19.10.2024 09:40
epd Das Hörspiel beginnt suggestiv mit Sounds, die Aufbruch signalisieren. Knatternder Motorradlärm mündet in mitreißende Disko-Musik von Raphael Hénard. Wer wollte da noch den Medizinstudenten Michael (Philip Froissant) hindern, am Freitagabend im Münchner Nachtclub Café Willkür seine jüdische Clique zu treffen? Seine Mutter versucht es. Sie warnt ihn vor Gefahren. Spielt sich hier eine Standardsituation ab zwischen besorgten Eltern und Heranwachsenden, die ihr Vergnügen suchen?
Die Angst von Michaels Mutter hat, wie sich zeigt, tiefere Gründe. Als Überlebende des Holocaust, die viele Angehörige verlor, ist sie traumatisiert. Das Stück spielt Anfang der 70er Jahre, sie warnt Michael vor palästinensischen Terroranschlägen gegen Juden. Er kennt ihr Trauma, er ist damit aufgewachsen und weiß, dass es immer wieder einmal aus aktuellem Anlass erwacht. Doch ebenso gewohnheitsmäßig und gewitzt behauptet Michael sich dagegen. Er genießt gerne furchtlos seine Jugend und braust davon.
Im Nachtclub hat er Glück. Der temperamentvollen, rothaarigen Ulla (Katharina Stark) ist der dunkellockige Student schon vorher dort aufgefallen. Nun kommt sie auf ihn zu, interessiert sich für sein Leben und seine Nationalität. Er lässt durchblicken, dass er Jude ist. Als weltoffene Mitarbeiterin eines Reisebüros findet sie das interessant, ist jedoch fern davon, die Tragweite dieser Herkunft zu bedenken. Spontan nimmt sie ihn eines Nachts aus dem Club heimlich mit nach Hause in die enge Wohnung, in der Eltern und Oma schlafen. Kein Wort fällt beim Sex in Ullas Zimmer, den allein kontrapunktische Klaviersequenzen markieren. Nicht erwähnt wird, wie und wann Michael die Wohnung verlässt. Überhaupt erzählt Dana von Suffrin in diesem Hörspiel souverän verknappt und lückenhaft.
Nachträglich legt eine antisemitische Schimpforgie von Ullas Mutter (Judith Toth) Rückschlüsse auf ihre Begegnung mit Ullas neuem Freund nahe. Zwar nennt sie den jungen Mann einen wohl "anständigen Kerl", erregt sich aber über die Beziehung ihrer Tochter ausgerechnet zu einem Juden und rechnet gleich noch grundsätzlich mit allen Juden ab, die immer noch auf ihre Leiden in der Nazizeit fixiert seien. Statt "einen Schlussstrich zu ziehen", beschuldigten sie fortwährend auch "normale" Deutsche, ohne doch deren Kriegswunden zu berücksichtigen. Ulla ist immun gegen solchen Antisemitismus, widerspricht kühl und kündigt an, die elterliche Wohnung verlassen zu wollen.
Doch ihre Pläne, mit Michael zusammenzuziehen, stoßen bei ihm nicht auf Gegenliebe. Er versichert ihr, dass er sie und ihre Eigenwilligkeit bewundert, dass er aber im Kontakt mit ihr erst gemerkt hat, wie sehr er selbst neben Autonomie auch Traditionen seiner Herkunft braucht wie den in Leiden gewachsenen Zusammenhalt unter Juden, der ihr fremd ist. So gehört es zu seinem Alltag, bei seinen Eltern zu wohnen, sich gelegentlich mit seiner Mutter auseinanderzusetzen und an mehreren Abenden der Woche im Bistro des Vaters (André Jung) zu arbeiten, in einem Treffpunkt von Juden in München. Vielleicht will er bald nach Israel ziehen.
Anders als mit ihrem melodramatischen und oft kunterbunten, manchmal skurrilen jüdischen Familienroman "Otto" (2019), aus dem der BR 2021 ebenfalls ein Hörspiel machte, entwirft die Münchner Autorin Dana von Suffrin hier ein schnörkellos einfaches Stück. "Unter uns" ist eine paradoxe Beziehungsgeschichte: Ein junger Mann verliebt sich, lernt jedoch durch die andersartige junge Frau sich selbst so gut kennen, dass er mit ihr Schluss macht.
infobox: "Unter uns", Hörspiel, Regie: Christiane Huber, Buch: Dana von Suffrin, Musik: Raphael Hénard (Bayern2, 3.10.24, 15.05-15.50 Uhr und in der ARD-Audiothek)
Zuerst veröffentlicht 19.10.2024 11:40
Schlagworte: Medien, Radio, Kritik, Kritik.(Radio), KBR, Hörspiel, Huber, von Suffrin, Lenz
zur Startseite von epd medien