann man machen. Sollte man vielleicht auch angesichts all der (Pardon für die Wortredundanz) Ekelhaftigkeiten im Netz, durch die man nur mit Medienbildung unbeschadet hindurchkommt. Es war auch von den Machern absolut clever, im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie Prominenz wie den RTL-"Bachelor" Niko Griesert (als Rigos Netzshowgast) und den Deichkind-Musiker Ferris MC (als Mörder Sparafucile) ins True-Crime-Spiel zu holen. Bleibt nur die Frage: Was hat Rigoletto davon?

Nichts für Verdi-Liebhaber

Werden jetzt Opernbanausen, angefixt von "Der Fall Rigo", in Scharen zum Live-Event in die Häuser strömen? Das bleibt wohl Wunschdenken (sofern man bei ARD Kultur überhaupt daran gedacht hat). Oper ist ja nicht nur Story, ist nicht nur Text und Moral. Oper lebt von der Musik, die Emotionen trägt und verstärkt. Aber sie kommt in dieser sehr textlastigen Adaption eindeutig zu kurz.

Dabei hat gerade Verdi Smash Hits für die Ewigkeit komponiert. Ein "La donna è mobile", die berühmte Arie des Herzogs von Mantua aus dem dritten Akt (auch bekannt als Choco-Crossies-Werbe-Hymne "Oh, wie verführerisch…"), wird hier einmal kurz laut aufgedreht und dann auch noch an unpassender Stelle. All die anderen mitreißenden Melodien aus der Oper taugten den Machern allenfalls als Klangteppich für ihre Message. Sie werden abwechselnd mit smoothem Klavierklimpern und Rap-Beats eingespielt. Liebhaber von Verdis Musik kommen hier nicht auf ihre Kosten. Oder sie werden erst gar nicht dazu. Das ist eine vertane Chance.

infobox: "Der Fall Rigo", 39-minütiges Social-Media-Drama, Regie: Matthias Bollwerk, Buch: Floris Asche, Kamera: Marius Macarei, Produktion: Hawkins & Cross Media (ARD-Kultur, bis 25.9.25 in der ARD-Mediathek)



Zuerst veröffentlicht 06.10.2024 15:00 Letzte Änderung: 07.10.2024 09:10

Senta Krasser

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Rigo, Krasser, NEU

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