11.10.2024 07:20
epd Es ist schon erstaunlich: Da gibt sich ZDFneo Mühe, nach allen Regeln der Kunst des Vampirgenres eine Serie vorzulegen, die sich wirklich nicht verstecken muss vor der internationalen Streamer-Konkurrenz, und das V-Wort taucht kein einziges Mal auf, zumindest nicht in der ersten Hälfte. Die achtteilige Blutsaugererzählung spielt in der Bankenmetropole Frankfurt am Main, im Hier und Heute. Die Rede ist stattdessen von "Monstern", "Tieren", "Bestien", "Parasiten", einem "teuflischen Fluch". Dennoch erfüllt "Love Sucks" die Anforderungen an das Genre gänzlich.
Regie, Kamera, Ton, Licht, Ausstattung, Maske, SFX: Sie alle greifen tief in die Vampirtrickkiste. Nebel wabert, House-Beats wummern, Feuer lodert, Blitze zucken, Zähne blitzen. Nicht zuletzt: Blut, Blut, überall Blut. Es klebt an Mündern, es tropft von Körpern, es spritzt im Boxring, es sickert in Perserteppiche. Und es lagert säuberlich abgefüllt in Beuteln mit Kanülen im Side-by-Side-Kühlschrank, griffbereit für den Durst zwischendurch. Orgiastische Sex-und-Splatter-Partys, mit der die Serie in einen achtteiligen Blutrausch einsteigt, können moderne Vampire ja nicht täglich feiern. Auch sie müssen mit der Zeit gehen - wobei diese an ihnen, anders als bei uns Sterblichen, keine äußeren Spuren hinterlässt.
Benjamin und Theobald von Greifenstein, dem zentralen, ungleichen Brüderpaar in dieser Geschichte, sieht man nicht an, dass ihr Geburtsdatum irgendwann vor der Französischen Revolution liegt. Sie reden zwar manchmal geschwollen-dünkelhaft daher wie anno dunnemals, es "deucht" ihnen und sie begehen "Torheiten". Aber die Schauspieler Damian Hardung (der sexy Boy aus dem irre erfolgreichen Internatsschmonz "Maxton Hall") und Rick Okon (der schön traurige Kriminalhauptkommissar a.D. aus dem Dortmunder "Tatort") geben den "weirden Vögeln" ein sehr heutiges und vor allem sehr attraktives Gesicht. Bricht der Tag an, legen sie sich entweder schlafen oder setzen zum elegant schwarzen Zwirn die ikonischen Sonnenbrillen aus den "Matrix"-Filmen auf. Nachts frönen sie dem Hedonismus, der insbesondere bei Theo in hemmungslosen Vampirismus eskaliert. Oder wie er sagen würde: Er spürt das Leben.
Zur schrecklich netten Familie, die standesgemäß eine Villa in parkähnlicher Umgebung bewohnt, gehört Katharina von Greifenstein, die von Anne Ratte Polle herrlich streng gespielte Mutter der Brüder und eine erfreulich moderne Frau. Sie ist nämlich von Beruf Geschäftsfrau, CEO der New Dawn Care AG, die in einem der Frankfurter Glastürme residiert. "Care" ist ein guter Witz. In Katharinas Firma lassen sich Menschen freiwillig Blut abzapfen, vermeintlich für die Krebsforschung. Dabei liefern sie nur Nachschub für den privaten Konsum der Greifensteins. Vampirismus einmal von der anderen Sorte, was für eine originelle Business- und Drehbuch-Idee!
Ist das ein Schrei nach Liebe, Theobald?
Katharina ist jedenfalls sehr erzürnt, als sie erfährt, was ihre Jungs, die selbst keinem Broterwerb nachgehen, nachts zuvor getrieben haben. Seit fast 300 Jahren reiße sie sich den Arsch auf, damit ihre Kinder sicher sind "vor diesen Menschen da draußen", schimpft die Mutter, "und du hast nichts Besseres zu tun, als alles zu ruinieren. Jahr um Jahr, immer wieder. Ist das dein Schrei nach meiner Liebe, Theobald?"
Ja, Liebe, die spielt in "Love Sucks" tatsächlich eine große Rolle. Im Kern ist es eine tragische wie kitschige Liebesgeschichte, eine Variation von Romeo und Julia, in der das Schicksal die Sprösslinge zweier traumatisierter Familien zusammenführt, natürlich mit dramatischen Konsequenzen. Der Romeo in "Love Sucks" ist Ben und Zelda Zoris (sportlich-fit: Havana Joy Josephine Braun) seine Julia. Während er mit seinem unsterblichen Vampirleben hadert und sich am liebsten mit seiner dahinsiechenden Geliebten Elisabeth (Eveline Hall) in Kunstmuseen herumtreibt, entstammt sie einer irdisch-echten Schaustellerfamilie mit osteuropäischem Migrations- und erzkatholischem Glaubenshintergrund, die ihr Geld mit Kirmesboxen verdient.
Erst nach und nach erfährt Zelda (und dementsprechend auch der Zuschauer) vom Familiengeheimnis, das ihren Vater (Stipe Erceg) und Bruder (Dennis Scheuermann) zum persönlichen Rachefeldzug treib. Seither jagen die Zoris-Männer Vampire. Nicht mit Silberkreuzen und Knoblauch, "alles Blödsinn", sagt Zeldas Vater. Nur von Hand geschnitztes spitzes Holz, das tief ins Vampirherz gepflockt wird, bringt Erlösung von der Plage. So weit ist "Love Sucks" dann doch traditionell und archaisch.
Und wie es in Liebesgeschichten gute Tradition ist, fängt auch diese hier mit einem besonderen Moment an: Ben boxt sich buchstäblich in Zeldas Herz und vice versa. Damit das wirklich auch jeder und jede kapiert, wird ihr Magic Moment in Zeitlupe zelebriert. Kitsch as Kitsch can. Nur zu erzählen, welche Hindernisse das Liebespaar überwinden muss, reichte wohl nicht aus. In "Love Sucks" kommt noch ein (obligatorischer, aber eigentlich überflüssiger) Krimi-Strang mit einer Kommissarin vor. Man hat es eben mit einer deutschen, öffentlich-rechtlichen Serie zu tun.
Bei allem Fokus auf den unbestreitbar tollen Schauwert vergisst die Serie zum Glück nicht, ein bisschen tiefer zu graben hin zu den existenziellen Fragen: Ist Unsterblichkeit ein Segen oder ein grausamer Fluch? Welchen Wert hat das Leben überhaupt, wenn es nicht begrenzt ist? Zählen wenige Momente des Glücks mehr als eine Ewigkeit in Einsamkeit? Und wie endlich ist die Liebe selbst? So etwas holt auch jene Leute ab, die Vampirserien normalerweise nicht gucken.
infobox: "Love Sucks", achtteilige Fantasy-Serie, Regie: Andreas Prochaska, Lea Becker, Head-Autor: Marc Seng, Kamera: Julian Krubasik, Produktion: Studio Zentral, U5-Filmproduktion (ZDF-Mediathek, ab 11.10.24 sowie am 31.10.24, 20.15-21.50 Uhr, 1.11.24, 20.15-21.45 Uhr und 2.11.24, 20.15-21.10 Uhr auf ZDFneo)
Zuerst veröffentlicht 11.10.2024 09:20
Schlagworte: Medien, Fernsehen, Kritik, Kritik.(Fernsehen), Love Sucks, Krasser
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