Postmigrantische Identität - epd medien

18.10.2024 08:10

Die ARD-Serie "Made in Germany" erzählt Geschichten von jungen Menschen aus der zweiten Migrantengeneration. Berlin spielt hier die siebte Hauptrolle.

Ani (Maria Mai Rohmann), Coumba (Vanessa Yeboah) und Jamila (Paula Julie Pitsch) schlagen sich mit twentysomethingtypischen Problemen rum

epd Ani (die eigentlich Anh Nghi heißt), Jamila, Coumba, Zehra, Mo und Nikki leben im Berlin der 2020er Jahre und sind mehr oder weniger eng miteinander befreundet. Sie sind Anfang bis Mitte 20 und schlagen sich mit den üblichen Coming-of-Age-Themen wie Liebe und Sexualität, berufliche Zukunft, Auseinandersetzungen mit den Eltern, Partys und berlintypischen Problemen wie Wohnungsmangel und Mietwucher herum. Darüber hinaus verbindet sie auch ihre postmigrantische Identität, und um die geht es hier besonders.

Die sechs Teile der Serie stellen jeweils eine Person in den Mittelpunkt: Studentin Ani (Maria Mai Rohmann) zieht notgedrungen bei ihrem vietnamesischen Vater ein, der als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen war und jetzt versucht, sein kleines Restaurant über Wasser zu halten. Die selbstbewusste junge Frau fühlt sich als Deutschvietnamesin zwischen beiden Welten.

Shitstorm aus der eigenen Community

Jamila (Paula Julie Pitsch) beschleicht das unangenehme Gefühl, dass sie von Ben eher wegen ihrer jamaikanischen Wurzeln gedatet wird ("Ich bin keine exotische Frucht") - und muss feststellen, dass ihre deutsche Mutter ihren Vater damals auch "reizvoll exotisch" fand. Zehra (Beritan Balci) kämpft in ihrer alevitischen Familie um Anerkennung ihres lesbischen Comingouts.

Coumba wiederum (Vanessa Yeboah) fällt aus allen Wolken, als sie als Schwarze Influencerin Teil der Werbekampagne eines umstrittenen Konzerns wird, der gern mit einer Frau mit Kopftuch Diversität demonstrieren will und plötzlich einen aktivistischen "Blackwashing"-Shitstorm aus der eigenen Community (darunter auch ihr Bruder) erntet. Dabei wollte sie nur anderen Mädchen wie der Nachbarstochter, die wegen ihres Kopftuchs in der Schule gemobbt wird, als role model Mut machen.

Mo (Mohamed Kanj Khamis) schmeißt kurz vor dem Abschluss sein BWL-Studium. Vor allem, damit er nicht mit seinen kurdischen Eltern in deren alte Heimat zurückmuss, die schließlich nicht die seine ist, aber auch, weil er viel lieber Filme machen möchte. Und Nikki (Daniil Kremkin), Sohn belarusssischer Einwanderer, wird erst durch eine Sommerliebe mit der jüdischen Amerikanerin Maya mit seiner jüdischen Identität konfrontiert, die von den Eltern niemals gelebt wurde.

Von der Crew bis zur Besetzung fließen postmigrantische Biografien und Erfahrungen ein.

Den Autorinnen und Autoren ging es darum, "eine zeitgemäße Identitätsfindung junger Menschen, die der zweiten Migrant:innengeneration angehören", zu thematisieren, "also ‚Made in Germany‘ und doch biografisch anders als die Mehrheitsgesellschaft", schreibt die ARD im Presseheft. Und: "Authentizität steht bei der Anthologie an erster Stelle. Von der Crew bis zur Besetzung fließen deshalb postmigrantische Biografien und Erfahrungen ein."

Das gelingt durchaus, allerdings bringt die gewählte Form ihre Probleme mit sich. Das Geringste ist, dass manche Dialoge hölzern geraten und die schauspielerische Leistung nicht immer überzeugt. Gravierender ist, dass die Reduzierung auf sechs 45-minütige Filme die verhandelten Themen so stark komprimiert, dass darüber differenziertere Figurenzeichnungen und das Ausloten der Komplexität der Themen auf der Strecke bleiben. Man kann damit leben, dass die Handvoll auftretender "Biokartoffeln" überaus klischeehaft rassistisch daherkommen (als Anmacher mit dämlichen Sprüchen im Club, potenzieller Vermieter oder Typ im Gesundheitsamt) - aber spätestens bei der durchweg flach gehaltenen Zeichnung der Eltern vermisst man mehr Tiefgang.

Zwischen Humor, Melancholie und Lakonie

Die Stringenz führt auch zu erzählerischen Problemen: Muss Maya bei ihrem ersten Besuch bei Nikkis Familie tatsächlich so aufdringlich nachforschen, warum die Mutter ihren Sohn nicht "jüdisch erzogen" hat und die jüdischen Traditionen nicht praktiziert? Und ist ausgerechnet das Sterbebett des Vaters der geeignete Ort, an dem Zehra von der Familie die Akzeptanz ihrer lesbischen Beziehung fordert? Sicher, eine gewisse Selbstgerechtigkeit und Egozentrik mag typisch für ein Alter sein, in dem es um Selbstfindung geht - aber das scheint dann doch etwas dick aufgetragen.

Filmisch überzeugen am meisten die Episoden um Mo und Nikki, die eine schöne, eher stille Tonalität irgendwo zwischen Humor, Melancholie und Lakonie finden - vor allem, wenn die beiden miteinander reden. Durchaus authentisch ist die Sprache dieser Twentysomethings, ein typisches Denglisch und auch die siebte heimliche Hauptdarstellerin, die Stadt Berlin, wird hier von einer angenehm realistischen Seite irgendwo zwischen Schlesischem Tor und Plattenbau gezeigt.

So verständlich das Anliegen der Autorinnen und Regisseure ist: Vielleicht wäre es überzeugender, wenn die ARD Menschen wie Ani, Coumba und die anderen nicht nur in Beiträgen wie dieser Anthologie zum "biografischen Anderssein als die Mehrheitsgesellschaft" präsentieren würde, sondern ganz selbstverständlich in allen ihren Produktionen: als Teile einer facettenreichen Gesellschaft, die längst bunter ist als viele wahrhaben worden.

infobox: "Made in Germany", sechsteilige Serie, Regie und Buch: Anta Helena Recke, Duc Ngo Ngoc, Ozan Mermer, Raquel Stern, Buch: Bahar Bektas, Duc-Thi Bui, Naomi Bechert, Sharon Ryba-Kah, Kamera: Mariel Baqueiro, Meret Madörin, Produktion: Studio Zentral, Hyperbole (ARD/Degeto/One, 11.10.24, 22.30-2.00 Uhr, ARD-Mediathek seit 4.10.24)



Zuerst veröffentlicht 18.10.2024 10:10

Ulrike Steglich

Schlagworte: Medien, Fernsehen, Streaming, Kritik, Kritik.(ARD), Serie, Recke, Duc, Mermer, Stern, Bektas, Duc-Thi, Bechert, Ryba-Kah, Steglich

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