Reflexionsräume öffnen - epd medien

20.10.2024 08:50

Der ZDF-Fernsehfilm "Ich bin! Margot Friedländer" und das DLF-Feature "Arschlochmama" sowie sechs weitere Produktionen wurden am 8. Oktober in Hamburg mit dem Robert Geisendörfer Preis der evangelischen Kirche ausgezeichnet. Die Jury Allgemeine Programme tagte am 3. Mai in Mainz unter dem Vorsitz des Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau, Volker Jung. Sie vergab insgesamt sechs Preise für Radio-, TV- und Online-Produktionen und den Sonderpreis an den RTL-Journalisten Peter Kloeppel. Heike Hupertz berichtet aus der Jury Allgemeine Programme.

Aus der Geisendörfer-Jury Allgemeine Programme

Margot Friedländer mit der Schauspielerin Julia Anna Grob, die in "Ich bin! Margot Friedländer" die junge Margot spielt

epd Manche sagen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei überflüssig geworden. Viele finden ihn zu teuer. Sie brauchen ihn nicht, sagen sie. Gibt es nicht alles im Netz umsonst? Einige reden von Zwangsgebühr. Andere wiederum finden, dass der vor 75 Jahren gegründete öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland seit seinem Bestehen selten so wertvoll war wie heute. Und die vielen Reaktionen auf die von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zur Diskussion gestellten Reformpläne zeigen, wie wichtig ARD, ZDF und Deutschlandradio sind. Lasst uns streiten über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, es ist notwendig. Mit Maß und Respekt, wie es sich gehört. Und mit Programmkenntnis.

Die Jury Allgemeine Programme des Robert Geisendörfer Preises und die Vorjurys schauen jedes Jahr aufs Neue auf die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und auch auf die der privaten Medien. Denn diese Preise sind keine Exklusivpreise für öffentlich-rechtliche Hörfunk-, TV- oder Internetangebote. Die Leuchttürme des Programms, Produktionen, die das Licht der Aufklärung leuchten lassen und als Perlen der fiktionalen Darstellung glänzen, finden sich aber immer noch besonders häufig bei den Sendern von ARD, ZDF und Deutschlandradio.

In den Hinterzimmern der Familien

Derzeit wird über ein reduziertes Hörfunkangebot gesprochen und insbesondere über den Vorschlag, 3sat möge in Arte aufgehen. Ausgerechnet am Kulturprogramm und am Dokumentarischen soll sich der Wille zum Sparen zeigen. Wie wenig verzichtbar diese Programme sind, zeigten auch in diesem Jahr die von den Vorjurys mit viel Bedacht und Kenntnis zusammengestellten Shortlists für den Robert Geisendörfer Preis.

Zum Beispiel im Hörfunk. Der Titel mag im ersten Moment irritieren, aber über "Arschlochmama - Wenn Eltern und Kinder streiten" (DLF) war sich die Jury rasch einig. In diesem Feature des Deutschlandradios fragt die Autorin Karen Muster nach den Konflikten, die sich wirklich in Familien abspielen, danach, wie gestritten wird und wie besser gestritten werden kann. Es geht um heftige Situationen und Begebenheiten, die bestenfalls in Familienanekdoten münden, im schlimmsten Fall werden daraus gut gehütete Geheimnisse.

Ein außerordentlich gelungenes, realistisches, tabuloses Gegenstück zum gefakten harmonischen Familienleben, das Influencer auf Instagram vorführen

Karen Muster hat sich und ihr Familienleben zunächst schonungslos selbst beobachtet und protokolliert, um anschließend im Freundeskreis Fragebögen zu verteilen, über Kindertausch zu diskutieren und sogar die Polizei zu befragen. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um familiäre Abgründe, sondern um die ganz normale Härte des Zusammenlebens von Eltern und Kindern. Mit der Sprecherin Katharina Marie Schubert gelang ein Glücksgriff. Die Dramaturgie mit dem Wechsel von authentischen oder nachgespielten Tönen und nachdenklicher Reflexion geht auf. Humor, aber auch Stoßseufzer kommen nicht zu kurz.

"Arschlochmama" ist das außerordentlich gelungene, realistische, befreiende, tabulose Gegenstück zum gefakten harmonischen Familienleben, das Influencer vor allem auf Instagram vorführen. Hier ist das Leben mit Kindern schön und schrecklich, aufregend und anstrengend. Ein Programm, das uns gesellschaftlich zusammenrücken lässt.

Hier fehlte Mitgefühl

Der zweite Geisendörfer Preis in der Kategorie Hörfunk ging an die Produktion "Stätten des Schreckens" (Radio Bremen). Hier hat Regisseur und Autor Florian Bänsch einen Archivschatz gehoben und neu zu Gehör gebracht. 1980 drehte der 2003 verstorbene Bremer Filmemacher Karl Fruchtmann "Zeugen - Aussagen zum Mord an einem Volk". Ein einziges Mal, 1981, wurde der Film im Fernsehen gezeigt. Fruchtmann hatte für seinen Film damals mit 60 Zeitzeugen, Überlebenden des Holocaust, gesprochen, aber nur einen kleinen Teil des Materials verwendet. Das meiste wurde archiviert.

Anders als der Film stellt das Hörstück die Erzählungen der Menschen in den Mittelpunkt. Bänsch rekonstruierte vier Gespräche. Vier Menschen berichten von Verfolgung, Vernichtung und Entmenschlichung. Ihnen ist das wichtigste, gehört zu werden. "Stätten des Schreckens" ermöglicht dies nun, mehr als 40 Jahre nach den Aufzeichnungen, auf beeindruckende Weise. Wir erfahren, wie Menschen es geschafft haben, mit unendlicher Leiderfahrung weiterzuleben.

Bei der Preisverleihung am 8. Oktober in Hamburg erinnerte Bänsch daran, dass es die Berichte von Überlebenden aus erster Hand bald nicht mehr geben werde. Umso wichtiger sei es, diese Geschichten weiter zu erzählen. Die Botschaft jener Menschen sei: Hier fehlte Mitgefühl.

Der Hörfunk lebt

In der Kategorie Hörfunk debattierten wir außerdem über die Reportage "10 Jahre AfD in Sachsen - rechts angekommen, um zu bleiben?" (MDR), das Hörspiel "85 Jahre Kindertransporte nach Großbritannien" (SWR), das historische, auch aktuell interessante Hörspiel "Die Causa Jeanne d'Arc" (RBB) mit vielen namhaften Sprechern und die Hörfunk-Reflexion "Zärtlichkeiten" (Deutschlandfunk Kultur), die mit Kurzhörspielen zum gleichnamigen Gefühl dessen Erfahrungsdimensionen erforscht. Die Vielfalt, Tiefe und Relevanz der Produktionen hat uns einmal mehr überrascht und erfreut. Radio für Zuhörende, zwei Preise und viel Bereicherung. Der Hörfunk lebt. Noch?

Vom Hörfunk zum Podcast, beziehungsweise den Online-Audio-Produktionen. Eingereicht wurde viel, nicht alles war von der Qualität, nach der die Jury beim Geisendörfer Preis sucht. Einige der eingereichten Produktionen waren "Nebenerzeugnisse" zu Mediatheken-Dokuserien, die keinen wirklich eigenständigen Zugriff aufs Thema erkennen ließen, sogenannte "Huckepack"-Produktionen.

Großartige Kreativleistung

Drei Podcast-Serien wurden uns von der Vorjury weiter gereicht, eindeutiger Favorit der Jury war "V13 - Die Terroranschläge in Paris" (SWR). Der Podcast überzeugte wegen der Multiperspektivität der Vorlage von Emmanuel Carrère ebenso wie durch die Qualität der Produktion. Die Jury diskutierte lange über die Originalität, denn "V13" ist eine Doku-Podcastserie nach dem Tatsachenroman von Carrère, der den Prozess gegen die überlebenden Mittäter der Attentate neun Monate lang verfolgte. Die Hörspielbearbeitung und Regie von Leonhard Koppelmann, so das Fazit der Jury, ist jedoch eine großartige, eigenständige Kreativleistung.

Mit den Sprechern Ulrich Matthes, Maren Eggert, Constanze Becker und Alexander Simon wird der Prozess nach den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015, unter anderem im Konzerthaus Bataclan, mit vielen Ausgreifungen nachgezeichnet. Harter Stoff, auch beim Hören. 14 Angeklagte, 1.800 Zivilparteien, 350 Anwälte und, wie es heißt, 53 Meter Akten in einem eigens gebauten Verhandlungssaal. Der Prozess dauerte vom September 2021 bis zum Juni 2022.

Zeugen schildern, was in jener Nacht des 13. November passierte, aber auch die Lebenswege der Terroristen werden noch einmal nachgezeichnet. Stoff genug für acht äußerst dichte Folgen, bei denen man dranbleibt, manchmal aber auch Pausen einlegen muss. Eine Podcastserie zum konzentrierten Hinhören, informativ und dramatisch, herausragend in den Mitteln und in der nüchternen, wenig emotionalisierenden Darstellung. Eine Produktion, die sich nicht damit begnügt zu schildern, was gewesen ist, sondern einen Reflexionsraum öffnet.

Aufstieg und Fall von Mesut Özil

Neben "V13" besprachen wir "Die Geschichte meines Lebens" (Produzent: Pool Artists), eine Oral-History-Podcastserie, in der neun Frauen über 80 ihre Lebensgeschichten erzählen. Anna-Maria Schmider, Sprecherin und Kreative hinter diesem Podcast, hat sie im "Verein Freunde alter Menschen" kennengelernt. Das ist interessant, doch nicht alles überzeugt. Oft wird der Erzählfluss unterbrochen, und Schmider ordnet das Gesagte ein, bringt ihre Einschätzung ins Spiel.

Diese Art von "betreutem Erzählen" mag für eine jüngere Zielgruppe hilfreich sein, widerspricht aber der Absicht, den Frauen ihre Stimme zu geben. Die Passagen, in denen die Frauen selbst erzählen, sind oft kurz, die Einordnung länger. Hier hätte man sich die Proportionen anders gewünscht.

Auch die Doku-Podcastserie "Schwarzrotgold: Mesut Özil zu Gast bei Freunden" wirft Fragen auf. Sehr viele Gesprächspartner werden hier an sehr vielen Orten aufgesucht, manchmal ist der Erkenntnisgehalt der Gespräche gering. Gelegentlich entsteht der Eindruck, dass sich die Macher sehr über den Zugang zu dieser oder jener prominenten Person, die über Mesut Özil etwas zu berichten weiß, gefreut haben.

Wie Diskriminierung wirkt

Özil selbst tritt in dieser gut recherchierten Produktion von Khesrau Behroz nicht auf. Der Podcast zeichnet den Weg des Fussballers vom "Vorbild für gute Integration" in Deutschland zum "Integrations-Aussteiger" nach. Am Ende weitet der Autor die Perspektive und spricht über "ein Land, das sich nicht so recht sicher ist, ob Menschen wie Mesut Özil dazugehören - oder nicht". Dieser Perspektivenwechsel kommt sehr spät und wirkt wie angehängt an die sehr breit erzählte Geschichte von Aufstieg und Fall von Özil.

Gerechtigkeit für Özil? Nachvollziehbar wird, wie Diskriminierung wirkt. Doch am Ende wird dieser spannende Podcast zu unscharf und eher allgemein.

Im Kontingent Social Media Bewegtbild (SMB) reichte uns die Vorjury ebenfalls drei Produktionen weiter: Den "37°"-Instagram-Auftritt zur Themenwoche "Leben mit Trauer", den Instagramkanal "Hand drauf" und den Tiktok-Kanal "Fakecheck".

Lebensbegleitung auf Instagram

Die Instagram-Produktion zum Reportageformat "37°" kombiniert Bewegtbild-Aussagen über Trauer mit Grafiken und anderen Darstellungen. Das ZDF-Format funktioniert gut, hier kommuniziert der Sender mit den Followern. Es wird eingegangen auf Menschen, die trauern. Lebensbegleitung auf Instagram - für viele kann das hilfreich sein. Das Herausragende fehlte der Jury aber.

"Hand drauf" ist ein Instagram-Kanal, der sich an taube Menschen unter 30 Jahren richtet. Aktuelle Themen werden hier zugänglich aufbereitet. Das Format ist eines von ganz wenigen, die die Deutsche Gebärdensprache (DGS) als Erstsprache verwenden. "Hand drauf" ist ein barrierefreies Angebot, das ohne Tonebene sehr gut funktioniert. Verdienstvoll und wichtig, nicht nur für die Deaf Community, so die Jury.

infobox: Seit 1983 würdigt die Evangelische Kirche mit dem Robert Geisendörfer Preis herausragende Leistungen deutscher Hörfunk- und Fernsehsender. Im Statut des Medienpreises der Evangelischen Kirche wird der im christlichen Sinn offene Horizont deutlich. Es sollen "Sendungen ausgezeichnet werden, die das persönliche und soziale Verantwortungsbewusstsein stärken, die zur gegenseitigen Achtung der Geschlechter und zum guten Miteinander von Einzelnen, Gruppen und Völkern beitragen, die die christliche Orientierung vertiefen und einen Beitrag zur Überwindung von Gewalt leisten". Hier ein Bericht von der Preisverleihung und eine Übersicht über die Preise.

Der Geisendörfer Preis ging in diesem Jahr an "Fakecheck" von Funk, ein Faktencheck-Format auf TikTok. Hier prüfen die Hosts Annika Fabich und Eva Heiligensetzer für eine junge Zielgruppe merkwürdige bis zwielichtige Aussagen und Videos auf Tiktok auf ihren Realitäts- und Wahrheitsgehalt. Sie suchen nach Quellen, recherchieren und demaskieren selbsternannte Expertinnen und Experten, checken Aussagen.

Stimmt es, dass es 30 Minuten Sport ersetzt, wenn ein Mann zehn Minuten lang Brüste anschaut? Nicht alles ist so harmlos wie diese Spinnerei. Annika Fabich und Eva Heiligensetzer beschäftigen sich mit Desinformation, die ihnen auch aus der Tiktok-Community weitergereicht wird. Sie untersuchen Videos mit hoher Reichweite und nehmend diese in beeindruckender Recherchetiefe sprachlich zielgruppennah auseinander. Sie nehmen ihr Publikum mit auf die Faktencheckreise und zeigen, wie fundierte Quellensuche funktioniert. Die gesellschaftliche Relevanz ist kaum hoch genug einzuschätzen. Die angesprochene Altersgruppe im Blick, schlagen sie Fakenews mit den Mitteln der sozialen Netzwerke.

Sexualisierte Gewalt

In der Kategorie Fernsehen nominierte die Jury einen Film nach, der auch schon in der Vorjury hochgeschätzt wurde: "Wir haben einen Deal" (ZDF) von Felicitas Korn und Marie-Helene Schwedler. Damit hatten wir drei Produktionen, die sexualisierte Gewalt in verschiedenen Formen der Fiktion darstellen, auf unserer Liste: Neben "Wir haben einen Deal" den Fernsehfilm "Nichts, was uns passiert" (WDR) und die Serie "37 Sekunden" (ARD).

Für die Preisdiskussion galt es abzuwägen: Wirkt der letzte Twist in der spannenden Serie "37 Sekunden" (Degeto), die plötzliche Einsicht des Mannes, nicht doch etwas zu versöhnlich? Ist die Figur der Tochter der männlichen Hauptfigur, eine Anwältin, die erst mit dem weiblichen Opfer befreundet ist und sich dann auf die Seite des Vaters stellt, wirklich glaubhaft gezeichnet? Was trägt das Popstar-Milieu bei, in dem sich der Fall abspielt? Nicht alles geht hier auf.

Der beliebte Fußballtrainer

Bei "Nichts, was uns passiert" verzettelt sich nach Einschätzung mancher Juroren die Dramaturgie in der Konstruktion, in der Täter und Opfer aus dem Unimilieu getrennt einer Journalistin ihre Geschichte erzählen. Die unterstellte Unparteilichkeit der Darstellung funktioniert nicht durchweg. Trotz sehr guter Schauspielleistung von Emma Nova machten einige Jurorinnen und Juroren hier Einschränkungen.

Auch "Wir haben einen Deal" mag kein perfekter Film sein (gegen Ende kürzt er die Ereignisse mit Zeitungsberichten erzählökonomisch ab), aber hier stellt vor allem Felix Klare durch seine Darstellung des Frank eine große Nähe her. Jahrelang hatte der erwachsene Mann verdrängt, dass er als Junge von seinem allgemein beliebten und geschätzten Fußballtrainer missbraucht wurde. Sein Spiel macht den Film herausragend.

Missbrauch im Kinder- und Jugendsport, der ermöglicht wird durch das Wegschauen von Eltern und anderen Erwachsenen, wird in der Fernsehfiktion selten gezeigt. Der Film meidet die Klippen des Heiklen und ist trotzdem sehr deutlich. Überemotionalisierung findet genau so wenig statt wie unangemessene Spannungserzeugung oder voyeuristische Reviktimisierung. "Wir haben einen Deal" zeigt die individuelle Leidensgeschichte des überlebenden Jungen, der als Erwachsener irgendwann nicht mehr funktionieren kann, und die gesellschaftlich-systemischen Zusammenhänge. Es gibt immer Menschen, die den Täter unwillentlich oder bewusst schützen. Der Film erhielt einen der zwei Geisendörfer Preise in der Kategorie Fernsehen.

Weibliche Stimmen

"Deutschlandlieder - Almanya Türküleri" (3sat/ZDF) vermochte die Jury nicht gleichermaßen zu überzeugen. Ein thematisch ähnlicher Film ("Songs of Gastarbeiter"), der nicht für den Geisendörfer Preis 2024 eingereicht worden war, war einigen aus der Jury noch in bester Erinnerung, aber auch ohne diesen Vergleich kam diese dokumentarische Produktion nicht in die Nähe der Preisränge. Das galt auch für die ebenfalls eindrückliche Dokuserie "Feuerkinder" (SWR), die sich mit der Brandkatastrophe von Ludwigshafen am 3. Februar 2008 und ihren Folgen befasste.

In "Stimmen aus dem Krieg - Ukraine 2022" (RBB) erzählen ukrainische Frauen von ihren Erfahrungen. Wir sehen ein beeindruckendes Panorama, wir hören eine Vielfalt von weiblichen Stimmen - und wir erfahren aus erster Hand von einem Krieg, der uns nah ist und immer noch weitergeht.

Ungleichheit in Berlin

Bei der fünfteiligen dokumentarischen Serie "Capital B. Wem gehört Berlin?" (RBB), in der der Aufstieg zur "Weltmetropole" aus vielen Perspektiven und mit vielen Akteuren beleuchtet wird, fehlte manchen Jury-Mitgliedern der Bezug zu den Statuten des Geisendörfer Preises. Andere fanden die Serie großartig und in ihrer Schilderung von Ungleichheit exemplarisch.

"Better than Human?" (MDR), gezeigt in der Reihe ARD Wissen, präsentierte drei Szenarien, in denen Künstliche Intelligenz Lebenshilfe als "Bezugsperson" leisten kann: Eine Rentnerin leidet unter Einsamkeit. Eine junge Frau hat eine Mutter mit Krebs im Endstadium. Ein Paar will nach einer Fehlgeburt wieder ein Kind bekommen. Kann die KI hier Therapeutin sein, Pfarrerin oder Freundin? Einige Jurorinnen und Juroren fanden diese Versuchsanordnung und auch das Ergebnis fragwürdig.

"Heute nicht" (RTLup) war eine berührende Schwarzweiß-Reportage des berühmten Fotografen Jim Rakete. Der Film porträtiert das Kinder- und Jugendhospiz Bethel und die Kinder Bercem, Niklas und Beret mit ihren Eltern und Bezugspersonen. Jeder Tag zählt. An jedem verbleibenden Tag gibt es etwas zu tun (Musik machen, zum Beispiel), etwas zu erleben, etwas zu lernen. Vor allem für uns, die Zuschauer. "Heute nicht" ist trotz des Ortes und der Schicksale ein lebensfroher und hoffnungsvoller Film. Für die Jury war er eine Bereicherung.

Aufruf zu Menschlichkeit

Der zweite Preis in der Kategorie Fernsehen ging jedoch an das Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" (ZDF). Raymond und Hannah Ley erzählen hier die Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer mit fiktionalen Mitteln, vor allem aber mit ihr selbst. Eindrucksvoll sind die Szenen, in denen sie ihrem fiktiven jüngeren Ich begegnet. Der Film ist ein eindrücklicher Aufruf zur Menschlichkeit. Menschsein - was das bedeutet und wofür wir einstehen müssen, das zeigt Margot Friedländer mit unglaublicher Überzeugungskraft. Friedländer, eine der letzten Zeitzeugen, ging nach Amerika und kehrte zurück nach Deutschland. "Ihr habt es in der Hand, dass das nicht wieder passiert", sagt sie. Eine beeindruckende Person und ein in all seinen Mitteln gelungener Film.

So berechtigt und wichtig die Diskussion um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, so zeigt das Fazit der Jury auch in diesem Jahr: Den Großteil der hier ausgezeichneten und höchst hörens- und sehenswerten Programme würde es ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht geben. Wer am Hörfunk und an der Kultur spart, gefährdet den Selbstverständigungsprozess der Gesellschaft. Das ist nicht nur aberwitzig, es ist fahrlässig.

Heike Hupertz Copyright: Foto: privat Darstellung: Autorenbox Text: Heike Hupertz ist freie Journalistin und war Mitglied der Jury Allgemeine Programme.



Zuerst veröffentlicht 20.10.2024 10:50

Heike Hupertz

Schlagworte: Medien, Auszeichnungen, Kirchen Fernsehen, Internet, Radio, Audio, Preise, Robert Geisendörfer Preis, Jury-Bericht, Hupertz

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